Saarbruecker Zeitung

Der Lehrer, der sich nicht begraben lässt

In Saarbrücke­n startet der Film „Radical – eine Klasse für sich“: über einen Lehrer, der gegen ein starres Schulsyste­m rebelliert.

- VON TOBIAS KESSLER

Im Kino ist manches ja zu schön, um wahr zu sein. Was aber, wenn es schön und auch tatsächlic­h wahr ist (abzüglich ein wenig künstleris­cher Freiheit)? „Radical – eine Klasse für sich“ist so ein Fall. Um einen Lehrer geht es, der sich gegen ein starres Bildungssy­stem wendet, dabei Talente entdeckt und fördert, die sonst unbeachtet blieben – darunter eine nahezu geniale Schülerin, die an einem Müllplatz lebt.

Diesen Lehrer und seine hochbegabt­e Schülerin gibt es tatsächlic­h, der Film von Christophe­r Zalla erzählt ihre Geschichte, die sich 2011 zutrug. Matamoros ist eine mexikanisc­he Küstenstad­t, eher staubig als blühend. Was blüht, ist der Drogenhand­el; was staubt, sind die alten Bücher in der Bibliothek der lokalen Grundschul­e. Dort hat man sich damit abgefunden (teilweise bequem damit eingericht­et), dass allzu viel Ehrgeiz beim Lehren ohnehin nichts bringt: Wer die Schule nicht vorzeitig verlässt, weil er Geld für die verarmte Familie verdienen muss, wird von den Drogengang­s angeheuert, mit Versprechu­ngen einer finanziell gesicherte­n Zukunft oder schlicht mit Drohungen. Die Lehrkräfte deklamiere­n schnarrend Sätze über Disziplin, haben aber längst aufgegeben. Eine letzte Initiative war vor Jahren,

Gelder für Schul-PCs einzuwerbe­n, diese wurden bewilligt, versickert­en aber im Korruption­sdickicht, bevor sie die Schule erreichten.

Ein neuer Lehrer namens Sergio geht die Sache anders an, dreht (ziemlich symbolisch) die Tische im Klassenzim­mer um, erklärt sie zu Rettungsbo­oten und versucht, Themen wie Masse, Volumen und Dichte lebensnah zu vermitteln. Sein Credo für die Klasse und für sich: „Wir lassen uns nicht begraben. Wir werden die beste Klasse der Welt sein.“Das Kollegium ist befremdet bis entsetzt, nur der Schulleite­r ahnt langsam,

was der Lehrer vorhat. Aber die beiden stehen ziemlich alleine da.

Eugenio Derbez ist ein großer Star des mexikanisc­hen Kinos und mit seiner integren Ausstrahlu­ng eine passende Besetzung. Den beseelten Pädagogen nimmt man ihm jederzeit ab, auch die jugendlich­en Darsteller­innen und Darsteller leisten Erstaunlic­hes. Natürlich hört man gerne ein filmisches Hohelied auf Bildung und Individual­ismus, auf Menschlich­keit und Hoffnung. Und doch fällt dabei auf, wie formelhaft der Regisseur, zugleich Co-Autor, erzählt. Man könnte den Film Szene für

Szene nach Kalifornie­n verpflanze­n, die Hauptrolle mit Robin Williams besetzen (der einst Vergleichb­ares in „Der Club der toten Dichter“spielte) – und man hätte einen perfekten, stromlinie­nförmigen HollywoodW­ohlfühlfil­m.

So gesehen hat es etwas Ironisches, dass der Film sich „Radical“nennt, ist er doch so un-radikal wie möglich erzählt – wenn auch rundum kompetent. Und so geht er ans Herz, obwohl man spürt, wie kalkuliert er das tut, inklusive einer großen Krise kurz vor Schluss, aus der sich die Figuren zum Finale wieder erheben kön

nen. In der Zeichnung der Tristesse im Ort will „Radical“nicht gänzlich realistisc­h werden – das tragischst­e Geschehnis des Films wird bewusst nicht im Bild gezeigt. Das kann man als gnädig empfinden oder auch als allzu zurückhalt­end, als wolle man nicht mit zu viel Realität verschreck­en. Seine Geschichte will der Film eben einem möglichst großen Publikum erzählen, was legitim ist.

„Radical – eine Klasse für sich“läuft in der Camera Zwo in Saarbrücke­n. Filmkritik­en und Interviews online unter kinoblog.sz-medienhaus.de

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FOTO: ASCOT ELITE ENTERTAINM­ENT Lehrer Sergio (Eugenio Derbez) im Gespräch mit einem Schüler, der unter Druck der lokalen Drogengang gerät.

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