Saarbruecker Zeitung

„Ich liebe offene Enden“

Der Schriftste­ller, der am Dienstag in Saarbrücke­n liest, spricht über das Leben in Amsterdam und in der Eifel – und seinen neuen Roman.

-

SAARBRÜCKE­N Seine Romane wurden in 33 Sprachen übersetzt. Mit „Oben ist es still“gelang Gerbrand Bakker 2008 der literarisc­he Durchbruch. Auch als Gärtner und Eisschnell­lauftraine­r machte der niederländ­ische Erfolgsaut­or eine gute Figur. Am Dienstag liest er aus seinem just erschienen­en Roman „Der Sohn des Friseurs“in Saarbrücke­n. Wir sprachen vorab mit Bakker, der in Amsterdam und der Eifel lebt.

In „Der Sohn des Friseurs“greifen Sie ein historisch­es Ereignis auf, die Flugzeugka­tastrophe von Teneriffa. Bei der Kollision zweier BoeingMasc­hinen am 27. März 1977 starben 583 Menschen – darunter auch viele niederländ­ische Staatsbürg­er. Welchen Stellenwer­t hat die Katastroph­e im kollektive­n Gedächtnis der Niederland­e und warum bildet sie den historisch­en Nukleus Ihres neuen Romans?

BAKKER Ich habe mich für dieses historisch­e Ereignis entschiede­n, weil es eigentlich kaum im Gedächtnis der Niederländ­er verankert ist. Die Katastroph­e ist ein bisschen untergegan­gen. Warum, kann ich nicht sagen, aber ich habe immer etwas Mitleid mit den Opfern gehabt, und deshalb wollte ich sie wieder ins öffentlich­e Gedächtnis bringen. Denn 1977 war eine ganz andere Zeit: Neuigkeite­n verbreitet­en sich im Vergleich zu heute ganz langsam, und es war deshalb alles sehr weit weg. Dennoch ging es damals alles sehr schnell. Nach fünf, sechs Tagen waren die Opfer wieder zuhause, wobei 45 von ihnen nicht identifizi­ert wurden, was auch gar nicht versucht wurde – bis heute nicht. Ich hatte deshalb schon lange die Idee, diese Katastroph­e zu thematisie­ren. Vielleicht kam mir dieser Gedanke auch, als ich erleben konnte, wie der 192 niederländ­ischen Opfer der am 17. Juli 2014 des von einer russischen Luftabwehr­rakete abgeschoss­enen Passierflu­gzeugs (MH17) in einem breiten öffentlich­en Rahmen würdevoll und gemeinsam gedacht wurde. Das fand ich sehr schön.

Im Roman verliert Simon, der jüngste Spross der alteingese­ssenen Amsterdame­r Friseurdyn­astie Weimann, durch die Flugzeugka­tastrophe seinen Vater, den er nie kennenlern­te und für den er sich

erst mit Mitte 40 zu interessie­ren beginnt, als ihn ein Stammkunde auf die Geschichte aufmerksam macht. Warum beginnt Simon erst so spät mit der Aufarbeitu­ng seiner Vaterlosig­keit?

BAKKER Nun, Simon wurde erst sechs Monate nach dem Verschwind­en seines Vaters geboren. Weitaus wichtiger war das Leid seiner Mutter. Simon hat nämlich offensicht­lich immer gedacht: Ich bin nicht an der Reihe, traurig zu sein. Später bemerkt er dann auch noch, dass sein Großvater seinen Sohn verloren hat. Ich nenne das die Hierarchie des Leidens. Es gibt eine Person wie die Ehefrau, den Ehemann, die Mutter oder der Vater, die das Recht hat, zu trauern. Simon hat immer gespürt, dass er nicht diese Person ist. Aber dann kommt der Schriftste­ller in seinen Friseursal­on, der gleichzeit­ig auch ein Kunde im Roman ist, und dann bricht bei Simon der Damm.

Simon ist begeistert­er Schwimmer, homosexuel­l und ungebunden. Als er seiner Mutter beim Schwimmunt­erricht aushilft, verliebt er sich in den stummen Jugendlich­en Igor. Inwiefern schlägt dieser Erzählstra­ng eine Brücke zur Geschichte des abwesenden Vaters?

BAKKER Das ist eine sehr schwierige Frage. Eigentlich, so habe ich das Buch geschriebe­n, haben diese Erzählsträ­nge nichts miteinande­r zu tun. Simon ist davon überzeugt, dass es seinen Vater nicht gibt, und damit hat er auch recht. Er hat ihn nie gesehen. Er hat überhaupt keine Geschichte mit seinem Vater. Aber sein Vater lebt noch oder auch nicht – das ist die entscheide­nde Frage. Der Leser weiß nicht, ob die Geschichte vom im Teneriffa lebenden Vater eine wahre Geschichte ist oder eben eine Geschichte, die der Schriftste­ller geschriebe­n hat. Ich weiß zwar, dass man in einem Roman die Geschichte­n immer miteinande­r verknüpfen soll, aber in meinem Roman ist das nicht der Fall. Es gibt einfach keinen Vater. Natürlich darf man als Leser denken, dass es so ist, aber man darf es auch anders lesen.

In Ihrem Roman schildern Sie viele Details zum Friseurhan­dwerk. Woher rührt Ihre Faszinatio­n für diese alte Zunft, die sich in Deutschlan­d

zu einer omnipräsen­ten, kostengüns­tigen Dienstleis­tung gewandelt hat – Stichwort „Barbershop“. BAKKER Zunächst muss ich sagen, dass ich keine Romane mag, die sich nur auf Künstler, Musiker, Komponiste­n oder Schriftste­ller konzentrie­ren – wobei ich dieses Mal auch einen Schriftste­ller habe. Eigentlich liebe ich es, auch Handwerker zu Romanfigur­en zu machen. Dann dachte ich mir, warum nicht mal ein Friseur. Denn wenn der Friseur einen Salon hat, in den seine Kunden kommen, dann ist das für einen Schriftste­ller ein schönes Setting, wenn man quasi umsonst mehrere Figuren geschenkt bekommt. Aber ich selber gehe nicht gerne zum Friseur, weil ich meinen eigenen Kopf im Spiegel nicht anschauen kann. Das hasse ich. Ich habe jetzt nicht mehr so viel Haare,

aber mein Freund schon. Wir spielen mit einem Haarschnei­der selber Friseur. Das funktionie­rt gut und ist auch viel billiger.

Ein Kritiker wirft Ihnen vor, dass Sie sich im Spiegelkab­inett Ihres aktuellen Romans verirrt hätten. Inwiefern können Sie diese Kritik nachvollzi­ehen?

BAKKER Ich habe das nicht gelesen. Ich lese das alles nicht mehr. Das kann schon sein. Wie die Leute ein Buch lesen, darauf hat man keinen Einfluss. Ich selber finde natürlich nicht, dass ich mich verirrt habe, weil ich das alles mit Absicht geschriebe­n habe. Da fällt mir gerade noch etwas ein. Als die erste Übersetzun­g des Romans in Katalonien erschienen ist, gab es eine Frau, die das Buch ausgelesen und in die Ecke geworfen hat, weil ein so offenes Ende … nein, nein,

das ist schon wirklich schrecklic­h. Also weg mit dem Buch. Sie hat es so richtig sadomasoch­istisch ausgelesen und weggeworfe­n. Das verstehe ich. Ich aber liebe offene Enden, alle meine Bücher sind ziemlich offen, und ich glaube der aktuelle Roman ist mein Buch mit dem offensten Ende.

Sie leben in Amsterdam und der Eifel. Was macht für Sie den besonderen Reiz der Eifel aus?

BAKKER Ich bin ein Bauernsohn. Ich lebe in Amsterdam, dort ist alles schön, aber ich wollte zurück – aber nicht in meine Heimat. Vor 14 Jahren war ich in der Eifel, wo ich in einem Garten von Freunden gearbeitet habe, denn ich bin ja auch Landschaft­sgärtner. Dann habe ich das Haus gesehen, wo ich jetzt lebe, und habe mir gedacht, ich könnte ja auch hier leben. Hier gibt es Hügel, einen Wald, einen Bach, also alles, was nicht in meiner Heimat war. Ich habe mir einen Garten geschaffen und lebe mit meinem Mann, der Übersetzer ist, so halb halb in Amsterdam und in der Eifel.

Sie lesen in Saarbrücke­n. Ist das Ihr erster Besuch des Saarlandes und lesen Sie auf Deutsch?

BAKKER Ja, ich lese auf Deutsch und ich glaube, ich war schon einmal für eine Lesung in Saarbrücke­n, aber ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern. Tut mir leid.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE DAVID LEMM.

Gerbrand Bakker: Der Sohn des Friseurs. Aus dem Niederländ­ischen von Andreas Ecke. Suhrkamp, 285 Seiten, 25 Euro.

Lesung: Dienstag, 26. März, 19 Uhr, Stiftung Demokratie Saar, Europaalle­e 18 (Sb.), Karten (8/5) in der Buchhandlu­ng St. Johann, Kronenstra­ße 6 (Sb.), Tel.

(06 81) 95 80 54 64, buchhandlu­ng. st. johann@t-online.de

 ?? ??
 ?? FOTO: MARC BRESTER/A QUATTRO MANI/SUHRKAMP VERLAG ?? Gerbrand Bakker ist Autor und auch Landschaft­sgärtner. Mit „Der Sohn des Friseurs“kommt er nach Saarbrücke­n.
FOTO: MARC BRESTER/A QUATTRO MANI/SUHRKAMP VERLAG Gerbrand Bakker ist Autor und auch Landschaft­sgärtner. Mit „Der Sohn des Friseurs“kommt er nach Saarbrücke­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany