„Mittelstadtgeschichten“, in Völklingen erzählt
So ein Theater gab es in Völklingen noch nie: Die Schauspielerin und Regisseurin Corinna Preisberg wird gemeinsam mit Völklingerinnen und Völklingern unterschiedlichster Herkunft deren „ Mittelstadtgeschichten“erzählen. Bei einem theatralen Stadtrundgang
Die Kurdin Maasouma Hussien ist vor Krieg und Unterdrückung aus Syrien geflohen. Jetzt kandidiert sie für das Amt der Oberbürgermeisterin von Völklingen. Die Mutter von fünf Kindern hat sehr gut Deutsch gelernt und setzt sich unter anderem dafür ein, dass Völklingen eine internationale Stadt wird.
Tatsächlich kandidiert Maasouma Hussien nicht wirklich fürs Oberbürgermeisterinnen-Amt. Sie tut es im Auftrag der Kunst. Die Schauspielerin und Regisseurin Corinna Preisberg hat nämlich ein ganz besonderes Theaterprojekt in Völklingen aus der Taufe gehoben: „Mittelstadtgeschichten“nennt sie ihren Stadtrundgang von und mit „Experten des Alltags“, also mit Völklingerinnen und Völklingern.
„Das ist mein Lieblingsformat, das wir auch schon im Grenzland gemacht haben“, erzählt die Schauspielerin im Video-Gespräch mit der SZ. Sie sitzt mit krankem Kind im heimischen Wochern bei Perl. Dort, in ihrem Heimatdorf, hatte sie vor zwei Jahren bereits solch ein interaktives Theaterstück auf die Beine gestellt. Der halbe Ort war mit einbezogen. Und alle waren begeistert. Nun soll es so etwas und doch ganz anders auch in Völklingen geben.
Von der Stadt und ihren Menschen will Preisberg schon länger mehr wissen. Immerhin ist in Völklingen das Netzwerk freie Szene Saar, in dessen Vorstand sie ist, seit drei Jahren mit dem Freistil-Festival im Weltkulturerbe zuhause. „Ich wollte selber sehen, wer lebt da in der Stadt, in der wir seit drei Jahren Festival machen? Man hat so viele Vorurteile über Völklingen, ich wollte wissen, wie es denen dort wirklich geht.“
So trommelte sie Geld – von Kultusministerium, Stadt Völklingen und Saartoto – zusammen und begeisterte Kolleginnen und Kollegen vom Netzwerk freie Szene. Die Tänzerin Berengère Brulebois ist dabei, der Cellist Julien Blondel, die Schauspielerin Jessica Schultheis und der Zeichner Klaus Harth.
Dazu fand Corinna Preisberg dank der Hilfe unter anderem von Christoph Rech von der Volkshochschule sowohl Ur-Völklinger als auch zugezogene bzw. hergeflüchtete NeuVölklingerinnen für ihr Projekt. „Insgesamt sind zwölf Leute dabei, auch zwei Frauen mit Kopftuch, was mich besonders freut, weil sie ja sehr oft in Völklingen vertreten sind, aber nie wirklich sichtbar werden.“
Eine zentrale Rolle bei der dreimonatigen Vorbereitung der „Mit
telstadtgeschichten“spielte und spielt das Eiscafé Europa mitten in Völklingen, erzählt Corinna Preisberg. Hier treffen sich nämlich nahezu alle. Und hier traf sie sich gleich zu Beginn mit der aus dem Libanon stammenden Batoul El Najjar. Während sich die beiden unterhielten, nahm Maasouma Hussien am Nachbartisch Platz. Batoul und Maasouma kannten sich bereits, man kam ins Gespräch... Und jetzt ist Massouma für das The
aterprojekt zur OberbürgermeisterKandidatin geworden. Und Corinna Preisberg lernt – ebenso wie demnächst das Publikum – ziemlich viel Neues über Kurden.
Alle sprechen übrigens ziemlich gut Deutsch, erzählt Corinna Preisberg, dabei sind die Frauen erst seit fünf, sechs Jahren in Deutschland. „Wenn ich so schnell Arabisch lernen müsste, ich wäre komplett überfordert.“In den „Mittelstadtgeschichten“wird Batoul El Najjar über all die Vorurteile sprechen, die es gegenüber Frauen mit Kopftuch gibt und von denen sich, meint Preisberg, bei näherer Betrachtung eine ganze Menge als falsch erweisen werden. Auch Batouls 14-jährige Tochter macht beim Theaterprojekt mit, ebenso zwei weitere 14-Jährige: der Sohn von Bérengère Brulebois und die 14-jährige Tochter des „UrVölklingers“Ludwig Heil. Auch er ist eine tragende Säule der „Mittelstadtgeschichten“. Denn es geht ja nicht nur ums migrantische Völklingen, die Stadt hat ja an Geschichte viel zu bieten.
Als Rahmenhandlung, die beim Rundgang alles zusammenhält, wird der Besuch einer französischen Delegation gespielt. Die Gäste aus Frankreich – dargestellt von Brulebois und Blondel – wollen die Stadt kennenlernen, in der unlängst ja tatsächlich der deutsche Bundespräsident FrankWalter Steinmeier zu Gast war. Und auch der hatte sich ja überraschend tief reinbewegt in den Völklinger Alltag.
Treffpunkt und Auftakt des Theaterspaziergangs ist am Rathaus in Völklingen. Hier wird Jessica Schultheis in ihrer Rolle als „Fräulein Schmidt“von der Stadt Völklingen die Gäste empfangen. Auf ihrem Rundgang trifft die vom Publikum begleitete Gruppe dann etwa am Spielplatz auf die Ur-Völklingerin Marina Hetheier, begegnet an den Ruinen der historischen St. Martinskirche Lea Heil. Am Alten Rathaus werden die Gäste von der „Bürgermeisterkandidatin“erwartet, und am Place des Lilas treibt sich die Jugend rum. Der Rundgang endet an der Versöhnungskirche, wo Ludwig Heil mit interessanter Historie aufwartet.
Es wird um Gemeinsamkeiten und Trennendes gehen, um die Weihnachtsgeschichte aus dem LukasEvangelium – und aus dem Koran. Es wird um Pläne und Ideen gehen in diesen „Mittelstadtgeschichten“, und es wird sicher auch politisch werden.
Nur eines wird dieser Rundgang nicht: ein „Hier ist alles perfekt“Traumtheater. Dafür hat Corinna Preisberg die Figur des „Herrn Ja, aber“kreiert. Klaus Hardt übernimmt diesen Part. Er wird immer wieder dazwischenreden und aus Aladin El-Mafaalanis Buch „Das Integrations-Paradox“zitieren. Das Buch hat Preisberg in der Vorbereitung ihres VölklingenProjekts gleich mehrmals gelesen und für ihr Stück ausgeschlachtet. Auf diese Weise werden all die Widersprüche und Schwierigkeiten eingebracht, die sich in solch multikulturellen Gesellschaften eben auch zeigen.
Aber eines ist klar: „Wir bieten keine Lösungen“, sagt Corinna Preisberg, „nur Fragen“. Und echte Geschichten gegen Vorurteile. Eines davon hat Corinna Preisbergs während ihrer theatralen Recherche bereits über Bord werfen können: „Die leben alle gern hier in Völklingen.“
Premiere der „Mittelstadtgeschichten“ist am Freitag, 5. April, 17 Uhr. Treffpunkt ist am Rathaus Völklingen. Weitere Termine sind am 6. und 7. April, ebenfalls um 17
Uhr. Eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich, denn es können jeweils nur 30 Personen an dem Rundgang teilnehmen. Corinna Preisberg hofft, später noch weitere Termine anbieten zu können. Infos & Anmeldung bei Corinna Preisberg, post@ corinnapreisberg.de, Tel. (0179) 675 1947, www.dreiland-theater.de