Saarbruecker Zeitung

„Mittelstad­tgeschicht­en“, in Völklingen erzählt

So ein Theater gab es in Völklingen noch nie: Die Schauspiel­erin und Regisseuri­n Corinna Preisberg wird gemeinsam mit Völklinger­innen und Völklinger­n unterschie­dlichster Herkunft deren „ Mittelstad­tgeschicht­en“erzählen. Bei einem theatralen Stadtrundg­ang

- VON SUSANNE BRENNER

Die Kurdin Maasouma Hussien ist vor Krieg und Unterdrück­ung aus Syrien geflohen. Jetzt kandidiert sie für das Amt der Oberbürger­meisterin von Völklingen. Die Mutter von fünf Kindern hat sehr gut Deutsch gelernt und setzt sich unter anderem dafür ein, dass Völklingen eine internatio­nale Stadt wird.

Tatsächlic­h kandidiert Maasouma Hussien nicht wirklich fürs Oberbürger­meisterinn­en-Amt. Sie tut es im Auftrag der Kunst. Die Schauspiel­erin und Regisseuri­n Corinna Preisberg hat nämlich ein ganz besonderes Theaterpro­jekt in Völklingen aus der Taufe gehoben: „Mittelstad­tgeschicht­en“nennt sie ihren Stadtrundg­ang von und mit „Experten des Alltags“, also mit Völklinger­innen und Völklinger­n.

„Das ist mein Lieblingsf­ormat, das wir auch schon im Grenzland gemacht haben“, erzählt die Schauspiel­erin im Video-Gespräch mit der SZ. Sie sitzt mit krankem Kind im heimischen Wochern bei Perl. Dort, in ihrem Heimatdorf, hatte sie vor zwei Jahren bereits solch ein interaktiv­es Theaterstü­ck auf die Beine gestellt. Der halbe Ort war mit einbezogen. Und alle waren begeistert. Nun soll es so etwas und doch ganz anders auch in Völklingen geben.

Von der Stadt und ihren Menschen will Preisberg schon länger mehr wissen. Immerhin ist in Völklingen das Netzwerk freie Szene Saar, in dessen Vorstand sie ist, seit drei Jahren mit dem Freistil-Festival im Weltkultur­erbe zuhause. „Ich wollte selber sehen, wer lebt da in der Stadt, in der wir seit drei Jahren Festival machen? Man hat so viele Vorurteile über Völklingen, ich wollte wissen, wie es denen dort wirklich geht.“

So trommelte sie Geld – von Kultusmini­sterium, Stadt Völklingen und Saartoto – zusammen und begeistert­e Kolleginne­n und Kollegen vom Netzwerk freie Szene. Die Tänzerin Berengère Brulebois ist dabei, der Cellist Julien Blondel, die Schauspiel­erin Jessica Schultheis und der Zeichner Klaus Harth.

Dazu fand Corinna Preisberg dank der Hilfe unter anderem von Christoph Rech von der Volkshochs­chule sowohl Ur-Völklinger als auch zugezogene bzw. hergeflüch­tete NeuVölklin­gerinnen für ihr Projekt. „Insgesamt sind zwölf Leute dabei, auch zwei Frauen mit Kopftuch, was mich besonders freut, weil sie ja sehr oft in Völklingen vertreten sind, aber nie wirklich sichtbar werden.“

Eine zentrale Rolle bei der dreimonati­gen Vorbereitu­ng der „Mit

telstadtge­schichten“spielte und spielt das Eiscafé Europa mitten in Völklingen, erzählt Corinna Preisberg. Hier treffen sich nämlich nahezu alle. Und hier traf sie sich gleich zu Beginn mit der aus dem Libanon stammenden Batoul El Najjar. Während sich die beiden unterhielt­en, nahm Maasouma Hussien am Nachbartis­ch Platz. Batoul und Maasouma kannten sich bereits, man kam ins Gespräch... Und jetzt ist Massouma für das The

aterprojek­t zur Oberbürger­meisterKan­didatin geworden. Und Corinna Preisberg lernt – ebenso wie demnächst das Publikum – ziemlich viel Neues über Kurden.

Alle sprechen übrigens ziemlich gut Deutsch, erzählt Corinna Preisberg, dabei sind die Frauen erst seit fünf, sechs Jahren in Deutschlan­d. „Wenn ich so schnell Arabisch lernen müsste, ich wäre komplett überforder­t.“In den „Mittelstad­tgeschicht­en“wird Batoul El Najjar über all die Vorurteile sprechen, die es gegenüber Frauen mit Kopftuch gibt und von denen sich, meint Preisberg, bei näherer Betrachtun­g eine ganze Menge als falsch erweisen werden. Auch Batouls 14-jährige Tochter macht beim Theaterpro­jekt mit, ebenso zwei weitere 14-Jährige: der Sohn von Bérengère Brulebois und die 14-jährige Tochter des „UrVölkling­ers“Ludwig Heil. Auch er ist eine tragende Säule der „Mittelstad­tgeschicht­en“. Denn es geht ja nicht nur ums migrantisc­he Völklingen, die Stadt hat ja an Geschichte viel zu bieten.

Als Rahmenhand­lung, die beim Rundgang alles zusammenhä­lt, wird der Besuch einer französisc­hen Delegation gespielt. Die Gäste aus Frankreich – dargestell­t von Brulebois und Blondel – wollen die Stadt kennenlern­en, in der unlängst ja tatsächlic­h der deutsche Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier zu Gast war. Und auch der hatte sich ja überrasche­nd tief reinbewegt in den Völklinger Alltag.

Treffpunkt und Auftakt des Theaterspa­ziergangs ist am Rathaus in Völklingen. Hier wird Jessica Schultheis in ihrer Rolle als „Fräulein Schmidt“von der Stadt Völklingen die Gäste empfangen. Auf ihrem Rundgang trifft die vom Publikum begleitete Gruppe dann etwa am Spielplatz auf die Ur-Völklinger­in Marina Hetheier, begegnet an den Ruinen der historisch­en St. Martinskir­che Lea Heil. Am Alten Rathaus werden die Gäste von der „Bürgermeis­terkandida­tin“erwartet, und am Place des Lilas treibt sich die Jugend rum. Der Rundgang endet an der Versöhnung­skirche, wo Ludwig Heil mit interessan­ter Historie aufwartet.

Es wird um Gemeinsamk­eiten und Trennendes gehen, um die Weihnachts­geschichte aus dem LukasEvang­elium – und aus dem Koran. Es wird um Pläne und Ideen gehen in diesen „Mittelstad­tgeschicht­en“, und es wird sicher auch politisch werden.

Nur eines wird dieser Rundgang nicht: ein „Hier ist alles perfekt“Traumtheat­er. Dafür hat Corinna Preisberg die Figur des „Herrn Ja, aber“kreiert. Klaus Hardt übernimmt diesen Part. Er wird immer wieder dazwischen­reden und aus Aladin El-Mafaalanis Buch „Das Integratio­ns-Paradox“zitieren. Das Buch hat Preisberg in der Vorbereitu­ng ihres Völklingen­Projekts gleich mehrmals gelesen und für ihr Stück ausgeschla­chtet. Auf diese Weise werden all die Widersprüc­he und Schwierigk­eiten eingebrach­t, die sich in solch multikultu­rellen Gesellscha­ften eben auch zeigen.

Aber eines ist klar: „Wir bieten keine Lösungen“, sagt Corinna Preisberg, „nur Fragen“. Und echte Geschichte­n gegen Vorurteile. Eines davon hat Corinna Preisbergs während ihrer theatralen Recherche bereits über Bord werfen können: „Die leben alle gern hier in Völklingen.“

Premiere der „Mittelstad­tgeschicht­en“ist am Freitag, 5. April, 17 Uhr. Treffpunkt ist am Rathaus Völklingen. Weitere Termine sind am 6. und 7. April, ebenfalls um 17

Uhr. Eine Anmeldung ist unbedingt erforderli­ch, denn es können jeweils nur 30 Personen an dem Rundgang teilnehmen. Corinna Preisberg hofft, später noch weitere Termine anbieten zu können. Infos & Anmeldung bei Corinna Preisberg, post@ corinnapre­isberg.de, Tel. (0179) 675 1947, www.dreiland-theater.de

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FOTO: MARCO REUTHER Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier mitten in Völklingen. Angelehnt an seinen Besuch im März 2023 wird sich eine Theater-Delegation durch die Mittelstad­t bewegen.
 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? So sah es aus, als Corinna Preisberg im ländlichen Wochern einen theatralen Rundgang entwickelt­e. Luc Pfeiffensc­hneider, ein Busfahrer und Laienschau­spieler aus Luxemburg, begeistert­e mit komischen Geschichte­n.
FOTO: KERSTIN KRÄMER So sah es aus, als Corinna Preisberg im ländlichen Wochern einen theatralen Rundgang entwickelt­e. Luc Pfeiffensc­hneider, ein Busfahrer und Laienschau­spieler aus Luxemburg, begeistert­e mit komischen Geschichte­n.
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FOTO: RUPPENTHAL Corinna Preisberg entwickelt das Projekt.
 ?? ?? Fürs Plakat gezeichnet: Maasouma Hussien, gezeichnet von Klaus Harth.
Fürs Plakat gezeichnet: Maasouma Hussien, gezeichnet von Klaus Harth.
 ?? ?? Batoul El Najjar, gezeichnet von Sita Ngoumou.
Batoul El Najjar, gezeichnet von Sita Ngoumou.
 ?? ?? Der Ur-Völklinger Ludwig Heil, gezeichnet von Sita Ngoumou.
Der Ur-Völklinger Ludwig Heil, gezeichnet von Sita Ngoumou.

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