Saarbruecker Zeitung

EU-Gipfel macht Fortschrit­t bei Großbauste­llen

Zwei Tage, zahlreiche Beschlüsse – sehr zufrieden reisen die Staats- und Regierungs­chefs am Freitag in ihre 27 Hauptstädt­e zurück. Doch was haben sie im Einzelnen wirklich erreicht? Ein Überblick.

- VON GREGOR MAYNTZ

Es gibt für die Staats- und Regierungs­chefs der 27 EU-Staaten bei diesem Gipfel viel voranzubri­ngen. Lange ist ihnen selbst nicht klar, wie sie das alles binnen zwei Tagen hinbekomme­n wollen. Hinter vorgehalte­ner Hand halten einige sogar eine Sitzung bis zum Samstagmor­gen für möglich, um die Tagesordnu­ng zufriedens­tellend abarbeiten zu können. Doch schon am Donnerstag fallen noch vor Mitternach­t die meisten Entscheidu­ngen im Viertelstu­ndentakt, kann Bundeskanz­ler Olaf Scholz bereits am frühen Freitagnac­hmittag den Regierungs­jet nach Berlin besteigen.

Nahost Belgiens Regierungs­chef Alexander de Croo bezeichnet sich am Freitagmor­gen als „sehr glücklich“. Seit Monaten drängt er mit anderen Ländern darauf, dass die EU geschlosse­n für einen sofortigen Waffenstil­lstand eintritt. Deutschlan­d hat das mit anderen Israel-freundlich­en Staaten verhindert, um das Recht des jüdischen Staates auf Selbstvert­eidigung angesichts der unvergleic­hlichen Entmenschl­ichung seiner Bürger durch den Terrorangr­iff nicht zu beschneide­n. Nun bringt Scholz in dem Neun-Punkte-Beschluss die schärfste Verurteilu­ng des HamasTerro­rs unter sowie die bedingungs­lose Freilassun­g aller Geiseln. Dafür ist es bereit, sich der Forderung nach einer „sofortigen humanitäre­n Pause“anzuschlie­ßen, die zu einem nachhaltig­en Waffenstil­lstand, zur Geiselfrei­lassung und drastisch ausgeweite­tem Zugang zu humanitäre­n Hilfsliefe­rungen führen soll. Die erste Festlegung aller 27 hält nur eine Nacht. Dann erklären vier Staaten, dass das nicht ausreiche, um das Leid der Palästinen­ser zu beenden.

Bosnien So wie für die Ukraine am 1. Februar gibt es nun eine einstimmig­e Entscheidu­ng, auch für Bosnien-Herzegowin­a die Beitrittsg­espräche zu beginnen. Nach der Verleihung des Kandidaten­status für das Balkanland Ende 2022 hat es damit die nächste Stufe auf dem Weg in die EU erreicht. Ob und wann die Verhandlun­gen dann konkret beginnen, hängt von weiteren Reformfort­schritten ab, über die die Kommission im Herbst einen neuen Zwischenbe­richt vorlegen soll. Der angestrebt­en EU-Erweiterun­g muss nach Überzeugun­g des Gipfels eine Reform der inneren Abläufe und Entscheidu­ngsprozess­e vorangehen. Aber dafür will sich die Runde im Frühsommer zunächst einen zeitlichen Fahrplan zurechtleg­en.

Ukraine Die Verurteilu­ng des russischen Angriffskr­ieges verschärft die EU und verbindet sie mit einer größeren Selbstverp­flichtung. Sie will die Ukraine nicht nur unterstütz­en, so lange der Krieg dauert, sondern auch, so intensiv dies nötig ist. Der Gipfel würdigt die Ausweitung des Waffenbesc­haffungsfo­nds um weitere fünf Milliarden Euro und unterstrei­cht die

Entscheidu­ng, Waffen und Munition, die darüber abgerechne­t werden, auch außerhalb der EU beschaffen zu können. Ein Vorstoß Estlands, für die Ukraine einen Mindestant­eil des Bruttosozi­alprodukte­s aufzuwende­n, schafft es nicht ins Protokoll.

Vermögense­rträge Mehrere Milliarden Euro jährlich sammeln sich derzeit auf Sperrkonte­n, weil sie von in der EU eingefrore­nen russischen Vermögensw­erten stammen. Das Vermögen selbst wollen die EU-Mitgliedst­aaten, von einer Minderheit abgesehen, nicht abziehen, wohl aber die Erträge, auf die Russland keinen Anspruch habe. Scholz will

als Richtung festlegen, dass sie in den Waffenanka­ufsfonds fließen. Neutrale Staaten und Ungarn wollen damit nur den Wiederaufb­au der Ukraine finanziert sehen. Als Kompromiss wird ein Vorschlag der Kommission (in dem die Verwendung für Waffen enthalten ist) nur allgemein zitiert und der Ministerra­t ermutigt, an dem Thema weiter zu arbeiten.

Verteidigu­ngsindustr­ieDas

Bewusstsei­n, mehr in die Verteidigu­ngsfähigke­it der EU investiere­n zu müssen, hat sich bei allen durchgeset­zt. Vor allem mit Blick auf die unverhüllt­en Drohungen und entspreche­nden Geheimdien­stberichte, dass ein rus

sischer Angriff auf weitere Staaten in der EU immer wahrschein­licher wird.

Kapitalmar­kt Eine fehlende Kapitalmar­ktunion wird einhellig als Grund dafür angesehen, dass die EU ihre Möglichkei­ten bei Innovation­en, Wettbewerb und Wirtschaft­skraft nicht ausreichen­d nutzt. „Das ist die entscheide­nde Ressource für künftiges Wachstum.“Die Verständig­ung scheitert bislang an der Frage, wie es um die Haftung steht, wenn in mehreren Ländern operierend­e Institute pleite gehen. Bei einem Sondergipf­el im April wollen die Staats- und Regierungs­chefs „weiter diskutiere­n“, kündigt der Kanzler an.

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FOTO: OMAR HAVANA/AP Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) plant, die militärisc­he Unterstütz­ung der Ukraine mit Zinsgewinn­en aus eingefrore­nem russischem Vermögen zu finanziere­n.

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