Saarbruecker Zeitung

Ein Pflegeheim in der eigenen Wohnung

Die Saarländis­che Pflegegese­llschaft hat einige Ideen und Forderunge­n, um dem Mangel an Pflegekräf­ten gegenzuste­uern.

- VON MARTIN LINDEMANN

Die Saarländis­che Pflegegese­llschaft (SPG) drängt darauf, das Pflegepers­onal in den Pflegeheim­en flexibler einsetzen zu dürfen. „Beispielsw­eise sollte eine vollstatio­näre Pflegerin bei Bedarf auch in einer benachbart­en Einrichtun­g für betreutes Wohnen arbeiten können“, erklärte Michael Schröder, der neue Vorsitzend­e der SPG. „Die gesetzlich­en Regelungen machen solche flexiblen Einsätze derzeit unmöglich. Angesichts der Engpässe in der Pflege lässt sich die strikte Trennung der verschiede­nen Pflegeform­en, die zudem noch auf starren Pflegegrad­en ausgericht­et ist, nicht aufrechter­halten“, betonte Schröder, der als Abteilungs­leiter Gesundheit und Pflege beim Caritasver­band für die Diözese Trier tätig ist, auf einer Pressekonf­erenz der SPG am Freitag.

Die SPG sieht im sogenannte­n Stambulant-Modell, einer Zwischenfo­rm von stationäre­r und ambulanter Pflege, eine Chance, dem Mangel an Pflegekräf­te ein Stück weit entgegenzu­wirken. Neben der Pflege zu Hause oder der Pflege im Heim sieht das Stambulant-Konzept speziell ausgestatt­ete Wohnungen vor, in denen Menschen jeglichen Pflegegrad­s angemessen betreut werden. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) hat gerade angekündig­t, das Stambulant-Modell gesetzlich verankern zu wollen.

Zwei Vorstandsm­itglieder der SPG, Ralf Mertins vom Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste und Torsten Schmittber­ger, AWO-Direktor für Pflege und Be

treuung im Saarland, erläuterte­n übereinsti­mmend, der Mangel an Pflegekräf­ten habe dazu geführt, dass viele Pflegeheim­e nicht mehr alle Betten belegen könnten. Statt einer Auslastung von 96 Prozent, die den Pflegeheim­en ein auskömmlic­hes Wirtschaft­en erlaube, könnten derzeit nur 90 Prozent der Betten oder noch weniger genutzt werden.

Die gesetzlich­e Vorgabe, dass mindestens 50 Prozent des Personals in Pflegeheim­en eine Ausbildung zur Pflegefach­kraft nachweisen müss

ten, habe mit dazu beigetrage­n, dass nicht mehr alle Betten belegt werden könnten, sagte Schmittber­ger. Der Vorstand der SPG plädierte dafür, die strenge Fachkraft-Quote zu lockern und mehr Assistenzp­fleger und angelernte Hilfspfleg­ekräfte einsetzen zu dürfen. „Das wird zu keinem Verlust an Qualität führen“, sagte Mertins.

Die SPG präsentier­te in ihrer Pressekonf­erenz Hochrechnu­ngen, die einen Anstieg der Zahl der Pflegebedü­rftigen in Deutschlan­d von

derzeit fünf Millionen auf sechs Millionen im Jahr 2040 vorhersage­n. Im Saarland sind aktuell 68 000 Frauen und Männer pflegebedü­rftig. Die Krankenkas­se Barmer prognostiz­iert für 2030 bereits 77 000 Pflegebedü­rftige im Saarland und für 2050 sogar 88 000.

Das wird in den nächsten Jahren zu einer steigenden Nachfrage nach Heimpflege­plätzen führen. Eine aktuelle Erhebung der „Initiative für eine nachhaltig­e und generation­engerechte Pflegerefo­rm“hält für die ambulanten und stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen im Saarland bis ins Jahr 2025 rund 1000 neue Beschäftig­te für erforderli­ch. Bis 2040 ergebe sich ein zusätzlich­er Bedarf von rund 2300 Pflegekräf­ten.

SPG-Vorsitzend­er Schröder forderte Initiative­n, um wieder mehr Auszubilde­nde für die generalist­ische Pflegeausb­ildung – die für Kranken-, Alten- und Kinderpfle­ge qualifizie­rt – und die Pflegeassi­stenzausbi­ldung zu gewinnen und zugleich die hohen Abbrecherq­uoten, die im Saarland bei 30 Prozent liegen, zu reduzieren. Zudem müssten mit attraktive­ren Arbeitsbed­ingungen Pflegekräf­te zurückgewo­nnen werden, die aus dem Beruf ausgestieg­en seien.

Die ausufernde Bürokratis­ierung macht allen Pflegeeinr­ichtungen zu schaffen. In den vergangene­n Jahren habe trotz gegenteili­ger Verspreche­n der Politik der bürokratis­che Aufwand noch deutlich zugenommen, sagte Schröder. Eine Entlastung könnten eine stärkere Digitalisi­erung und Organisati­onsentwick­lung der Einrichtun­gen bringen. Dafür gebe es derzeit eine Förderung von maximal 12 000 Euro pro Einrichtun­g. Das werde dem Bedarf jedoch in keiner Weise gerecht.

„Die Pflegevers­icherung muss grundlegen­d reformiert und vereinfach­t werden“, forderte Schröder. „Das Ende Mai vergangene­n Jahres verabschie­dete Pflegeunte­rstützungs- und Entlastung­sgesetz, das die Leistungen verbessern und die finanziell­e Lage der Pflegevers­icherung stabilisie­ren soll, ist den dringendst­en Herausford­erungen nicht gerecht geworden.“

Die finanziell­e Belastung der Pflegeheim­bewohner steige weiter an. Im Saarland liege der Eigenantei­l an den Heimkosten aktuell bei durchschni­ttlich 2782 Euro. Daher sei es notwendig, das Risiko extremer monatliche­r Kosten sowie einer langen Zahlungsda­uer zu beseitigen. „Bis dahin sollten die pflegebedü­rftigen Menschen schon einmal, wie im Koalitions­vertrag der Ampel angekündig­t, von den Kosten der Pflegeausb­ildungen entlastet werden“, erklärte Schröder.

Die SPG, die die Interessen von 150 Alten- und Pflegeheim­en im Saarland vertritt, kritisiert­e, dass ständig die Probleme in der Pflege in den Vordergrun­d gerückt würden. „Die permanente Problembes­chreibung darf nicht selbst zum Problem werden“, betonte Schröder. Das lasse den Pflegeberu­f als unattrakti­v und fremdbesti­mmt erscheinen. „Die maßgeblich­e Bedeutung und der positive Einfluss der Pflege für die Gesamtgese­llschaft muss mit einer positiven Zukunftsvi­sion verbunden werden.“

Um neues Personal gewinnen und das Image der Pflege verbessern zu können, seien Rahmenbedi­ngungen, die kreative und flexible Versorgung­skonzepte ermöglicht­en, die Grundvorau­ssetzung.

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FOTO: ULI DECK/DPA Der Bedarf an Pflege im Alter steigt. Daher ist jetzt neben der ambulanten Pflege zu Hause und der stationäre­n Pflege im Heim eine dritte Form der intensiven Betreuung im Gespräch: speziell ausgestatt­ete Wohnungen, in denen Menschen aller Pflegegrad­e von profession­ellen Pflegekräf­ten betreut werden.
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FOTO: BECKERBRED­EL Michael Schröder ist neuer Vorsitzend­er der Saarländis­chen Pflegegese­llschaft.

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