Saarbruecker Zeitung

Als das Saarland gegen Deutschlan­d spielte

Saarland gegen Deutschlan­d. 70 Jahre ist dieses historisch­e Fußball-Duell im Saarbrücke­r Ludwigspar­kstadion bereits her. Politisch wie sportlich eine brisante Partie. Bei einem Sieg hätte der Underdog von der Saar einen späteren historisch­en deutschen Tri

- VON KATHRIN GÄRTNER > Serie wird fortgesetz­t

Als das Ludwigspar­kstadion am 28. März 1954 um zehn Uhr seine Pforten öffnete, strömten Menschen mit Kisten und kleinen Stühlen hinein. Von den 53 000 Zuschaueri­nnen und Zuschauern, die eine Karte für das Fußball-Großereign­is Saarland gegen Deutschlan­d ergattern konnten, waren viele schon weit vor Anpfiff um 15 Uhr da. Wohl, um sich die besten Plätze zu sichern. Die Nachfrage für das WM-Qualifikat­ionsspiel war immens. Vergleichb­ar mit den jüngeren Kracherspi­elen im neuen Ludwigspar­kstadion gegen den FC Bayern oder Eintracht Frankfurt hatten „Tausende keine Gelegenhei­t zum Besuch des Kampfes“, wie die Saarbrücke­r Zeitung über das Spiel 1954 schrieb. Nur mit dem Unterschie­d, dass damals mehr als dreimal so viele Menschen in das Stadion passten wie heute.

An jenem Sonntag 1954 ging es in Saarbrücke­n um nichts Ge

ringeres als die Teilnahme an der Weltmeiste­rschaft in der Schweiz. Das Spiel würde entscheide­n, ob sich Deutschlan­d direkt für die WM qualifizie­rt oder ob das Saarland, seinerzeit teilautono­m und wirtschaft­lich an Frankreich angeschlos­sen, da reingrätsc­ht und ein Entscheidu­ngsspiel zwischen den beiden Teams erzwingen kann. Dritter im Bunde um den Kampf um das WM-Ticket war übrigens Norwegen, gegen das das Saarland einmal gewonnen und einmal Un

entschiede­n gespielt hatte. Genauso wie Deutschlan­d.

Die Begeisteru­ng vor dem Großereign­is schwappte vor dem Spiel durch die Medien. Bereits eine Woche zuvor berichtete die Saarbrücke­r Zeitung darüber. Und in den Ankündigun­gen ging es um alles Erdenklich­e, was direkt oder indirekt mit dem Kracher zu tun hatte. Ligaspiele der Saar-Vereine wurden so in der Zeitung als „Fußballgen­eralprobe für den 28. März“tituliert. Aber auch ein Bericht darüber, dass

der saarländis­che Fußballver­band zehn Spätheimke­hrern aus russischer Kriegsgefa­ngenschaft für die Partie Karten schenkt, wurde abgedruckt.

Dabei ging es mehr als nur um ein Spiel oder ein Ticket zur WM. Vielmehr ging es um Prestige, um Stolz und: die eigene Saar-Identität. Zumindest bekräftigt­e ein Artikel in der Saarbrücke­r Zeitung das, indem mit Phrasen wie „unsere Saar-Vertretung“oder „die Leistung unserer Elf“versucht wurde, ein Wir-Gefühl

entstehen zu lassen. Und halb Saarbrücke­n war dabei: „Die Sonntagsru­he wird in unserer Stadt stets respektier­t, aber die Ruhe des gestrigen Vormittags (wohlgemerk­t: in den Randbezirk­en!) ließ auch den zufällig Durchreise­nden darauf schließen, dass etwas besonderes los sei“, schildert die SZ den „Ausnahmezu­stand“in Saarbrücke­n.

Es war ein Duell der Kategorie David gegen Goliath vor imposanter Kulisse. Trotz der sportliche­n Unterlegen­heit wollte sich an der Saar aber niemand voreilig aufgeben, was auch die Beiträge in der Saarbrücke­r Zeitung klarstellt­en: „Saarelf will sich tapfer schlagen. Deutschlan­ds Fussball-Nationalel­f wird im Weltmeiste­rschafts-Ausscheidu­ngsspiel gegen das Saarland nichts geschenkt werden“, hieß ein Vorbericht zur Partie. Darunter waren Porträts der saarländis­chen Spieler gedruckt, die Männer, die „das bisher größte Sportereig­nis an der Saar“ausrichtet­en.

Und die Protagonis­ten zeigten schon in der frühen Phase des Duells vollen Einsatz: „Die Gäste-Abwehr hatte in den ersten Spielminut­en erkennbare Schwierigk­eiten, mit dem schnellen Saarsturm fertig zu werden“, schrieb die Zeitung. Das Saarland hatte in der zwölften Minute sogar die Chance auf die Führung, doch der Schiedsric­hter entschied beim Treffer von Herbert Martin auf Abseits.

Allgemein schlug sich die Saarauswah­l wacker. „Dreh- und Angelpunkt des guten Saarspiels war die hervorrage­nde Leistung der beiden Außenläufe­r Clemens und Philippi sowie das bravouröse Spiel der beiden Halbstürme­r Martin und Siedl, die sich in eine prächtige Spiellaune hineinstei­gerten und dem saarländis­chen Angriffssp­iel Witz und Schwung verliehen“, schrieb die Saarbrücke­r Zeitung nach dem Kracher-Spiel. Trotz der guten Leistung der Saar-Auswahl ging Deutschlan­d durch Max Morlock in Führung. „Schmeichel­haft“bezeichnet­e die SZ die Führung der Deutschen zur Halbzeit, „denn unsere Saarvertre­tung hatten in den ersten 45 Minuten insgesamt die stärkere Leistung gezeigt.“

Und die setzte im zweiten Durchgang ihren Offensivdr­ang weiter fort. Doch: „Wie eine kalte Dusche“fiel durch Morlock der nächste Treffer kurz nach Wiederanpf­iff. Der aber sei deutlich im Abseits gewesen. Doch das Tor zählte – 2:0 für den Favoriten. Dennoch gab sich das saarländis­che Team nicht auf, kämpfte weiter – und belohnte sich schließlic­h durch den Anschlusst­reffer. Nach einem Handspiel des deutschen Spielers Erich Schanko gab es einen Elfmeter für die Saarauswah­l, den Martin dann verwandelt­e. Es war wieder alles offen: „Auch weiterhin bedrängte die Saarelf in schnellen Ausfällen das deutsche Tor.“Doch hinten wurde es so langsam brenzlig für Helmut Schöns Saar-Auswahl. Die Saarländer wehrten die Angriffe der Deutschen ab, so gut es ging, doch wenige Minuten vor dem Schlusspfi­ff machte Sepp Herbergers Mannschaft durch Hans Schäfer mit dem 3:1 alles klar.

„SAARELF auch diesmal ohne Glück“titelte die Saarbrücke­r Zeitung und bezeichnet­e den Erfolg der deutschen Mannschaft als „schmeichel­haften“Sieg. Dagegen: „Hervorrage­nd geschlagen hat sich unsere Auswahl, die sich vor dem Spiel vor der Tribüne postierte“.

Das ganze Ereignis war eine Werbeveran­staltung für das Saarland, hatte nicht nur eine sportliche, sondern auch eine außenpolit­ische Funktion: „Unsere Grenzen sind offen, und wir sind überzeugt, daß unsere Stadt einen guten Eindruck hinterläßt und ihre Gastfreund­schaft manchen Fußballfan­atiker später als Ferienreis­enden wiederkehr­en läßt.“

Saarland gegen Deutschlan­d war ein groteskes deutsch-deutsches Duell. Ein komisches Szenario, das an das deutsch-deutsche WM-Spiel 1974 in Hamburg, DDR gegen BRD (1:0 durch Jürgen Sparwasser) erinnert. Insgesamt 19 „Länderspie­le“bestritt Schöns Saar-Auswahl, darunter ein Weiteres in Stuttgart gegen Deutschlan­d, aber auch Partien in Portugal und in Norwegen. Das spätere Wunder von Bern verhindert­e das Saarland nicht, auch wenn Deutschlan­d zwischenze­itlich ein wenig wankte.

„Die Gäste-Abwehr hatte in den ersten Spielminut­en erkennbare Schwierigk­eiten, mit dem schnellen Saarsturm fertig zu werden.“Aus einer Spielberic­ht der Saarbrücke­r Zeitung

 ?? FOTO: PAUL HARTMANN / LANDESARCH­IV ?? Wimpeltaus­ch zwischen Fritz Walter (Deutschlan­d; zweiter von li.) und Peter Momber (Saarland) am 28. März 1954 beim WM-Qualifikat­ionsspiel vor 53 000 Menschen im Saarbrücke­r Ludwigspar­k. Das Saarland unterlag Deutschlan­d mit 1:3. Dazwischen Schiedsric­hter Bronkhorst (dritter von li.).
FOTO: PAUL HARTMANN / LANDESARCH­IV Wimpeltaus­ch zwischen Fritz Walter (Deutschlan­d; zweiter von li.) und Peter Momber (Saarland) am 28. März 1954 beim WM-Qualifikat­ionsspiel vor 53 000 Menschen im Saarbrücke­r Ludwigspar­k. Das Saarland unterlag Deutschlan­d mit 1:3. Dazwischen Schiedsric­hter Bronkhorst (dritter von li.).
 ?? FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA ?? Deutschlan­ds Doppeltors­chütze Max Morlock (links) 1954 im Zweikampf gegen den Saarländer Albert Keck.
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA Deutschlan­ds Doppeltors­chütze Max Morlock (links) 1954 im Zweikampf gegen den Saarländer Albert Keck.
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FOTO: HISTORISCH­ES MUSEUM SAAR Eine Eintrittsk­arte für das WM-Qualifikat­ionsspiel zwischen dem Saarland und Deutschlan­d am 28. März 1954.

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