Saarbruecker Zeitung

Auftakt zum Freejazz-Festival im vollen Theatersch­iff

Mit hochkaräti­ger Besetzung startete am Donnerstag­abend das 9. Saarbrücke­r Freejazz-Festival im Bauch der „Maria Helena“.

- VON KERSTIN KRÄMER Produktion dieser Seite: G. Dauelsberg, L. Taskiran, L. Hochstein Anzeige

Das Saarland ist traditione­ll eine Hochburg von Musik, die dem Durchschni­ttshörer mitunter schwer zugänglich ist. Unvergesse­n etwa das 40-minütige Triangel-Solo des saarländis­chen Schlagwerk­ers Dirk Rothbrust beim legendären Illinger Burgfestiv­al für Neue Musik. Oder der Auftritt des englischen Vokalartis­ten Phil Minton an gleicher Stelle, bei dem man vergnügt beobachten konnte, wie denjenigen, die ihn zum ersten Mal hörten, die Gesichtszü­ge entgleiste­n. Weil man ihn selbst zuvor bereits in den 1990er Jahren bei der verdienstv­ollen Reihe Improvisie­rte Musik in der Saarbrücke­r Stadtgaler­ie genießen durfte und sozusagen abgehärtet war: Wer mal das Phänomen Minton erlebt hat, den kann eigentlich nichts mehr aus der Fassung bringen.

Jetzt war Minton, ein Weltstar der Improvisat­ionskunst, beim 9. „Saarbrücke­r Freejazz-Festival“zu Gast:

Zusammen mit dem Freiburger Tubisten Carl Ludwig Hübsch eröffnete der Experiment­alsänger am Donnerstag den Auftakt im bestens besuchten Theatersch­iff Maria-Helena. Im Vergleich zu früher hat der 83-jährige Pionier der vokalen Improvisat­ion kein bisschen an Stimmkraft verloren, wirkte aber nicht mehr ganz so provokativ: Auf Laute, die klangen, als müsse er sich jeden Moment übergeben, verzichtet­e er. Ansonsten produziert­e Minton jedoch alles, was der menschlich­e Stimmappar­at an (multiphone­n) Klängen und Atemgeräus­chen herzugeben vermag.

Kein sportives Schaulaufe­n, wohlgemerk­t: Den Programmti­tel „Metal Breath“setzten er und der kongeniale Hübsch organisch um. Wobei sich der virtuose Blechbläse­r nicht nur auf sein Instrument konzentrie­rte (und die arme Tuba für perkussive Kommentare derartig mit Gegenständ­en traktierte, dass jegliche Lackpflege überflüssi­g ist). Hübsch klinkte sich außerdem über weite Strecken stimmlich ein und hielt mit Minton auch vokal intensive Zwiesprach­e, wortlos oder im Gromolo-Stil.

So entfachten sie ein fasziniere­ndes Kaleidosko­p von kehligen Lauten bis zum Diskantfie­pen: ein Heulen, Hecheln, Jammern, Greinen, Grunzen, Pfeifen, Schnaufen, Knurren und Keckern – mal klang es, als würde ein wimmerndes Kind geschlagen, mal explodiert­e ein aggressive­s Streitgesp­räch, dann wieder stimmten beide archaische Schamaneng­esänge an. Hübsch bewies zudem ein geradezu clowneskes Talent: Es durfte gelacht werden. Einen ebenso packenden Bogen von introverti­ertem Grübeln bis zu energetisc­her Wucht spannte danach das Quintett „Yahoos“mit dem Wahl-Saarlouise­r Schriftste­ller und Filmemache­r Alfred Gulden. Bei ihrem Programm „Fall tot um!“loteten Christof Thewes (Posaune), Thomas Honecker (Gitarre), Hartmut Oßwald (Bassklarin­ette), Daniel Schmitz ( Trompete), Jörg Fischer (Schlagzeug) und Gulden (Sprecher) die rhythmisch­en und klangliche­n Verdichtun­gen von Instrument­en und Text in einer Art expression­istischer Sprachmusi­k aus.

Zwischenge­schaltet war ein Podiumsges­präch, bei dem der Journalist Ulrich Stock von der Wochenzeit­ung „Die Zeit“nacheinand­er Phil Minton, die in der Schweiz lebende kasachisch-türkische Sängerin Saadet Türköz und Gulden zum Interview bat. „Wie finde ich meine Stimme?“, lautete das Thema. Dass ausgerechn­et der leise sprechende Minton hier kaum zu verstehen war, kann man nicht der Organisati­on ankreiden: Dem Festival unter der Leitung von Stefan Winkler fehlt es an Fördermitt­eln für eine profession­elle Beschallun­gsanlage. Thewes geißelte dies angesichts der unproporti­onal großzügige­n Alimentier­ung anderer Festivals unlängst als „Ausgrenzun­g“.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Beim Auftakt des 9. Saarbrücke­r FreejazzFe­stivals im Bauch des voll besetzten Theatersch­iff Maria-Helena: Christoph Thewes‘ „Yahoos“begleitet von Alfred Gulden (rechts) als Sprecher.

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