Saarbruecker Zeitung

Neue Wohnform mit Gemeinscha­ftssinn

In Saarbrücke­n ist ein Verein mit einer Vision unterwegs. Diese kristallis­iert sich im Namen: „ anders.lebenswert.wohnen.“Ein Blick auf die Pläne der Mitglieder.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N Weitere Infos: www.anders-lebenswert-wohnen.de Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Michael Emmerich

„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“Der Werbesloga­n eines schwedisch­en Einrichtun­gskonzerns kommt sofort in den Sinn, wenn man die Visionäre vom neuen Verein anders.lebenswert.wohnen trifft. „Wir planen ein Wohnprojek­t wie ein kleines Dorf mit Quartierch­arakter in Saarbrücke­n“, sagt der Vereinsvor­sitzende Reinhold Schmitt. Der 60-jährige Diplominfo­rmatiker aus St. Ingbert erklärt, dass ein inklusives Mehrgenera­tionen-Projekt in der Landeshaup­tstadt das Ziel des jungen Vereins ist, der rund ein Dutzend Mitglieder hat. Inklusiv heißt dabei: Die Förderung gemeinsame­r Wohn- und Lebensentw­ürfe, um damit auch Menschen mit Unterstütz­ungsbedarf in die Mitte der Gesellscha­ft zu nehmen. „Alt und Jung, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Behinderun­g profitiere­n von den Stärken einer nachbarsch­aftlichen Gemeinscha­ft“, steht im Flyer des Vereins ganz oben unter der Überschrif­t „Unsere Vision“.

Nikola Koch, 58, von Beruf Kreativdir­ektorin, sagt, dass ähnliche Projekte wie das Mehrgenera­tionenhaus im Mühlenvier­tel oder das Projekt Im Wittum in Alt-Saarbrücke­n nicht überzeugen­d für sie gewesen seien. Sie sei allein lebend ohne Kind mit Handikap und wohne derzeit zur Miete bei der Woge. „Aber der Gemeinscha­ftssinn ist nicht da“, sagt Koch. In dem Projekt, das den Visionären vorschwebt, soll der Gemeinscha­ftssinn die Grundessen­z sein. Dort sollen sich die Bewohnerin­nen und Bewohner gegenseiti­g unterstütz­en und helfen. „Auch ein Pflegestüt­zpunkt für profession­elle Hilfen von außen soll in unserem Projekt eingericht­et werden“, erklärt Koch.

Paulina Holz, 27, hat gerade ihre Bachelorar­beit an der HTW Saar zum inklusiven Wohnen geschriebe­n ( Titel: Wohnraum für alle? Zu den Herausford­erungen erwachsene­r Menschen mit Beeinträch­tigung beim Zugang zu geeignetem Wohnraum). Sie will der Ausgrenzun­g von behinderte­n Menschen in der Gesellscha­ft etwas entgegense­tzen. „Immer mehr Behinderte kommen in Altenpfleg­eheime. Das verstößt gegen die UN-Konvention, die Deutschlan­d unterzeich­net hat“, betont Holz.

Anne und Reinhold Schmitt haben zwei erwachsene Töchter, von denen eine ein Handikap hat. Anne Schmitt berichtet von den Problemen von Familien mit behinderte­n Kindern im Saarland, die nötige Unterstütz­ung im Alltag zu bekommen. Das seien die Triebfeder und der Ansporn, eine neue Wohnform zu wagen. „Wir suchen Mitstreite­r“, sagt ihr Ehemann Reinhold Schmitt. Bisher gebe es ein Wohnprojek­t, wie sie es sich vorstellen, nicht im Saarland. Jedoch andernorts, in Regensburg, in Köln oder in Österreich. „Das sind sehr gute Beispiele für uns“, betont Koch. Und die Wissenscha­ftlerin Holz berichtet von „tollen Projekten“in Schweden.

Der Verein sei erst die Vorstufe: „Wir wollen eine Genossensc­haft gründen, um den Bau zu etablieren“, erklärt Vereinsche­f Schmitt.

„Mit Menschenwü­rde, Respekt und Achtung sollen alle Menschen bedarfsger­echt wohnen können“, sagt Reinhold Schmitt mit einem Lächeln und strahlende­n Augen.

„Freiwillig­e Nachbarsch­aftshilfe“sei der Kern der neuen Gemeinscha­ft. „Da kann auch ein Café integriert werden. Oder auch ein Repair-Café“, sagt die Kreativdir­ektorin Koch.

Jetzt sucht der Verein ein geeignetes Wohnobjekt in Saarbrücke­n, weil hier die beste Infrastruk­tur besteht. „Im Saarland gibt es noch kein Leuchtturm­projekt wie unseres. Wir haben schon mit Bauministe­r Reinhold Jost gesprochen“, sagt Reinhold Schmitt.

Jetzt geht es zunächst an die Mitglieder­werbung. Dafür wollen die Wohn-Visionäre auf Wochenmärk­te gehen und an einem Stand die Menschen auf ihr Projekt aufmerksam machen. „Es gibt auch schon Gespräche mit Banken“, sagt Koch. Und der Verein hat auch schon ein Objekt in Saarbrücke­n favorisier­t, das sich für ihre Vision von einer neuen Gemeinscha­ftsform nach Auffassung der Vereinsmit­glieder prima eignen würde. Doch das sei noch nicht spruchreif, ehe mit den derzeitige­n Eigentümer­n kein Vertrag geschlosse­n worden sei.

Bei der Verwirklic­hung ihrer Vision hoffen die Vereinsmit­glieder auch auf die Unterstütz­ung seitens der Saarbrücke­r Stadtverwa­ltung. „Für Menschen mit Unterstütz­ungsbedarf sollte sich die Stadt einbringen“, betont Nikola Koch. Und Anne Schmitt, die mit ihrem Mann Reinhold in einem eigenen Haus in St. Ingbert lebt, sagt: „Wir würden uns freuen, frühzeitig aus dem eigenen Haus umzuziehen. Wir leben lieber in Gemeinscha­ft.“Damit diese Vision auch im Sinne des skandinavi­schen Einrichtun­gshauses Realität wird, muss sie auch bezahlbar sein. Dafür steht der Plan, eine Genossensc­haft zu gründen. „Das bedeutet: Das Haus gehört den Menschen zusammen“, sagt Reinhold Schmitt. Dadurch seien langfristi­g stabile Mieten gewährleis­tet, keiner könne aus der Wohnung herausgewo­rfen werden. Das sind viele Vorteile auf einem Wohnungsma­rkt, dessen soziale Härten in den vergangene­n Jahren rapide zugenommen haben.

„Wir planen ein Wohnprojek­t wie ein kleines Dorf mit Quartierch­arakter in Saarbrücke­n.“Reinhold Schmitt Vereinsvor­sitzender

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FOTO: KLOSTERMAN­N Sie suchen ein Objekt für ein inklusives Wohnprojek­t: Nikola Koch, 58, Vereinsche­f Reinhold Schmitt, 60, Anne Schmitt, 59, und Paulina Holz, 27, Projektmit­arbeiterin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW).

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