Neue Wohnform mit Gemeinschaftssinn
In Saarbrücken ist ein Verein mit einer Vision unterwegs. Diese kristallisiert sich im Namen: „ anders.lebenswert.wohnen.“Ein Blick auf die Pläne der Mitglieder.
„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“Der Werbeslogan eines schwedischen Einrichtungskonzerns kommt sofort in den Sinn, wenn man die Visionäre vom neuen Verein anders.lebenswert.wohnen trifft. „Wir planen ein Wohnprojekt wie ein kleines Dorf mit Quartiercharakter in Saarbrücken“, sagt der Vereinsvorsitzende Reinhold Schmitt. Der 60-jährige Diplominformatiker aus St. Ingbert erklärt, dass ein inklusives Mehrgenerationen-Projekt in der Landeshauptstadt das Ziel des jungen Vereins ist, der rund ein Dutzend Mitglieder hat. Inklusiv heißt dabei: Die Förderung gemeinsamer Wohn- und Lebensentwürfe, um damit auch Menschen mit Unterstützungsbedarf in die Mitte der Gesellschaft zu nehmen. „Alt und Jung, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Behinderung profitieren von den Stärken einer nachbarschaftlichen Gemeinschaft“, steht im Flyer des Vereins ganz oben unter der Überschrift „Unsere Vision“.
Nikola Koch, 58, von Beruf Kreativdirektorin, sagt, dass ähnliche Projekte wie das Mehrgenerationenhaus im Mühlenviertel oder das Projekt Im Wittum in Alt-Saarbrücken nicht überzeugend für sie gewesen seien. Sie sei allein lebend ohne Kind mit Handikap und wohne derzeit zur Miete bei der Woge. „Aber der Gemeinschaftssinn ist nicht da“, sagt Koch. In dem Projekt, das den Visionären vorschwebt, soll der Gemeinschaftssinn die Grundessenz sein. Dort sollen sich die Bewohnerinnen und Bewohner gegenseitig unterstützen und helfen. „Auch ein Pflegestützpunkt für professionelle Hilfen von außen soll in unserem Projekt eingerichtet werden“, erklärt Koch.
Paulina Holz, 27, hat gerade ihre Bachelorarbeit an der HTW Saar zum inklusiven Wohnen geschrieben ( Titel: Wohnraum für alle? Zu den Herausforderungen erwachsener Menschen mit Beeinträchtigung beim Zugang zu geeignetem Wohnraum). Sie will der Ausgrenzung von behinderten Menschen in der Gesellschaft etwas entgegensetzen. „Immer mehr Behinderte kommen in Altenpflegeheime. Das verstößt gegen die UN-Konvention, die Deutschland unterzeichnet hat“, betont Holz.
Anne und Reinhold Schmitt haben zwei erwachsene Töchter, von denen eine ein Handikap hat. Anne Schmitt berichtet von den Problemen von Familien mit behinderten Kindern im Saarland, die nötige Unterstützung im Alltag zu bekommen. Das seien die Triebfeder und der Ansporn, eine neue Wohnform zu wagen. „Wir suchen Mitstreiter“, sagt ihr Ehemann Reinhold Schmitt. Bisher gebe es ein Wohnprojekt, wie sie es sich vorstellen, nicht im Saarland. Jedoch andernorts, in Regensburg, in Köln oder in Österreich. „Das sind sehr gute Beispiele für uns“, betont Koch. Und die Wissenschaftlerin Holz berichtet von „tollen Projekten“in Schweden.
Der Verein sei erst die Vorstufe: „Wir wollen eine Genossenschaft gründen, um den Bau zu etablieren“, erklärt Vereinschef Schmitt.
„Mit Menschenwürde, Respekt und Achtung sollen alle Menschen bedarfsgerecht wohnen können“, sagt Reinhold Schmitt mit einem Lächeln und strahlenden Augen.
„Freiwillige Nachbarschaftshilfe“sei der Kern der neuen Gemeinschaft. „Da kann auch ein Café integriert werden. Oder auch ein Repair-Café“, sagt die Kreativdirektorin Koch.
Jetzt sucht der Verein ein geeignetes Wohnobjekt in Saarbrücken, weil hier die beste Infrastruktur besteht. „Im Saarland gibt es noch kein Leuchtturmprojekt wie unseres. Wir haben schon mit Bauminister Reinhold Jost gesprochen“, sagt Reinhold Schmitt.
Jetzt geht es zunächst an die Mitgliederwerbung. Dafür wollen die Wohn-Visionäre auf Wochenmärkte gehen und an einem Stand die Menschen auf ihr Projekt aufmerksam machen. „Es gibt auch schon Gespräche mit Banken“, sagt Koch. Und der Verein hat auch schon ein Objekt in Saarbrücken favorisiert, das sich für ihre Vision von einer neuen Gemeinschaftsform nach Auffassung der Vereinsmitglieder prima eignen würde. Doch das sei noch nicht spruchreif, ehe mit den derzeitigen Eigentümern kein Vertrag geschlossen worden sei.
Bei der Verwirklichung ihrer Vision hoffen die Vereinsmitglieder auch auf die Unterstützung seitens der Saarbrücker Stadtverwaltung. „Für Menschen mit Unterstützungsbedarf sollte sich die Stadt einbringen“, betont Nikola Koch. Und Anne Schmitt, die mit ihrem Mann Reinhold in einem eigenen Haus in St. Ingbert lebt, sagt: „Wir würden uns freuen, frühzeitig aus dem eigenen Haus umzuziehen. Wir leben lieber in Gemeinschaft.“Damit diese Vision auch im Sinne des skandinavischen Einrichtungshauses Realität wird, muss sie auch bezahlbar sein. Dafür steht der Plan, eine Genossenschaft zu gründen. „Das bedeutet: Das Haus gehört den Menschen zusammen“, sagt Reinhold Schmitt. Dadurch seien langfristig stabile Mieten gewährleistet, keiner könne aus der Wohnung herausgeworfen werden. Das sind viele Vorteile auf einem Wohnungsmarkt, dessen soziale Härten in den vergangenen Jahren rapide zugenommen haben.
„Wir planen ein Wohnprojekt wie ein kleines Dorf mit Quartiercharakter in Saarbrücken.“Reinhold Schmitt Vereinsvorsitzender