Nagelsmanns Umbruch im härtesten Test
Nach gewaltiger Umstrukturierung trifft die deutsche Nationalmannschaft an diesem Samstag auf Frankreich und Kylian Mbappé.
(sid) Der radikale Umbruch des Julian Nagelsmann kommt auf Europas härtesten Prüfstand – und der Bundestrainer geht es an wie ein Brettspiel gegen seine Mutter. „Wenn man irgendwo teilnimmt, sollte man gewinnen wollen, selbst beim Mensch ärgere Dich nicht“, sagte er vor dem Länderspiel-Klassiker gegen den Vize-Weltmeister Frankreich: „Ich will immer gewinnen, deswegen habe ich auch viel Streit mit meiner Mama.“
Wolle seine Mannschaft im Groupama Stadium von Lyon an diesem Samstag (21 Uhr/ZDF) gegen Kylian Mbappé und die anderen Weltstars nicht gewinnen, betonte Nagelsmann, „machen wir lieber Urlaub“. Keine drei Monate vor der Heim-EM war der kurze Flug in den französischen Osten am Freitag aber eine enorm wichtige Dienstreise: Es gilt, Euphorie zu entfachen und inmitten des Trubels um seine Zukunft und den Ausrüsterwechsel zu Nike eine standfeste Startelf zu finden.
Ein Teil seines Plans wurde bereits weggefegt wie früher die Spielfiguren vom Brett. In seinen Einzelgesprächen zur Rollenverteilung hatte der Bundestrainer Manuel Neuer eröffnet, dass dieser nach 15 Monaten Zwangspause wieder die Nummer 1 sein würde – doch umgehend musste der Bayern-Torwart wegen eines Muskelfaserrisses in den Adduktoren abreisen. Er wird vom „ewigen“Stellvertreter Marc-André ter Stegen ersetzt. Auch die Neulinge Jan-Niklas Beste und Aleksandar Pavlovic stehen nicht zur Verfügung.
Dafür gibt es im deutschen Spiel
einen neuen, alten Fixstern. Toni Kroos ist nach drei Jahren Auszeit zurückgekehrt und wird als „Metronom“gleich einer der Chefs sein. Zudem hat Nagelsmann nochmals kräftig durchgewürfelt. Sechs Neulinge hatte er berufen, vier sind übrig geblieben: Der Stuttgarter Block aus Deniz Undav, Maximilian Mittelstädt, der wohl neben der neuen Stamm-Innenverteidigung aus Jonathan Tah und Antonio Rüdiger
links starten wird, und Waldemar Anton, dazu Maximilian Beier von der TSG Hoffenheim.
Weniger als drei Monate vor dem EM-Auftakt gegen Schottland (14. Juni) ist das erstaunlich viel „frischer Wind“, wie Nagelsmann es nennt. „Irgendeiner muss der erste sein, der dir etwas zutraut“, sagte er, „irgendein Trottel muss da sein, der sagt: Ich mach das jetzt. Wenn wir keinen Mut haben, wird immer alles
bleiben, wie es ist.“
Und der Bundestrainer selbst? Bleibt er, wo er ist? Der Deutsche Fußball-Bund jedenfalls geht in die Offensive und wirbt intensiv um eine Vertragsverlängerung. „Die Chemie stimmt“, sagte Präsident Bernd Neuendorf, der Verband werde sich der Klärung vor Turnierbeginn „nicht verschließen“.
Ebenso wichtig ist Nagelsmann das Einspielen einer ersten Elf, auch wenn Sportdirektor Rudi Völler als Mahner auftritt: „Rudi liegt mir immer im Ohr und sagt, dass immer noch was passieren kann, sich jemand in den Fokus spielt.“
Umkämpft erscheinen derzeit noch drei Positionen: Im Angriff muss Nagelsmann zwischen Niclas Füllkrug und Kai Havertz wählen. Den Arbeiter neben Kroos wird entweder Pascal Groß oder Robert Andrich geben. Und hinten links kann
auch David Raum agieren. Rechts verteidigt Joshua Kimmich. Gegen Frankreich stellt sich ohnehin ein beinahe unlösbares Problem: Kylian Mbappé. „Gegen ihn tun sich viele Spieler schwer, weil der zwei Stundenkilometer schneller ist als alle anderen“, sagte Nagelsmann: „Wenn man noch einen findet, der so schnell ist, kann den auch einer aus der Kreisliga verteidigen.“Bisher hat sich niemand gefunden.