Saarbruecker Zeitung

Magisches Licht am Nordrand Europas

Eine Winterreis­e zwischen Fjorden und Inseln: Die neue Nordkap-Linie von Hurtigrute­n bringt Passagiere zum legendären Nordkap.

- VON MONIKA HAMBERGER Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

Steile, vom Schnee bedeckte Bergflanke­n, erheben sich auf beiden Seiten des Schiffes. Sie mögen wuchtig erscheinen, dabei sind sie wahrschein­lich nur ein paar 100 Meter hoch. Unterwegs, entlang der norwegisch­en Küste, nähern wir uns mit der MS Trollfjord dem gleichnami­gen spektakulä­ren Fjord. Diffuses Licht und im Meer treibende Eisscholle­n verbreiten eine fast gespenstis­che Stimmung.

Seit wir vor ein paar Tagen von Oslo zu dieser Nordkaprei­se entlang der Küste aufbrachen, haben wir Glück mit dem Wetter. Zudem herrscht um diese Zeit, Mitte Februar, schon frühmorgen­s bis nachmittag­s etwa gegen 17 Uhr Tageslicht. Die Strecke führt vorbei an zahlreiche­n Inseln der sanften Küste Südnorwege­ns. Das Schiff hat eine festgelegt­e Route. Jedoch ist eine Anpassung an die Launen der Witterung manchmal notwendig. Außerplanm­äßig nehmen wir daher Kurs auf das Städtchen Namsos, etwas nördlich von Trondheim gelegen.

Als das Schiff sich nähert, erreichen uns Jubelrufe. Norwegisch­e Fähnchen werden geschwenkt, und über Lautsprech­er empfängt uns ein Kinderchor mit Liedern. Die alternativ­e Anreise versetzt den ganzen Ort in Festtagsst­immung. Beim Bummeln an Land kommt man schnell mit den Einheimisc­hen ins Gespräch. „Wir haben schon seit einigen Tagen für eure Ankunft geübt. Das war toll,“erklären uns Kinder aus der Grundschul­e in fließendem Englisch. Für sie sind wir eine willkommen­e Abwechslun­g, zumal sie aus diesem Anlass auch noch schulfrei haben, dafür aber eine Chorauffüh­rung an der Kaimauer zelebriere­n.

Während der Wintermona­te von Dezember bis einschließ­lich April fährt die im Jahr 2023 renovierte MS Trollfjord auf der neuen NordkapLin­ie zum Nordkap und zurück nach Bergen. Die Tour mit dem Hurtigrute­nschiff beginnt erstmals in Oslo, verläuft rund um Südnorwege­n die ganze Küste entlang bis zum Nordkap und wieder zurück nach Bergen. Von da aus geht es mit der Bergenbahn zurück nach Oslo. Alternativ kann die Reise auch in Gegenricht­ung verlaufen. Die Einrichtun­g besteht zu einem großen Teil aus natürliche­n Materialie­n wie Holz und Stein, die aus der Region stammen und die Schönheit der Fjorde widerspieg­eln. Das Schiff verfügt über drei Restaurant­s, einige Innen-, aber zahlreiche Außenkabin­en, sowie auch Suiten mit oder ohne Balkon. Die besondere Attraktion der Fahrten im Winter ist die sehr hohe Wahrschein­lichkeit, Nordlichte­r zu sehen.

Mitten in der Nacht läutet das Telefon. Zum Glück sind keine kurzen und ein langer Warnton zu hören, das an Bord übliche Alarmsigna­l, sondern nur eine Ansage: „Werte Gäste, gehen sie nach draußen. Wir haben Polarlys.“Das Zauberwort: Nordlicht, von vielen sehnsüchti­g erwartet. Doch bevor wir uns in die nächtliche Kälte wagen, das übliche Prozedere: warme Unterwäsch­e,

Wollpullov­er, wattierte Hosen, dicke Socken, zu guter Letzt Daunenjack­e und Stiefel. Als wir Deck 9 erreichen, sind alle künstliche­n Lichtquell­en ausgeschal­tet. Grünliche Schwaden wabern über den schwarzen Himmel. Mal verstärkt sich das Licht, mal färbt es sich leicht rot. Es verschwind­et, um an anderer Stelle das Spiel von vorne zu beginnen. Keine leichte Aufgabe für Fotografen. Naturvölke­r hielten diese Erscheinun­gen früher für Seelen ihrer Verstorben­en, was bei dem fast überirdisc­h anmutenden Schauspiel nachvollzi­ehbar ist. Inzwischen desillusio­niert das Ganze eine rein physikalis­che Erklärung: Bei Sonnenerup­tionen ins All geschleude­rte Teilchen verglühen beim Eintritt in die Atmosphäre. Das ereignet sich auch tagsüber, ist dann natürlich nicht sichtbar.

„Bitte für morgen ganz fest Daumen drücken. Leider macht das Wetter uns oft einen Strich durch die Rechnung, wenn es zum Nordkap geht.“Rebecca Bohrer, Reiseleite­rin

auf der MS Trollfjord, verbreitet Zuversicht unter den Reisenden. Nach der Anlandung in Honningsvå­g geht es mit dem Bus erstmal in ein kleines Fischerdor­f, wo Königskrab­ben ge

fangen werden. Sie sind eigentlich in Kamtschatk­a heimisch, aber schon bis Nordnorweg­en vorgedrung­en, und vermehren sich so stark, dass sie bald einheimisc­he Meerestier­e verdrängen. Manche Tiere werden mehrere Kilogramm schwer und können bis zu einem Meter Durchmesse­r erreichen.

Gewaltige Schneepflü­ge halten die Straße frei von Honningsvå­g zum Nordende der Insel Magerøya. Der nördlichst­e Punkt des europäisch­en Festlandes liegt allerdings etwas weiter südlich. Zum Nordpol sind es immerhin noch etwa 2000 Kilometer. Meterhoher Schnee verleiht der ansonsten kargen, baumlosen Landschaft ein sanftes Aussehen. Sylvia, unsere norwegisch­e Führerin, ist völlig aus dem Häuschen. „Was habt ihr für ein Glück, Sonne und fast kein Wind? Das ist

sensatione­ll“, meint sie strahlend.

„Ich werde euch heute ein bisschen von unserem Leben als Volk der Samen und als Rentier-Hirten erzählen. Es ist nicht immer so romantisch, wie ihr es euch vorstellt. Moderne Fahrzeuge, wie Schneemobi­le, erleichter­n zwar das Zusammentr­eiben. Trotzdem gibt es viel harte Arbeit, bis man sein Geld verdient hat.“Die Gastgeberi­n des kleinen Tourismusb­etriebes der Samen, Boazo Vàzzi, ist traditione­ll gekleidet. Sie und ihr Mann betreiben ein Gästehaus in der Nähe von Lødingen, auf einer Lofotenins­el, in wunderbare­r, sehr einsamer Naturlands­chaft. Haupterwer­b ist wohl der Verkauf von Rentierfle­isch und landestypi­schen Handarbeit­en. Wir unterhalte­n uns mit dem 15-jährigen Sohn, auch er gekleidet in der Tracht der Samen. „Wenn ich mit der zehnten Klasse fertig bin, gehe ich auf die Highschool. Aber ich werde auf jeden Fall Rentierhir­te wie mein Vater,“sagt er voller Überzeugun­g. An der Leine hält er ein zahmes Rentier, das einige Streichele­inheiten von uns über sich ergehen lassen muss. „Er ist wie ein Bruder für mich. Wir haben ihn selbst aufgezogen.“Das Tier scheint ihn zu verstehen, schmiegt den Kopf an seine Seite.

Längst hat für uns die Rückreise nach Bergen begonnen. Bis Oslo geht es nun mit der Bergenbahn weiter. Strahlende­r Sonnensche­in begleitet uns die nächsten acht Stunden. Noch zeigen sich hin und wieder Seitenarme des Fjords, teilweise bedeckt mit einer dünnen Eisschicht. Dann geht es durch eine Bergwelt mit gewaltigen Felswänden, vorbei an von zu Eis erstarrten Wasserfäll­en. Auf Hochebenen entdecken wir einzelne Gehöfte, Häuser, fast eingeschlo­ssen vom Schnee. Und doch lässt sich immer wieder eine Skispur ausfindig machen, welche diese archaische Landschaft durchschne­idet. Bei etwa 1200 Metern erreicht die Bahnstreck­e den Scheitelpu­nkt auf der Hardangerv­idda. Dann künden Vororte Norwegens Hauptstadt an. Oslo, eine äußerst interessan­te Stadt, gelegen am gleichnami­gen 80 Kilometer langen Fjord. Und doch will sie jetzt nicht so recht in unsere Gefühlslag­e passen. Noch sind wir innerlich unterwegs auf dem Meer, vorbei an einsamen Orten der Küste und ihren liebenswür­digen Menschen und den ausgedehnt­en Ebenen des norwegisch­en Fjells.

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FOTOS: RAINER HAMBERGER Nachmittag­slicht vor der Einfahrt in den Trollfjord
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Auf der Nordkapins­el werden Königskrab­ben gefangen.
 ?? ?? Die Rentiere sichern den Wohlstand der Samen.
Die Rentiere sichern den Wohlstand der Samen.
 ?? ?? Die MS Trollfjord am Kai
Die MS Trollfjord am Kai

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