In der Bratpfanne Andalusiens
Im Hinterland der Costa del Sol warten maurische Festungen und waghalsige Glöcknern auf ihre Entdeckung.
„Bitte nicht nachmachen“, würde Antonio Cabrera seinen Schülern gerne zurufen, wenn ihn an hohen Feiertagen einige auf das Dach der gotischen Santiago-Kirche gleich neben der Burg von Utrera begleiten. „Aber ich war ja selbst schon mit zwölf hier oben, bis man uns entdeckt und nach unten gescheucht hat“, sagt der schlaksige Geschichtslehrer mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Zusammen mit dem alten Paco und José-Manuel ist Antonio ehrenamtlich als Glöckner von Utrera im Einsatz. Im vollen Einsatz muss man anmerken. Denn die drei Männer bringen mit zwei dicken Seilen nicht nur die große Glocke im Turm dreimal zum Überschlag, damit auch der Letzte im Städtchen ihren Weckruf hört. Zum Schluss jeder Runde lässt Antonio sich vom sich aufwickelnden Seil fünf Meter in die Luft ziehen bis er seine Füße elegant auf das Drehgelenk der Glocke setzen kann. Dort balanciert der 41-Jährige mit seinem Körper gekonnt die 1000 Kilogramm schwere Glocke und ihr Widerlager aus. Wie Leonardo di Caprio in der Schlüsselszene von „Titanic“lehnt Cabrera anschließend oben im Turmfenster an der Glocke und lässt sich bewundern. Dass die Kirche unten auch einen schwarz gewordenen Jesus am Kreuz und in einem Schrank in der Krypta drei vertrocknete Mumien aufbewahrt, ist bei diesem Spektakel schnell vergessen. Vor allem die drei Glöckner sind Kult in Utrera und mit ihrem Dienst inzwischen sogar Teil des immateriellen Weltkulturerbes.
Utrera ist eine von zehn Kleinstadtperlen im Hinterland der spanischen Costa del Sol zwischen Malaga, Córdoba und Sevilla, die bei einer Rundreise durch Andalusien meist links liegengelassen werden. Von Carmona, Osuna, Lucena oder Priego de Cordoba hat im Ausland bislang kaum jemand Notiz genommen. Unter dem Motto „Caminos de Passion“werben sie jetzt gemeinsam bei Reisenden um mehr Aufmerksamkeit. Ein gleichnamiger Wander- und Radweg ist fast fertig.
Auch eine Autotour von Sevilla bis Granada ist reizvoll, denn insbesondere in den Sommermonaten kann es in der Bratpfanne Andalusiens tagsüber für sportliche Bewegung im Freien ziemlich heiß werden. Und Leidenschaft, also „Passion“, die sei in Andalusien sowieso selbstverständlich, sagt Encarnación Giráldez Cejudo, die das Projekt mit koordiniert.
Zwischen heute schätzungsweise 60 Millionen Olivenbäumen sowie ungezählten Weinstöcken und Orangenhainen fühlten sich nach den Iberern schon die Griechen und Römer wohl. Auf einer luftigen An
höhe weit oben über dem Guadalquivir fanden sie bereits eine große Stadt mit mächtiger Mauer vor und wurden schnell heimisch. In der Ausgrabung von Torreparedones wurde eine Thermenanlage ebenso entdeckt wie Kaufmannshäuser und ein Gräberfeld. Auf dem Forum stehen drei kopflose Statuen und eine vergoldete Inschrift im Pflaster erinnert wie ein modernes Werbebanner an ihren Stifter. Wenn man Glück hat, tritt aus einem der Schatten eine als Römerin gekleidete Einheimische mit einem kühlen Krug Honigwein. Von einem Turm aus der Maurenzeit reicht das Rundum-Pa
norama schließlich bis zur Sierra de Andujar im Norden und zur Sierra Cazorla im Osten. Aus dem Mittagsdunst ragen sogar die Schneereste auf den Gipfeln der Sierra Nevada im Süden. Bislang haben nur wenige Besucher die gewundene Seitenstraße vom Weiler Castro del Rio genommen. Torreparedones wirkt trotz seiner spektakulären Lage unberührt wie bekannte Ruinenstätten vor hundert Jahren.
An der Fuente Alamo bei Puente Genil stieß ein Olivenbauer 1982 auf ein römisches Mosaik. Die Stadt organisierte zwei Jahrzehnte später erste Ausgrabungen, die bis heute
andauern. Es hat sich gelohnt: Entdeckt wurden 780 Quadratmeter Mosaikböden, die größte Sammlung Spaniens. Zu sehen gibt es neben drei tanzenden nackten Grazien den wohl ältesten erotischen Comic der Weltgeschichte. Verraten sei nur, dass Kraniche darin eine Hauptrolle spielen. Auf einem Esel reitet schließlich ein betrunkener Glatzkopf, gestützt von zwei Begleitern. David Jaén Cubero hält ihn für den Hausherren der spätrömischen Domäne. „Er zeigt sich als Hüter des Imperium Romanum und des guten Lebens“, interpretiert Jaén die Szene.
Trotzdem war das Imperium wenig später Geschichte. Geprägt haben die damals noch wenig wasserreichere Region seither zwei andere Religionen. Christen und die muslimischen Mauren fochten viele Jahrhunderte lang um das wertvolle Grenzland. Viele Orte wie die Stadt Jerez tragen bis heute den Beinamen „de la Frontera“. Alcalá la Real, die „treue Stadt“wird bis heute von der Mauren-Festung La Mota dominiert. In der Nähe des letzten maurischen Stützpunktes in Granada wurde sie gleich mit mehreren Mauerringen und zahlreichen Toren geschützt. „Erst als die christlichen Eroberer einen Gang zum Brunnen durch die Mauer gruben und das Wasser vergifteten, zogen die Mauren ab“, erklärt Gästeführerin Maika Camero. So steht auf dem Gipfelplateau heute eine christliche Kirche. Drinnen wartet eine Überraschung: Statt Sitzbänken und Marmorböden liegt Besuchern ein frühchristlicher Friedhof zu Füßen.
Durch klimatische Veränderungen und die Abholzung der Wälder sprudelt das Wasser heute nur noch an einigen Stellen reichlich. Das beschauliche Priego de Cordoba auf einem Felsplateau ist wegen seiner zahlreichen Brunnen als Cuidad del agua – Stadt des Wassers – gerühmt. Die Bewohner in den engen, gewundenen Altstadtgässchen nutzen es auf ihre Weise. Sie schmücken die weiß getünchten Fassaden mit unzähligen Geranien. Die 80-jährige Donna Rosa hat gleich 150 Töpfe aufgehängt. Jeden zweiten Tag holt sie ihre Leiter aus dem Haus und gießt mit ihrer Kanne jede einzelne Blume. Ein, zwei Stunden müsse sie sich dafür schon Zeit nehmen, sagt Donna Rosa. Das sei eben ihre Leidenschaft. Zwar kommen bislang noch längst nicht so viele Bewunderer wie ins größere Córdoba. Dafür aber hat Donna Rosa in diesem Jahr beim städtischen Wettbewerb wieder den ersten Platz für die schönste Fassade gemacht.