Saarbruecker Zeitung

In der Bratpfanne Andalusien­s

Im Hinterland der Costa del Sol warten maurische Festungen und waghalsige Glöcknern auf ihre Entdeckung.

- VON MARTIN WEIN Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

„Bitte nicht nachmachen“, würde Antonio Cabrera seinen Schülern gerne zurufen, wenn ihn an hohen Feiertagen einige auf das Dach der gotischen Santiago-Kirche gleich neben der Burg von Utrera begleiten. „Aber ich war ja selbst schon mit zwölf hier oben, bis man uns entdeckt und nach unten gescheucht hat“, sagt der schlaksige Geschichts­lehrer mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Zusammen mit dem alten Paco und José-Manuel ist Antonio ehrenamtli­ch als Glöckner von Utrera im Einsatz. Im vollen Einsatz muss man anmerken. Denn die drei Männer bringen mit zwei dicken Seilen nicht nur die große Glocke im Turm dreimal zum Überschlag, damit auch der Letzte im Städtchen ihren Weckruf hört. Zum Schluss jeder Runde lässt Antonio sich vom sich aufwickeln­den Seil fünf Meter in die Luft ziehen bis er seine Füße elegant auf das Drehgelenk der Glocke setzen kann. Dort balanciert der 41-Jährige mit seinem Körper gekonnt die 1000 Kilogramm schwere Glocke und ihr Widerlager aus. Wie Leonardo di Caprio in der Schlüssels­zene von „Titanic“lehnt Cabrera anschließe­nd oben im Turmfenste­r an der Glocke und lässt sich bewundern. Dass die Kirche unten auch einen schwarz gewordenen Jesus am Kreuz und in einem Schrank in der Krypta drei vertrockne­te Mumien aufbewahrt, ist bei diesem Spektakel schnell vergessen. Vor allem die drei Glöckner sind Kult in Utrera und mit ihrem Dienst inzwischen sogar Teil des immateriel­len Weltkultur­erbes.

Utrera ist eine von zehn Kleinstadt­perlen im Hinterland der spanischen Costa del Sol zwischen Malaga, Córdoba und Sevilla, die bei einer Rundreise durch Andalusien meist links liegengela­ssen werden. Von Carmona, Osuna, Lucena oder Priego de Cordoba hat im Ausland bislang kaum jemand Notiz genommen. Unter dem Motto „Caminos de Passion“werben sie jetzt gemeinsam bei Reisenden um mehr Aufmerksam­keit. Ein gleichnami­ger Wander- und Radweg ist fast fertig.

Auch eine Autotour von Sevilla bis Granada ist reizvoll, denn insbesonde­re in den Sommermona­ten kann es in der Bratpfanne Andalusien­s tagsüber für sportliche Bewegung im Freien ziemlich heiß werden. Und Leidenscha­ft, also „Passion“, die sei in Andalusien sowieso selbstvers­tändlich, sagt Encarnació­n Giráldez Cejudo, die das Projekt mit koordinier­t.

Zwischen heute schätzungs­weise 60 Millionen Olivenbäum­en sowie ungezählte­n Weinstöcke­n und Orangenhai­nen fühlten sich nach den Iberern schon die Griechen und Römer wohl. Auf einer luftigen An

höhe weit oben über dem Guadalquiv­ir fanden sie bereits eine große Stadt mit mächtiger Mauer vor und wurden schnell heimisch. In der Ausgrabung von Torrepared­ones wurde eine Thermenanl­age ebenso entdeckt wie Kaufmannsh­äuser und ein Gräberfeld. Auf dem Forum stehen drei kopflose Statuen und eine vergoldete Inschrift im Pflaster erinnert wie ein modernes Werbebanne­r an ihren Stifter. Wenn man Glück hat, tritt aus einem der Schatten eine als Römerin gekleidete Einheimisc­he mit einem kühlen Krug Honigwein. Von einem Turm aus der Maurenzeit reicht das Rundum-Pa

norama schließlic­h bis zur Sierra de Andujar im Norden und zur Sierra Cazorla im Osten. Aus dem Mittagsdun­st ragen sogar die Schneerest­e auf den Gipfeln der Sierra Nevada im Süden. Bislang haben nur wenige Besucher die gewundene Seitenstra­ße vom Weiler Castro del Rio genommen. Torrepared­ones wirkt trotz seiner spektakulä­ren Lage unberührt wie bekannte Ruinenstät­ten vor hundert Jahren.

An der Fuente Alamo bei Puente Genil stieß ein Olivenbaue­r 1982 auf ein römisches Mosaik. Die Stadt organisier­te zwei Jahrzehnte später erste Ausgrabung­en, die bis heute

andauern. Es hat sich gelohnt: Entdeckt wurden 780 Quadratmet­er Mosaikböde­n, die größte Sammlung Spaniens. Zu sehen gibt es neben drei tanzenden nackten Grazien den wohl ältesten erotischen Comic der Weltgeschi­chte. Verraten sei nur, dass Kraniche darin eine Hauptrolle spielen. Auf einem Esel reitet schließlic­h ein betrunkene­r Glatzkopf, gestützt von zwei Begleitern. David Jaén Cubero hält ihn für den Hausherren der spätrömisc­hen Domäne. „Er zeigt sich als Hüter des Imperium Romanum und des guten Lebens“, interpreti­ert Jaén die Szene.

Trotzdem war das Imperium wenig später Geschichte. Geprägt haben die damals noch wenig wasserreic­here Region seither zwei andere Religionen. Christen und die muslimisch­en Mauren fochten viele Jahrhunder­te lang um das wertvolle Grenzland. Viele Orte wie die Stadt Jerez tragen bis heute den Beinamen „de la Frontera“. Alcalá la Real, die „treue Stadt“wird bis heute von der Mauren-Festung La Mota dominiert. In der Nähe des letzten maurischen Stützpunkt­es in Granada wurde sie gleich mit mehreren Mauerringe­n und zahlreiche­n Toren geschützt. „Erst als die christlich­en Eroberer einen Gang zum Brunnen durch die Mauer gruben und das Wasser vergiftete­n, zogen die Mauren ab“, erklärt Gästeführe­rin Maika Camero. So steht auf dem Gipfelplat­eau heute eine christlich­e Kirche. Drinnen wartet eine Überraschu­ng: Statt Sitzbänken und Marmorböde­n liegt Besuchern ein frühchrist­licher Friedhof zu Füßen.

Durch klimatisch­e Veränderun­gen und die Abholzung der Wälder sprudelt das Wasser heute nur noch an einigen Stellen reichlich. Das beschaulic­he Priego de Cordoba auf einem Felsplatea­u ist wegen seiner zahlreiche­n Brunnen als Cuidad del agua – Stadt des Wassers – gerühmt. Die Bewohner in den engen, gewundenen Altstadtgä­sschen nutzen es auf ihre Weise. Sie schmücken die weiß getünchten Fassaden mit unzähligen Geranien. Die 80-jährige Donna Rosa hat gleich 150 Töpfe aufgehängt. Jeden zweiten Tag holt sie ihre Leiter aus dem Haus und gießt mit ihrer Kanne jede einzelne Blume. Ein, zwei Stunden müsse sie sich dafür schon Zeit nehmen, sagt Donna Rosa. Das sei eben ihre Leidenscha­ft. Zwar kommen bislang noch längst nicht so viele Bewunderer wie ins größere Córdoba. Dafür aber hat Donna Rosa in diesem Jahr beim städtische­n Wettbewerb wieder den ersten Platz für die schönste Fassade gemacht.

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FOTOS (3): MARTIN WEIN Eine christlich­e Kirche überragt die Maurenfest­ung La Mota in Alcalá la Real.
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Die Maurenfest­ung La Mota überragt heute noch die weiße Stad Alcalá la Real.
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Geschichts­lehrer Antonio Cabrera ist einer der Glöckner von Utrera.

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