Saarbruecker Zeitung

Ein schlauer Kanzler, aus dem wohl keiner schlau wird

Olaf Scholz wollte Regierungs­chef einer „Fortschrit­tskoalitio­n“werden. Stattdesse­n wurde er ein sozialdemo­kratischer Kanzler in Kriegszeit­en.

- VON SVEN GÖSMANN

(dpa) Wer ist dieser Kanzler Olaf Scholz? Der Antwort auf diese Frage ist wahrschein­lich noch kaum jemand näher gekommen als der Journalist Daniel Brössler.

Er begleitet Scholz seit dem Amtsantrit­t 2021 nahezu auf Schritt und Tritt. Er reiste mit ihm im Sonderzug nach Kiew, traf ihn zu drei ausführlic­hen Gesprächen und befragte Weggefährt­en aus allen Lebensphas­en des Kanzlers. In seinem Buch „Ein deutscher Kanzler. Olaf Scholz, der Krieg und die Angst“legt der Journalist der Süddeutsch­en Zeitung nun das Porträt eines Regierungs­chefs in historisch­en Zeiten vor.

Brössler rekapituli­ert die ereignisre­ichen Stunden im Kanzleramt nach dem Beginn des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Um 4.30 Uhr reißt der Anruf aus dem Lagezentru­m der Bundesregi­erung Scholz in Potsdam aus dem Schlaf: „Es geht los.“Russlands Präsident Wladimir Putin hat – wie länger befürchtet­et – seine Armee den Angriff auf Kiew starten lassen.

Die Stunden, in denen Scholz mit seinen engsten Beratern die deutsche Antwort auf diesen einmaligen Schritt formuliert, erlebt man eben so mit wie die hektische Telefondip­lomatie des Olaf Scholz. Am Ende steht die Erkenntnis, die er in seiner Regierungs­erklärung wenige Tage später formuliert.

Es handele sich um eine „Zeitenwend­e“der deutschen Politik. Ausgerechn­et eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP liefert Waffen in ein Kriegsgebi­et, die Sozialdemo­kraten stehen vor dem Scherbenha­ufen ihrer jahrzehnte­langen russlandfr­eundlichen Politik.

Brösslers Annäherung an Scholz liest sich auch deshalb packend, weil sie ebenso die persönlich­e Zeitenwend­e des SPD-Politikers beschreibt: vom friedensbe­wegten Hamburger Jungsozial­isten, der in die DDR reist und 1981 mit 300 000 anderen gegen den NatoDoppel­beschluss des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt demonstrie­rt, zum Regierungs­chef, der entscheide­n muss, welche Waffen er wann an die Ukrainer liefert. Dazu die Angst vor leeren Gasspeiche­rn, die aussichtsl­osen Gespräche mit Putin, die permanente­n Turbulenze­n um alles und nichts in der Ampel-Koalition.

„Ein deutscher Kanzler“zeichnet Scholz als einen sehr von sich selbst überzeugte­n Mann, der aber seine politische­n Überzeugun­gen durchaus wandelt. In jungen Jahren reist er nach Moskau, schreibt noch als

Jurastuden­t marxistisc­he Aufsätze. Heute geriert er sich als Pragmatike­r, der Besonnenhe­it als seinen Markenkern ausweist. Zugleich versucht er, sich mit seinem Zögern bei der Lieferung der Taurus-Marschflug­körper als „Friedenska­nzler“bei verängstig­ten Wählern zu positionie­ren – während Deutschlan­d so viele Waffen an die Ukraine liefert wie sonst nur die Amerikaner.

Wer also ist dieser Olaf Scholz? Das bis heute gültige Urteil fällen laut Buch schon früh die Mitschüler von Scholz am Gymnasium in Hamburg-Rahlstedt: „Die anderen wissen: Scholz ist schlau. Sie werden aber nicht schlau aus ihm.“

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Kanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete im Februar 2022 eine politische „Zeitenwend­e“.

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