Der Ton im Bundestag wird rauer
Das geänderte Klima lässt sich an der gestiegenen Anzahl von Ordnungsmaßnahmen erkennen. Nicht nur eine Partei allein ist dafür verantwortlich.
gut zehn Tagen gab es erneut einen Eklat im Bundestag, wegen dem einem Abgeordneten die Zahlung von 1000 Euro Ordnungsgeld droht. AfD-Gesundheitspolitiker Kay-Uwe Ziegler hatte im Gesundheitsausschuss den Platz der amtierenden Vorsitzenden Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) eingenommen und vor sich ein Schild „Ausschussvorsitzender“gestellt. Hintergrund ist, dass die AfD bei der Wahl zum Vorsitz bislang gescheitert ist. Er weigerte sich zunächst, den Platz zu räumen, was zu einer Verzögerung der Sitzung führte. Ordnungsgeld wird im Falle einer „nicht nur geringfügige Verletzung der Hausordnung des Bundestages“verhängt. Das Beispiel des Abgeordneten Ziegler ist nur eines von vielen, das deutlich macht: Der Ton im Bundestag wird zwischen politischen Gegnern rauer. Zwar ist dafür häufig die AfD verantwortlich, aber nicht nur. Wer regelmäßig den Plenardebatten zuhört, bemerkt den harscheren Umgang. Auch der Blick auf eine Bundestagsstatistik, die unserer Redaktion vorliegt, zeigt, wohin die Reise geht. So gab es seit Beginn dieser Legislaturperiode Ende 2021 schon mehr als 90 Ordnungsrufe, mit denen das Präsidium Mitglieder des Bundestages, „wenn sie die Ordnung verletzen, mit Nennung des Namens zur Ordnung rufen“. In der gesamten vierjährigen Wahlperiode davor waren es keine 50.
Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) appelliert angesichts dieser Entwicklung an die Vorbildfunktion der Abgeordneten. Im Gespräch mit unserer Redaktion äußert sie ihre große Sorge, „dass die Grenzen des Rechtes und des Anstandes bei Plenardebatten im Deutschen Bundestag immer häufiger überschritten werden“. Dies spiegele sich nicht zuletzt in der deutlichen Zunahme von Ordnungsmaßnahmen seitens des Präsidiums gegen einzelne Abgeordnete in der jetzigen Wahlperiode wider. Sie betont: „Es ist höchste Zeit, dass wir uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf unsere Vorbildfunktion für die Debattenkultur im Land besinnen und einer Vergiftung der politischen Kultur entgegenwirken. Der politische Wettstreit ist nicht mit verbalen Entgleisungen oder Drohgebärden zu führen, sondern mit klugen und möglichst überzeugenden Argumenten.“
Pau selbst hat laut Plenarprotokoll etwa im vergangenen November nach einer Debatte über „Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ein Ordnungsgeld gegen AfD-Politikerin Beatrix von Storch verhängt. Diese kündigte später an, dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen. Im Fall des Abgeordneten Ziegler ist derweil AfD-fraktionsintern ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Doch dass in Bundestagsdebatten unparlamentarische Äußerungen fallen, gehöhnt und gespottet wird, das dürfte sich so schnell nicht ändern.