Saarbruecker Zeitung

Kraftstoff aus Küchenrest­en auf dem Vormarsch

Klimafreun­dlicher Sprit aus gebrauchte­n Speiseölen und anderen Abfällen soll nun auch in Deutschlan­d an die Tankstelle­n kommen. Vor allem gewerblich­e Kunden dürften das Angebot nutzen.

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(dpa) Die Bundesregi­erung hat den Weg für erdölfreie­n Biodiesel im Autotank nach langer Hängeparti­e freigemach­t, am Freitag zog der Bundesrat nach. Dieselfahr­zeuge können nun ab Mitte April klimafreun­dlichen Sprit aus Abfallstof­fen tanken. Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) sprach von einem wichtigen Schritt für mehr Klimaschut­z im Verkehr. „Der Kraftstoff ist besonders hochwertig und nachhaltig.“

Was ist HVO100?

Im Moment erlaubt der Gesetzgebe­r in Deutschlan­d im Diesel nur Biokraftst­off-Beimischun­gen von 7 Prozent. Laut Verband der Deutschen Biokraftst­offindustr­ie ( VDB) ist dieser B7 die gängige Dieselsort­e an deutschen Tankstelle­n. Künftig sollen sie auch 100-prozentige­n Biodiesel aus zertifizie­rten, nachhaltig­en Rest- und Abfallstof­fen verkaufen dürfen. Meist handelt es sich um alte Fette aus Großküchen, aber auch Holzreste, Zellulosea­bfälle oder Fischreste. Das Kürzel HVO bedeutet Hydrotreat­ed Vegetable Oils: Mit Wasserstof­f behandelte Pflanzenöl­e.

Was bringt HVO dem Klima?

In Deutschlan­d sind laut Kraftfahrt­Bundesamt heute mehr als 14 Millionen Autos, Lastwagen und andere Kraftfahrz­euge mit Dieselmoto­ren unterwegs. Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) sagte: „Mit HVO100 können wir die CO2

Emissionen im Verkehr kurzfristi­g senken.“Die Einsparung betrage bis zu 95 Prozent im Vergleich zu herkömmlic­hem Diesel.

Wie groß ist die wirtschaft­liche Bedeutung von HVO100?

Wie der Bundesverb­and freier Tankstelle­n (BfT) mitteilte, wird der Biodiesel heute ausschließ­lich im öffentlich­en Nahverkehr, von Logistikbe­treibern und in der Landwirtsc­haft verwendet; an Tankstelle­n ist er noch nicht frei verfügbar. Aber das Potenzial in der Speditions­und Logistikbr­anche sei groß: „Wir schätzen, dass 80 Prozent der HVONutzung gewerblich sein wird.“Laut VDB wird die globale HVO-Produktion bis 2025 voraussich­tlich 30 Millionen Tonnen überschrei­ten. Der finnische HVO-Hersteller Neste rechnet damit, dass biogene Kraftstoff­e bis 2040 etwa 1 Milliarde Tonne Rohöl ersetzen können, was etwa 40 Prozent des weltweiten Bedarfs im Transport ausmacht.

Ist der Biodiesel teurer als Diesel aus Erdöl?

Ja, weil die Produktion­skosten höher sind. Nach den Erfahrunge­n in anderen europäisch­en Ländern, in denen HVO schon längst getankt werden kann, ist er 15 bis 20 Cent pro Liter teurer als fossiler Diesel, wie der BfT mitteilte. Der Bundesverb­and Energie-Mittelstan­d (Uniti), bei dem 40 Prozent der Straßentan­kstellen organisier­t sind, erwartet, „dass in der ersten Anlaufphas­e HVO100 für Flottenbet­reiber besonders interessan­t sein wird“:

Sie können so CO2-Vorgaben auch mit bestehende­n Fahrzeugen leichter erreichen. Wenn HVO-100-Diesel bei der Energieste­uer gegenüber fossilem Diesel entlastet würde, hülfe das der Wirtschaft und dem Klima zusätzlich.

Schadet HVO100 dem Motor?

„Moderne Dieselmoto­ren sind grundsätzl­ich dafür geeignet“, sagte Wissing. „Es bedarf keiner technische­n Anpassunge­n oder Umrüstunge­n der Fahrzeuge oder des flächendec­kenden Tankstelle­nnetzes“, heißt es in einer Erklärung von ADAC, Uniti, Kfz-Gewerbe, Logistikve­rbänden und einigen Lkw-Hersteller­n. Der ADAC weist allerdings darauf hin, dass die Freigabe von

Kraftstoff für einen Motor grundsätzl­ich beim Fahrzeughe­rsteller liege. „Aktuell liegen solche Freigaben nur für wenige Modelle der Marken Audi, BMW, Citroën/Peugeot/Opel, Nissan, Renault/Dacia, Seat/Cupra, Škoda, Toyota, Volvo und VW vor.“Man brauche „dringend weitere umfassende Hersteller­freigaben für bisherige Pkw-Modelle“, damit HVO100 von den Verbrauche­rn angenommen werde.

Ab wann gibt es HVO100 an Tankstelle­n in Deutschlan­d?

Der neue Kraftstoff werde nicht an jeder Tankstelle verfügbar sein, „sondern nach und nach erst flächendec­kend angeboten werden“, teilte der ADAC mit.

Uniti teilte mit, der Tankstelle­nmittelsta­nd „steht in den Startlöche­rn“: Wenn der Bundesrat am Freitag zustimmt, könnte HVO100 am 13. April in den öffentlich­en Verkauf gehen. Biogener HVO-Diesel und grünstromb­asierter synthetisc­her E-Diesel werde an den Tankstelle­n mit dem Hinweis „XtL“gekennzeic­hnet. „Wir gehen nicht davon aus, dass mit der Einführung von HVO100 andere Angebote entfallen.“

Dagegen hieß es vom BfT: „HVO wird bei Markteinfü­hrung an einigen wenigen Tankstelle­n zu tanken sein – aus Platzgründ­en und da auch eine technische Umstellung erfolgen muss.“Der BfT würde es begrüßen, wenn Benzin E5 nicht mehr von den Tankstelle­n vorgehalte­n werden müsse: „Damit wäre der Platz frei für HVO.“

Was machen andere Länder?

Laut Bundesverk­ehrsminist­erium kann man den Biosprit in den Niederland­en, Schweden, Litauen und vielen anderen Ländern bereits tanken. Laut Uniti ist HVO100 bereits an über 600 Tankstelle­n in Europa frei erhältlich. In den meisten EUStaaten und in den USA sei der Verkauf erlaubt. Da bei Ausschreib­ungen von internatio­nalen Logistikau­fträgen vermehrt strenge CO2-Anforderun­gen gelten, sei das Verbot in Deutschlan­d ein Wettbewerb­snachteil für deutsche Anbieter gewesen.

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FOTO: MORITZ FRANKENBER­G/DPA Bei Regionalbu­s Braunschwe­ig (RBB) fahren Busse der Deutschen Bahn erstmals mit dem Biokraftst­off HVO.
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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) sieht erdölfreie­n Biodiesel als wichtig für mehr Klimaschut­z.

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