Kassen fordern gerechteren Mutterschutz
Bei Fehlgeburten bis zur 23. Schwangerschaftswoche haben Frauen derzeit keinerlei Anspruch auf Mutterschutzgeld.
die eine Fehlgeburt erlitten haben, werden nicht automatisch krankgeschrieben. Auch erhalten sie nicht automatisch Mutterschutz. In diesen Fällen müssen betroffene Frauen am nächsten Tag wieder arbeiten gehen. Doch für viele Frauen ist eine Fehlgeburt mit Trauer, Schmerzen und auch Scham verbunden. Sie brauchen Zeit und Ruhe, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten. Eine bundesweite Initiative unter Federführung der IKK Südwest setzt sich jetzt für einen erweiterten Mutterschutz ein.
In der Regel wird ein Kind bei einer durchschnittlich verlaufenden Schwangerschaft in der 38. Woche geboren. Nach aktueller Rechtslage gibt es bei Fehlgeburten für Frauen, die ihr Kind bis zum letzten Tag der 23. Schwangerschaftswoche verlieren, null Tage Mutterschutz. Verlieren sie ihr Kind nur 24 Stunden später, am ersten Tag der 24. Woche, stehen ihnen acht Wochen Mutterschutz zu.
Diese Grenze ist für Prof. Dr. Jörg Loth, den Vorstandsvorsitzenden der in Saarbrücken ansässigen IKK Südwest, medizinisch nicht begründbar: „Das ist eine willkürliche Festlegung, was zu Ungleichbehandlungen von Frauen nach einer Tot- oder Fehlgeburt führt. Diese Ungerechtigkeit gilt es zu beseitigen. Es darf nicht an einer starren Gramm- und Wochenzahl festgemacht werden, welche Frau sich als Mutter fühlen darf und welche nicht.“
Die IKK Südwest treibt federführend für den Verbund der Innungskrankenkassen eine Initiative für einen gestaffelten Mutterschutz voran. Das Konzept stammt von Natascha Sagorski aus dem bayerischen Unterföhring, die 2015 eine Fehlgeburt erlitten hat, am Folgetag aber wieder zur Arbeit erscheinen sollte. Sagorski verfasste eine Petition zu einem erweiterten Mutterschutz, die von über 75 000 Menschen unterschieben wurde. 2022 nahm sich der Petitionsausschuss des Bundestages der Sache an.
In Deutschland sind von 1000
Geburten 33 Fehlgeburten. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. 80 Prozent aller Fehlgeburten finden in den ersten 13 Wochen einer Schwangerschaft statt. Für den angestrebten gestaffelten Mutterschutz – je weiter die
Schwangerschaft bis zur Fehlgeburt fortgeschritten ist, desto länger soll der Mutterschutz andauern –, hat die IKK schon Vorschläge erarbeitet.
Frauen, die zwischen der sechsten und 14. Schwangerschaftswoche ihr Kind verlieren, soll ein mindestens vierzehntägiger Mutterschutz zustehen. Bei einer Fehlgeburt bis zur 23. Schwangerschaftswoche sollen es bis zu vier Wochen sein, von der
24. Woche an bis zu acht. Allen betroffenen Frauen sollen selbst entscheiden können, ob sie den Mutterschutz ganz oder nur teilweise in Anspruch nehmen oder sofort in den Beruf zurückkehren wollen.
Sagorski hat die Idee Ende vergangenen Jahres im Familienausschuss des Bundestages vorgetragen und jetzt wieder auf einem parlamentarischen Abend in Berlin im Beisein von Bundestagsabgeordneten der SPD, CDU, Grünen und Linken. Hier stellte Jörg Loth eine Auswertung von Versichertendaten der IKK Südwest vor: „Mehr als 60 Prozent der Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, erkranken im Anschluss psychisch. Oft führen solche psychischen Folgen zu langwierigen Ausfällen am Arbeitsplatz.“
Weil Firmen bei solchen Krankschreibungen weiterhin den Lohn zahlen müssen, werden sie dadurch finanziell belastet. Lediglich Betriebe mit maximal 30 Beschäftigten erhalten dafür von den Krankenkassen einen Teil dieser Kosten zurück, weil sie gesetzlich verpflichtet sind,
bei den Kassen eine entsprechende Versicherung (Umlage 1, „Krankheitsumlage“) abzuschließen.
Zur sogenannten Umlage 2 („Mutterschaftsumlage“) sind allerdings alle Firmen unabhängig von der Zahl der Mitarbeiter verpflichtet. Mit diesen Einnahmen übernehmen die Krankenkassen den kompletten Lohn, der Frauen im Mutterschutz zusteht. „Die Belastungen verteilen sich also auf mehr Schultern. Wenn wir uns für den gestaffelten Mutterschutz einsetzen, unterstützen wir damit neben kleineren Betrieben und Start-ups auch die vielen kleinen Handwerksfirmen unserer Region“, erläutert Loth.
Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmerinnen bekommen derzeit sechs Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung und acht Wochen danach Mutterschaftsgeld von ihrer Krankenkasse, pro Tag bis zu 13 Euro. Der dann noch verbleibende Teil der Lohnfortzahlung im Mutterschutz wird aus der Umlage 2 finanziert.
Der Vorstandsvorsitzende der In
nungskrankenkassen, Hans-Peter Wollseifer, rechnete auf dem parlamentarischen Abend vor: „Selbst wenn 100 Prozent der betroffenen Frauen den gestaffelten Mutterschutz in Anspruch nähmen, kämen auf die Gesetzliche Krankenversicherung pro Jahr lediglich Mehrkosten in Höhe von zirka fünf Millionen Euro zu. Wenn sich nur 50 Prozent für den Mutterschutz entscheiden, was wohl eher realistisch ist, sind es noch 2,5 Millionen Euro.“
Auf die Umlagekasse kämen im Fall, dass 100 Prozent der Frauen den gestaffelten Mutterschutz nutzten, Mehrkosten von 25 Millionen Euro pro Jahr zu. Würden 50 Prozent der Frauen die Leistung beanspruchen, müsste die Umlagekasse 12,5 Millionen Euro aufbringen. „Das ist ein Betrag, der angesichts der Bedeutung des Themas vernachlässigbar ist“, sagte Wollseifer. Loth erklärte, die IKK Südwest sei zuversichtlich, dass das Gesetz für einen gestaffelten Mutterschutz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werde.