War’s das mit der Lebensmittelverschwendung?
Am Saarbrücker Lehrstuhl für Sensortechnik liefen kürzlich die Telefone heiß: Wird dort wirklich eine elektronische „ Supernase“entwickelt, die uns sagt, wie lange unsere Lebensmittel im Kühlschrank noch haltbar sind? Viel verlässlicher, als wir es durch
Ja, doch – fünf Jahre seien realistisch, überschlägt Dr. Christian Bur. Dann dürfte es im Supermarkt handliche Messgeräte geben, die dem Personal anzeigen, wie lange das angebotene Obst und Gemüse haltbar ist. Genauso, wie diese Geruchsscanner bei der Wareneingangsprüfung sofort erschnüffeln werden, wie frisch die kistenweise angelieferte Ware ist. Modernste Sensorsysteme, an denen sie am Lehrstuhl für Messtechnik der Saarbrücker Uni derzeit im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts tüfteln, machen es möglich.
Was den Kühlschrank zuhause angeht, wird es bis zur Marktreife hingegen wohl länger dauern, ist der Lehrstuhlinhaber, Professor Andreas Schütze, da deutlich vorsichtiger. Zwar sind die Saarbrücker Sensortechniker im Rahmen des EUProjekts auch an der Entwicklung spezieller intelligenter Vorratsboxen beteiligt, die uns künftig anzeigen sollen, wie lange wir die darin im Kühlschrank aufbewahrten Produkte noch bedenkenlos essen können. Weil wir aber normalerweise eine große Produktpalette (von Gemüse über Fleisch und Käse bis zu den Lasagneresten von gestern) kühlen, die ganz unterschiedliche Geruchsindikatoren hinsichtlich Reife und Verderb aufweisen, wird der Weg bis zu smarten Tupperdosen steiniger und länger sein. Die Vielfalt der Lebensmittel und deren „ganz unterschiedlichen Geruchssignale“, umreißt Schütze das Grundproblem, machen die Sache so unglaublich diffizil. Zumal viele Lebensmittel tatsächlich lebendig sind, weshalb Bananen etwa neben Äpfeln schneller reifen oder eine angeschimmelte Orange im Netz die anderen früher faulen lässt.
„In drei Jahren könnten wir auch da erste Prototypen zu haben“, hofft Schützes Forschungsleiter Bur auf
einen Durchbruch bei schlauen Sensoren für Zuhause. Während wir uns bislang entweder am aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatum orientieren (und es fälschlicherweise oft mit der Höchsthaltbarkeit verwechseln), uns auf unseren Geruchssinn verlassen oder bei Schimmel oder Fäulnis auf den Augenschein, sollen mit KI trainierte Sensoren das schon bald sehr viel genauer für uns feststellen.
Als ein SR-Beitrag über das Projekt es unlängst bis auf die tagesschau. de-Seite schaffte, wurde der Saarbrücker Lehrstuhl anschließend mit Interviewanfragen von Radiound Fernsehsendern bombardiert. Elektronische „Supernasen“gegen Lebensmittelverschwendung? Wann soll's das geben? Zwar war das Beispiel im Beitrag – schimmelige Orangen – eher abwegig, weil dergleichen mit bloßem Auge zu erkennen ist und man dazu keine ausgeklügelte Sensortechnik braucht: Das Thema aber trifft einen Nerv der Zeit. Jeder kennt das: „Ist das noch okay oder doch lieber in den Müll damit?“, gehört zu den millionenfach gestellten Fragen bei jeder, nicht selten vom schlechten Gewissen getriebenen Kühlschrank-Inspektion. Viele gehen da lieber auf „Nummer sicher“.
Die Kehrseite: Fast zwei Drittel der in Deutschland anfallenden Lebensmittelabfälle wären nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen vermeidbar. Die Hauptverursacher dieser Verschwendung sind mit ei
nem Anteil von 59 Prozent wir, die Privathaushalte. Pro Jahr wirft jeder von uns im Schnitt 78 Kilogramm an Lebensmitteln in die Tonne. Ein Drittel aller gekauften Fressalien wird weggeworfen. Gäbe es eine Möglichkeit, die Haltbarkeit unserer zuhause gelagerten Lebensmittel verlässlich und bequem zu überprüfen, ließe sich diese Menge merklich verringern, bestenfalls sogar minimieren. An der Saarbrücker Uni sind sie zuversichtlich, dass wir uns in einigen Jahren für zehn oder 15 Euro einen solchen Lebensmittel-Check ins Haus holen können. „Ein intelligenter Vorratsbehälter, der seinen Inhalt kontrolliert und ein Messge
rät für Supermärkte, das genau angibt, wie lange unverpacktes Obst und Gemüse noch frisch ist“, fasst es Prof. Schütze zusammen, könnten in rund fünf Jahren in Deutschlands Discountern (und etwas später auch in der heimischen Küche) Alltag werden. „Zumindest für Obst und Gemüse“, schränken Schütze und Bur ein.
Was heute in greifbare Nähe rückt, wäre vor wenigen Jahren noch unmöglich gewesen. Dank der Entwicklungen in der Mikrochip-Industrie und den rasanten Fortschritten beim maschinellen Lernen (KI) lassen sich jetzt Sensoren entwickeln, die uns viel genauer und verlässli
cher, als wir dies je durch Riechen oder Schmecken selbst abschätzen könnten, den Frischegrad und die Haltbarkeit unserer Einkäufe voraussagen. Um das ungeheure Potenzial der Gassensorsysteme zu verdeutlichen, benutzt Andreas Schütze gerne das Bild vom Schnapsglas Alkohol im 50 Meter-Schwimmbecken. Die Sensorsysteme spüren demnach kleinste Molekülverbindungen an Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Ethen oder Essigsäure auf, die bei durch Bakterien oder Schimmelpilzen ausgelösten Zersetzungsprozessen entstehen und schlagen Alarm.
Schütze und sein Team haben, was die Kalibrierung sogenannter „low cost-Sensoren“zur exakten Messung flüchtiger organischer Verbindungen angeht, im Lauf der Jahre derart viel Knowhow gesammelt, dass sie dort nach eigener Aussage mittlerweile weltweit als führend gelten. Frühere Forschungsprojekte des Lehrstuhls kreisten etwa um das Messen der Luftqualität von Innenräumen. Ein anderes, aktuelles widmet sich der Atemgasanalyse beim AntibiotikaEinsatz intensivmedizinisch betreuter Patienten. Bei dem mit 1,8 Millionen Euro geförderten EU-Projekt zur Haltbarkeitsermittlung von Lebensmitteln arbeiten die Saarbrücker mit Lebensmittelchemikern und Materialwissenschaftlern der Universitäten von Padua, Zaragoza und Leuven sowie fünf Industrieunternehmen zusammen. Drei der sieben über das EU-Projekt finanzierten Doktoranden sind an den Lehrstuhl Andreas Schützes angedockt, die Nachwuchsforscher kommen aus Iran, Pakistan und Italien – so viel zur Internationalität heutiger Forschung an der Saar.
Wieso das mit den smarten Tupperboxen, die uns über ihren fingernagelgroßen, im Deckel untergebrachten Sensorchip alles Wissenswerte über den Reifezustand unserer Lebensmittel verraten werden, noch etwas dauern wird, hat nicht nur mit dem Gemischtwarenladen zu tun, den jeder gefüllte Kühlschrank nicht zuletzt hinsichtlich seiner Geruchsvalenzen darstellt. Es hat auch damit zu tun, dass es nicht einfach ist, objektive Parameter für Reifezustände festzulegen, die die KI entsprechend lernen kann. „Wir messen nicht einfach nur eine Konzentration der einzelnen Substanzen, sondern ihr Konzentrationsverhältnis in der Luft“, erläutert Schütze das Prinzip. „An den individuellen Geruchsabdrücken, sogenannten Smellprints, wollen wir dann den jeweiligen Zustand der Lebensmittel ablesen“, ergänzt Bur. Ein Kernproblem, das derzeit noch zu knacken ist, besteht darin, gültige Maßstäbe festzulegen, auf deren Basis der jeweilige „Sensorspiegel“weiß, wann eine Orange oder ein Brokkoli noch als reif und wann beide als überreif gelten.
Die Medien, die in den letzten Wochen am Saarbrücker Lehrstuhl eine Story nach dem Motto „weniger weggeschmissene Lebensmittel dank intelligenter Kühlschrankboxen“abgreifen wollten, mussten sich dann doch anhören, dass die Sache nicht ganz so einfach wie erwünscht ist. Kommen wird sie aber eines Tages, die KI-gestützte Vorratsbox, die uns nachhaltiger haushalten lässt mit unseren Beständen. Schützes neueste Idee ist, dem Sensor eine Bilderkennung hinzuzufügen, sodass die KI im Wortsinne „auf einen Blick“weiß, für welches Lebensmittel sie den Verzehrzustand anhand der charakteristischen Geruchssignatur des Produkts ermitteln soll. Hmm, denkt man sich, so könnte es „ja was werden“mit der smarten Tupperdose.