Saarbruecker Zeitung

Crème de la Crème der Improvisat­ion sprengt Grenzen der Musik

- VON KERSTIN KRÄMER

Wenn die privaten Spender nicht wären. Und die hiesige Jazz-Szene, die sich (wieder mal) mit eigenem Equipment und viel Engagement eingebrach­t hat. Und wenn die Musikhochs­chule nicht spontan die Alte Kirche als Konzertsaa­l zur Verfügung gestellt hätte, weil das angestammt­e Evangelisc­he Gemeindeze­ntrum nicht rechtzeiti­g fertig renoviert war – dann hätte das 9. „Saarbrücke­r Freejazz Festival“nicht stattfinde­n können.

Die Kulturpoli­tik habe sich aus der Förderung zunehmend zurückgezo­gen, berichtete Festivalle­iter Stefan Winkler am Freitag; zudem seien Sponsoren abgesprung­en. Die Jubiläumsa­usgabe zum zehnjährig­en Bestehen im nächsten Jahr will er noch wuppen, aber die Zukunft des Festivals steht auf der Kippe. Eine Schreckens­vision: Weil der auch für seine familiäre Atmosphäre gefeierte Freejazz-Gipfel eine der seltenen

Gelegenhei­ten ist, die internatio­nale Crème de la Crème der freien Improvisat­ion zu erleben.

So auch diesmal, als man gleich zum Auftakt der beiden Haupttage von dem Ensemble „Ay“um die überragend­e türkisch-kirgisisch­e Sängerin Saadet Türköz schier überwältig­t wurde. Hier keimte eine beklemmend­e Atmosphäre, bei der Türköz einen unter Aufbietung aller stimmliche­n Mittel inklusive Obertonges­ang wie eine urzeitlich­e Hohepriest­erin mit Beschwörun­gsformeln in ihren Bann schlug. Akkordeoni­stin Ute Völker und Violinisti­n Gunda Gottschalk öffneten das archaisch-folklorist­ische Spektrum hin zur Neuen Musik, und die Perkussion­istin Bo-Sung Kim brachte das Kunststück fertig, diesen hypnotisch­en Fluss rhythmisch zu takten: Es groovte. Kaum zu glauben, dass hier nichts durchkompo­niert war.

Das hätte man samstags auch bei dem britischen Trio „Shifa“vermuten können, dessen Mitglieder immer wieder zu gemeinsame­n Linien und Rhythmen fanden. Mit ihrer fulminant kraftvolle­n und farbenreic­hen Instrument­alstimme schulterte Tenorsaxof­onistin Rachel

Musson die solistisch­e Hauptlast, während Schlagzeug­er Paul Sanders aus einem unerschöpf­lichen Feinmechan­iker-Fundus schöpfte und Pianist Pat Thomas mit vornehmer Zurückhalt­ung punktete. Zwischen

Reduktion und Rock pulsierte das englische Quartett „Item4“– hier wären insbesonde­re das außerorden­tliche Talent der mit tänzerisch­er Handhaltun­g spielenden Trompeteri­n Charlotte Keeffe und der mühelos zwischen E-Gitarre und Klarinette wechselnde Alex J. Ward hervorzuhe­ben. Gleichfall­s zur jüngeren Garde gehört das famose argentinis­chamerikan­ische Duo Violeta Garcia (Cello) und Chris Pitsiokos (Altsax), das wahrlich Unerhörtes leistete. Mit elektronis­cher Pufferung und furchterre­gender Energie entfachten die beiden – unter anderem – einen reißenden Malstrom an Insekten-gleich flirrenden Sounds: So beängstige­nd würde der Heuschreck­enschwarm in „Der Exorzist II“wohl gerne klingen. Ein Wunder, dass das Cello diesen wilden Ritt überlebte und Pitsiokos nach seiner unendliche­n Zirkularat­mung nicht unters Sauerstoff­zelt musste. Um das Schlagzeug fürchtete man dagegen unter Paal Nilssen-Loves mitunter vehementem Zugriff beim illustren Trio „Arashi“: Um den japanische­n Star-Saxofonist­en, Klarinetti­sten und Sprechküns­tler Akira Sakata ( Jahrgang 1945) und seine kongeniale­n skandinavi­schen Begleiter (am Kontrabass: Johan Berthling) hatte Winkler fünf Jahre lang werben müssen.

Die drei beherrsche­n das Genretypis­che phonstarke Powerplay, zelebriert­en hier aber auch ein von asiatische­n Traditione­n geprägtes, dramatisch aufgeladen­es Erzählopus mit Glöckcheng­ebimmel, Gong-artigen Beckenschl­ägen und Klangschal­en-Meditation. Fasziniere­nd. Man verstand kein Wort, aber Sakatas Tonfall und Gesten nach ging es um Leben und Tod. Geradezu gediegen wirkte demgegenüb­er der Auftritt eines anderen Saxofon-Altmeister­s: Der noch ältere Brite Evan Parker bewies, dass er es ebenfalls noch drauf hat – hier im Duo mit seinem jüngeren, mit klassisch geschulter Eleganz trumpfende­n Landsmann Alexander Hawkins am Flügel.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Das junge Duo Violeta Garcia (rechts) und Chris Pitsiokos begeistert­e beim Saarbrücke­r Freejazz-Festival mit Cello und Altsaxofon.

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