Crème de la Crème der Improvisation sprengt Grenzen der Musik
Wenn die privaten Spender nicht wären. Und die hiesige Jazz-Szene, die sich (wieder mal) mit eigenem Equipment und viel Engagement eingebracht hat. Und wenn die Musikhochschule nicht spontan die Alte Kirche als Konzertsaal zur Verfügung gestellt hätte, weil das angestammte Evangelische Gemeindezentrum nicht rechtzeitig fertig renoviert war – dann hätte das 9. „Saarbrücker Freejazz Festival“nicht stattfinden können.
Die Kulturpolitik habe sich aus der Förderung zunehmend zurückgezogen, berichtete Festivalleiter Stefan Winkler am Freitag; zudem seien Sponsoren abgesprungen. Die Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen im nächsten Jahr will er noch wuppen, aber die Zukunft des Festivals steht auf der Kippe. Eine Schreckensvision: Weil der auch für seine familiäre Atmosphäre gefeierte Freejazz-Gipfel eine der seltenen
Gelegenheiten ist, die internationale Crème de la Crème der freien Improvisation zu erleben.
So auch diesmal, als man gleich zum Auftakt der beiden Haupttage von dem Ensemble „Ay“um die überragende türkisch-kirgisische Sängerin Saadet Türköz schier überwältigt wurde. Hier keimte eine beklemmende Atmosphäre, bei der Türköz einen unter Aufbietung aller stimmlichen Mittel inklusive Obertongesang wie eine urzeitliche Hohepriesterin mit Beschwörungsformeln in ihren Bann schlug. Akkordeonistin Ute Völker und Violinistin Gunda Gottschalk öffneten das archaisch-folkloristische Spektrum hin zur Neuen Musik, und die Perkussionistin Bo-Sung Kim brachte das Kunststück fertig, diesen hypnotischen Fluss rhythmisch zu takten: Es groovte. Kaum zu glauben, dass hier nichts durchkomponiert war.
Das hätte man samstags auch bei dem britischen Trio „Shifa“vermuten können, dessen Mitglieder immer wieder zu gemeinsamen Linien und Rhythmen fanden. Mit ihrer fulminant kraftvollen und farbenreichen Instrumentalstimme schulterte Tenorsaxofonistin Rachel
Musson die solistische Hauptlast, während Schlagzeuger Paul Sanders aus einem unerschöpflichen Feinmechaniker-Fundus schöpfte und Pianist Pat Thomas mit vornehmer Zurückhaltung punktete. Zwischen
Reduktion und Rock pulsierte das englische Quartett „Item4“– hier wären insbesondere das außerordentliche Talent der mit tänzerischer Handhaltung spielenden Trompeterin Charlotte Keeffe und der mühelos zwischen E-Gitarre und Klarinette wechselnde Alex J. Ward hervorzuheben. Gleichfalls zur jüngeren Garde gehört das famose argentinischamerikanische Duo Violeta Garcia (Cello) und Chris Pitsiokos (Altsax), das wahrlich Unerhörtes leistete. Mit elektronischer Pufferung und furchterregender Energie entfachten die beiden – unter anderem – einen reißenden Malstrom an Insekten-gleich flirrenden Sounds: So beängstigend würde der Heuschreckenschwarm in „Der Exorzist II“wohl gerne klingen. Ein Wunder, dass das Cello diesen wilden Ritt überlebte und Pitsiokos nach seiner unendlichen Zirkularatmung nicht unters Sauerstoffzelt musste. Um das Schlagzeug fürchtete man dagegen unter Paal Nilssen-Loves mitunter vehementem Zugriff beim illustren Trio „Arashi“: Um den japanischen Star-Saxofonisten, Klarinettisten und Sprechkünstler Akira Sakata ( Jahrgang 1945) und seine kongenialen skandinavischen Begleiter (am Kontrabass: Johan Berthling) hatte Winkler fünf Jahre lang werben müssen.
Die drei beherrschen das Genretypische phonstarke Powerplay, zelebrierten hier aber auch ein von asiatischen Traditionen geprägtes, dramatisch aufgeladenes Erzählopus mit Glöckchengebimmel, Gong-artigen Beckenschlägen und Klangschalen-Meditation. Faszinierend. Man verstand kein Wort, aber Sakatas Tonfall und Gesten nach ging es um Leben und Tod. Geradezu gediegen wirkte demgegenüber der Auftritt eines anderen Saxofon-Altmeisters: Der noch ältere Brite Evan Parker bewies, dass er es ebenfalls noch drauf hat – hier im Duo mit seinem jüngeren, mit klassisch geschulter Eleganz trumpfenden Landsmann Alexander Hawkins am Flügel.