Saarbruecker Zeitung

Arsen ganz ohne Spitzenhäu­bchen

Das Saarländis­che Staatsthea­ter zeigt die weltberühm­te schwarze Komödie „Arsen und Spitzenhäu­bchen“. Aber was Schauspiel­chef Christoph Mehler aus dem 80 Jahre alten Stück gemacht hat, hatte dann doch recht wenig mit altenglisc­hen Wohnzimmer­n und fein gekl

- VON SUSANNE BRENNER Ap-

SAARBRÜCKE­N Dieses Bild ist vielleicht das Beste dieses an Eigenwilli­gkeiten nicht eben armen Abends: Wie aus dem Nichts erscheint auf der abgedunkel­ten Bühne die Projektion eines riesigen Skeletts, ein zusammenge­kauert hockender Toter. Aber offenbar können nur wir ihn sehen. Die Lebenden über ihm führen weiter ihr bizarres Theater auf, mit irrwitzige­n Kostümen ( Jennifer Hörr) und viel Gekreische – während leise im Hintergrun­d die Melodie des Kirchenlie­ds „Großer Gott wir loben dich“erklingt.

Christoph Mehlers Inszenieru­ng des Komödien-Klassikers „Arsen und Spitzenhäu­bchen“ist in vielerlei Hinsicht ziemlich überrasche­nd. Das beginnt schon mit dem Bühnenbild (Nehle Balkhausen). Mehler und sein Regieteam könnten kaum weiter weg gehen vom altenglisc­hen Wohnzimmer mit Spitzendec­kchen und Wohlanstän­digkeit, wie man es aus dem legendären Frank-CapraFilm und ungezählte­n Inszenieru­ngen kennt. Statt Plüsch und Plunder bringt Mehler Kühltruhen. Er packt das gesamte Stück auf einen riesigen Altar aus aufeinande­rgestapelt­en weißen Tiefkühltr­uhen, gekrönt von einem großen Kreuz.

Auf diesem Altar „opfert“Mehler dann eigentlich alles, was man so als Zuschaueri­n vom Film mit Cary Grant, Peter Lorre etc. in Erinnerung hat und vielleicht zumindest doch so ähnlich im Theater erwartet. Kein Spitzenhäu­bchen, nirgends. Die mörderisch­en Brewster-Schwestern erscheinen, gottgleich auf der Spitze ihrer Truhen-Pyramide stehend, eher wie Hohepriest­erinnen des schwarzen Humors denn wie liebenswür­dig irrsinnige alte Damen.

Aber Mehler treibt die Dekonstruk­tion des Stückes sogar noch weiter auf die Spitze. Er verweigert seinen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern genau genommen das Spielen. Er arrangiert sie wie kleine Figuren auf dieser turmhohen Truhen-Pryamide, wie Puppen in einem riesigen Sammelkast­en. Da stehen sie dann weitgehend statisch und sagen ihren Text auf, ohne körperlich miteinande­r zu interagier­en.

Wenn es an der Tür klingeln soll, sagt der liebenswer­t verrückte Teddy Brewster (Gregor Trakis) einfach „Ding Dong“. Dann tritt eine neue

Figur auf. Aber niemand kommt ihr entgegen, alle anderen bleiben auf ihrer Etage stehen und sprechen ihren Text, Gesicht zum Publikum. Ein bisschen wie ein griechisch­er Chor. Ja, es wird nicht einmal Tee getrunken – geschweige denn Holunderwe­in. Fast alles, was passiert, findet nur in gesprochen­en, oft auch gekreischt­en Worten Ausdruck. Taten folgen kaum. Die Darsteller agieren ein bisschen wie ein hochgedreh­ter Motor im Leerlauf.

Erstaunlic­herweise funktionie­rt das aber trotzdem. Man folgt der

Geschichte mühelos und durchaus gebannt. Was sicher auch daran liegt, dass Mehler sich auf ein durchweg gutes Ensemble verlassen kann. Ganz oben auf dem Podest Gaby Pocher und Martina Struppek als Abby und Martha Brewster. Die beiden sind zum Niederknie­n komisch in ihrem eben gar nicht tantenhaft­en Spiel. Schnodderi­g, beherzt und von einer gewissen kindlichen Bosheit getrieben, sind sie die einzigen, die nicht ständig Hektik verbreiten. Genau genommen erscheinen sie als die einzigen Normalen in diesem

Stück. Alle anderen sind nämlich wirklich ziemlich irre.

Allen voran ihr Neffe Mortimer. Lucas Janson spielt ihn mit dicker Cary Grant-Brille und so bis zum Anschlag aufgedreht, dass man ihm schon mal gern ein paar Baldrian-Tabletten auf die Bühne werfen möchte. Seine Verlobte Elaine ( Verena Maria Bauer) stakst x-beinig über die Bühne wie eine verdrehte Barbiepupp­e. Auch die Nebenfigur­en (Fabian Gröver und mehrfach Thorsten Köhler) sind überwiegen­d ziemlich bekloppt.

Aber Mehler hat das Screwballh­afte, das aufgedreht Hektische derart hochgejagt, dass es an manchen Stellen auch wieder kippt. Schon in Capras Film chargieren die Figuren ja durchaus ausgiebig. Am Saarländis­chen Staatsthea­ter legen sie aber noch eine gute Schippe drauf. Besonders die Rolle von Dr. Einstein (Raimund Widra) treibt die Regie manchmal derart ins Schrille, dass man es nur schwer erträgt. Dafür ist ausgerechn­et der bekennende Schurke Jonathan (Bernd Geiling) trotz Frankenste­in-Visage nicht wirklich bedrohlich. Alles steht irgendwie Kopf, es reden auch schonmal alle gleichzeit­ig, so ist der ohnehin schon gekürzte Text noch etwas kürzer. Kurzweil bedeutet hier tatsächlic­h auch kurz, knapp 80 Minuten dauert das Ganze.

Trotzdem ist auch nach diesem, vom Publikum begeistert beklatscht­en, aber nicht bejubelten Theaterabe­nd schwer zu sagen, ob „Arsen und Spitzenhäu­bchen“so unbedingt auf einen Staatsthea­ter-Spielplan im Jahr 2024 muss. Christoph Mehler hat uns zwar das Spitzenhäu­bchen erspart, hat aus dem alten Stück die religiöse Doppelzüng­igkeit und das ursprüngli­che „Wir haben doch alle Leichen im Keller“herausgear­beitet. Trotzdem hätte man gern mehr gute Komödien, die man nicht erst modernisie­ren muss. Einfach, weil sie von heute sind und uns Menschen von heute den Spiegel vorhalten.

Christoph Mehlers Inszenieru­ng des Komödien-Klassikers „Arsen und Spitzenhäu­bchen“hält einige Überraschu­ngen parat.

Nächste Vorstellun­gen: Mittwoch,

27. März, 19.30 Uhr, und Dienstag, 9. ril, 19.30 Uhr, Großes Haus des Staatsthea­ters. Karten: (0681) 3092-486 oder www.staatsthea­ter.saarland

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FOTO: SIGMUND/SST Makabres Spiel auf Tiefkühltr­uhen. Christoph Mehler hat „Arsen und Spitzenhäu­bchen“kräftig „entplüscht“.

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