Vier Tatverdächtige nach Anschlägen von Moskau in Haft
Vor Gericht erscheinen die Männer schwer verletzt. Beobachter vermuten, dass Russland durch Folter vom Versagen der eigenen Geheimdienste ablenken will.
(dpa/afp) Mehrere Tage nach dem Terroranschlag bei Moskau mit mindestens 137 Toten richtet sich der Blick in Russland vor allem auf vier mittlerweile inhaftierte Tatverdächtige. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte sich am Montag zunächst nicht zu den schweren Verletzungen der Männer äußern, die auf Folter durch russische Sicherheitskräfte hindeuten. Stattdessen kündigte er für den Abend ein Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Vertretern verschiedener staatlicher Strukturen an, bei dem weitere Maßnahmen als Reaktion auf den Anschlag diskutiert werden sollen. Bei dem im Fernsehen übertragenen Treffen machte Putin „radikale Islamisten“für den Angriff auf den Konzertsaal bei Moskau verantwortlich. „Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde“, sagte Putin. Nach dem Anschlag hätten die Attentäter versucht, in die Ukraine zu fliehen und es stelle sich die Frage, warum: „Wer hat sie dort erwartet?“, fragte Putin.
Vor Ort hielten in der zerstörten Crocus City Hall die Aufräumarbeiten an; es ist nicht ausgeschlossen, dass in den Trümmern der ausgebrannten Konzerthalle noch weitere Leichen gefunden werden.
Als die mutmaßlichen Täter am Sonntag von Polizisten und Geheimdienstlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzungen auf. Mehrere der Männer, die am vergangenen Freitag in der Konzerthalle Crocus City Hall um sich geschossen haben sollen, wiesen stark geschwollene Gesichter, Platzwunden und Blutergüsse auf. Einer hatte einen großen Verband am Ohr. Ein anderer konnte nicht mehr selbst laufen und verlor Berichten zufolge zwischenzeitlich das Bewusstsein. Er wurde auf einer Krankenliege in den Gerichtssaal gefahren, wo die Haftbefehle erlassen wurden. Zuvor waren in Sozialen Netzwerken Videos aufgetaucht, die zeigen sollen, dass die mutmaßlichen Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde.
Zu einem Journalisten, der auf die im Gerichtssaal sichtbaren Verletzungen und auf die Foltervideos hinwies, sagte Kremlsprecher Peskow lediglich: „Ich lasse diese Frage unbeantwortet.“Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlichkeit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtapparat seine eigene Grausamkeit so demonstrativ zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichtendienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom „Versagen der russischen Geheimdienste“vor dem Anschlag, zeigte er sich überzeugt.
Zu den Hintergründen des Angriffs auf die Crocus City Hall äußerte sich Peskow indes nicht. Bereits mehrfach für sich reklamiert hat den Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Die russische Propaganda versucht indes, einen angeblichen Zusammenhang zur Ukraine herzustellen, gegen die Putin seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt. Beweise für diese Behauptung gibt es aber keine. Die ukrainische Führung hat die Vorwürfe zudem strikt zurückgewiesen.
In Krankenhäusern wurden am Montag noch immer 97 Verletzte behandelt, wie die Leiterin der Gesundheitsverwaltung im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, mitteilte. Die Patientinnen und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt, ihre Verletzungen seien unterschiedlich schwer. Bei dem Anschlag waren nach letzter Zählung der Behörden 137 Menschen getötet und mehr als 180 verletzt worden. An einem improvisierten Gedenkort am Zaun des Geländes Crocus City legten Menschen Blumen nieder.