Saarbruecker Zeitung

Vier Tatverdäch­tige nach Anschlägen von Moskau in Haft

Vor Gericht erscheinen die Männer schwer verletzt. Beobachter vermuten, dass Russland durch Folter vom Versagen der eigenen Geheimdien­ste ablenken will.

- VON HANNAH WAGNER UND FRIEDEMANN KOHLER Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Markus Renz

(dpa/afp) Mehrere Tage nach dem Terroransc­hlag bei Moskau mit mindestens 137 Toten richtet sich der Blick in Russland vor allem auf vier mittlerwei­le inhaftiert­e Tatverdäch­tige. Kremlsprec­her Dmitri Peskow wollte sich am Montag zunächst nicht zu den schweren Verletzung­en der Männer äußern, die auf Folter durch russische Sicherheit­skräfte hindeuten. Stattdesse­n kündigte er für den Abend ein Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Vertretern verschiede­ner staatliche­r Strukturen an, bei dem weitere Maßnahmen als Reaktion auf den Anschlag diskutiert werden sollen. Bei dem im Fernsehen übertragen­en Treffen machte Putin „radikale Islamisten“für den Angriff auf den Konzertsaa­l bei Moskau verantwort­lich. „Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde“, sagte Putin. Nach dem Anschlag hätten die Attentäter versucht, in die Ukraine zu fliehen und es stelle sich die Frage, warum: „Wer hat sie dort erwartet?“, fragte Putin.

Vor Ort hielten in der zerstörten Crocus City Hall die Aufräumarb­eiten an; es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass in den Trümmern der ausgebrann­ten Konzerthal­le noch weitere Leichen gefunden werden.

Als die mutmaßlich­en Täter am Sonntag von Polizisten und Geheimdien­stlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzung­en auf. Mehrere der Männer, die am vergangene­n Freitag in der Konzerthal­le Crocus City Hall um sich geschossen haben sollen, wiesen stark geschwolle­ne Gesichter, Platzwunde­n und Blutergüss­e auf. Einer hatte einen großen Verband am Ohr. Ein anderer konnte nicht mehr selbst laufen und verlor Berichten zufolge zwischenze­itlich das Bewusstsei­n. Er wurde auf einer Krankenlie­ge in den Gerichtssa­al gefahren, wo die Haftbefehl­e erlassen wurden. Zuvor waren in Sozialen Netzwerken Videos aufgetauch­t, die zeigen sollen, dass die mutmaßlich­en Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnit­ten wurde.

Zu einem Journalist­en, der auf die im Gerichtssa­al sichtbaren Verletzung­en und auf die Foltervide­os hinwies, sagte Kremlsprec­her Peskow lediglich: „Ich lasse diese Frage unbeantwor­tet.“Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbene­n Kremlgegne­rs Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlich­keit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtappar­at seine eigene Grausamkei­t so demonstrat­iv zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichte­ndienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom „Versagen der russischen Geheimdien­ste“vor dem Anschlag, zeigte er sich überzeugt.

Zu den Hintergrün­den des Angriffs auf die Crocus City Hall äußerte sich Peskow indes nicht. Bereits mehrfach für sich reklamiert hat den Anschlag die Terrormili­z Islamische­r Staat. Westliche Sicherheit­sbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamische­r Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Die russische Propaganda versucht indes, einen angebliche­n Zusammenha­ng zur Ukraine herzustell­en, gegen die Putin seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskr­ieg führt. Beweise für diese Behauptung gibt es aber keine. Die ukrainisch­e Führung hat die Vorwürfe zudem strikt zurückgewi­esen.

In Krankenhäu­sern wurden am Montag noch immer 97 Verletzte behandelt, wie die Leiterin der Gesundheit­sverwaltun­g im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, mitteilte. Die Patientinn­en und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt, ihre Verletzung­en seien unterschie­dlich schwer. Bei dem Anschlag waren nach letzter Zählung der Behörden 137 Menschen getötet und mehr als 180 verletzt worden. An einem improvisie­rten Gedenkort am Zaun des Geländes Crocus City legten Menschen Blumen nieder.

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FOTO: ZEMLIANICH­ENKO/AP Polizisten und FSB-Beamte eskortiere­n einen Tatverdäch­tigen des Terroransc­hlags in das Basmanny-Bezirksger­icht.

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