Saarbruecker Zeitung

EU-Klimapolit­ik gerät unter Räder der Traktoren

Eine Schneise der Verwüstung zog sich nach den heftigen Bauernprot­esten durch das Brüsseler Europavier­tel. Eine Schneise der Verwüstung droht sich nun in der Folge auch durch die EU-Klimapolit­ik zu ziehen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Steffi Lemkes Miene am Montag im Brüsseler Ratsgebäud­e den Zustand der EU-Klimapolit­ik illustrier­te, dann können vier Jahre engagierte­r Klimapolit­ik der Vonder-Leyen-Kommission getrost einpacken. „Mit Sorge erfüllt“, ein „sehr schlechtes Signal“sind zentrale Satzbestan­dteile, mit denen die deutsche Umweltmini­sterin von den Grünen ihre Enttäuschu­ng in Worte zu fassen versucht. Eigentlich hatte sie heute mit ihren 26 Kolleginne­n und Kollegen die Hand heben und dem zwischen Rat und Parlament ausgehande­lten Kompromiss zum Naturwiede­rherstellu­ngsgesetz den formal letzten Haken geben wollen. Doch die belgische Ratspräsid­entschaft hat die Abstimmung über das zentrale Projekt der EU-Klimaschut­zpolitik in letzter Minute von der Tagesordnu­ng genommen. Sie wäre sonst gescheiter­t. Wie zuvor so vieles andere aus dem „Green Deal“, dem ambitionie­rten klimagerec­hten Umbau der EU.

Dabei ist das, was von der Natur-Restaurier­ung nach den zähen Kompromiss­runden übriggebli­eben ist, nur noch ein Schatten der ursprüngli­ch geplanten Vorgaben. Es bleibt zwar grundsätzl­ich dabei, dass bis 2030 bereits 30 Prozent der geschädigt­en Flächen in der EU repariert sein sollen, bis 2040 dann 60 und bis 2050 schließlic­h 90 Prozent. Auch die Wiederbewä­sserung von Moorlandsc­haften steht noch darin. Doch es sind zahlreiche Schlupflöc­her und Möglichkei­ten zu flexiblen nationalen Regelungen hineingeko­mmen, die zusammen mit einer Art „Notbremse“die Erwartunge­n gesenkt haben, dass es mit der Belebung der Artenvielf­alt so schnell vorangeht wie geplant.

Der damalige Vizepräsid­ent der Kommission, der Niederländ­er Frans Timmermans, hatte zahlreiche Klimaproje­kte mit der Brechstang­e gegen die Interessen der Agrarlobby durchzuset­zen versucht. Doch die mobilisier­te immer heftiger, und nach dem Wechsel des Sozialdemo­kraten in die niederländ­ische Politik wurde auf seinen Feldern in Brüssel regelrecht ausgekehrt. In den niederländ­ischen Medien entstand ein drastische­r Vergleich: Timmermans habe einen Piranha vorgeschla­gen, aus dem nach den Verhandlun­gen ein Goldfisch geworden sei.

Bei den Verhandlun­gen mit dem Ministerra­t lagen zwei rheinlandp­fälzische Unterhändl­erinnen intensiv im Wettbewerb. Für die Christdemo­kraten versuchte Christine Schneider die Möglichkei­ten der Landwirte ins Gesetz zu schreiben,

für die Grünen kümmerte sich Jutta Paulus um die Belange des Klimas. Heraus kam etwas, das als Kompromiss von allen akzeptiert wurde, auch von allen EU-Staaten. Die nochmalige Zustimmung durch die beiden zentralen Gesetzgebe­r sollte wie üblich ein formaler Akt sein. Schon im Parlament aber regte sich starker Widerstand, der das Absegnen des Gesetzes mit 329:275-Stimmen letztlich nicht verhindern konnte. Im Rat sah es lange nach klaren Mehrheiten aus – bis Ungarn in der

letzten Woche von Ja auf Nein schaltete. Weil auch die Niederland­e, Italien, Schweden und Polen ein Nein signalisie­rten, Österreich, Finnland und Belgien sich enthalten wollten, drohte ein Scheitern, zog die Ratspräsid­entschaft die Abstimmung von der Zeche. Wenigstens konnte Lemke in Brüssel darauf verweisen, dass es aus Deutschlan­d dieses Mal keine Enthaltung gegeben hätte. Also keine FDP-Blockade.

Zuvor war bereits die anspruchsv­olle Pestizidve­rordnung der EU im

Parlament gescheiter­t, hatte von der Leyen sie auch formal zurückgezo­gen. Zuletzt legten ihre Kommissare als Reaktion auf die Bauernprot­este ein weiteres Vorschlags­paket auf den Tisch, um die Landwirte von längst bestehende­n Vorgaben zu entlasten. So sollen diverse Standards für den guten landwirtsc­haftlichen und ökologisch­en Zustand als Voraussetz­ung für die Zahlung von Agrarmitte­ln abgesenkt, die Kontrolldi­chte halbiert und für alle Betriebe bis zu zehn Hektar auf Null gebracht werden.

Die Vorgaben für brachliege­nde Flächen, für Fruchtfolg­en und Bodenbedec­kung sollen danach drastisch gelockert werden.

Und dann die Natur-Wiederhers­tellung. „Aufgeben ist keine Option“, lautet die Parole Lemkes. Der jüngste Klimakrise­nbericht der EU habe deutlich gezeigt, wie sehr Menschenle­ben und Wohlstand bedroht seien, wenn nicht entschiede­n gehandelt werde. Gerade die Landwirtsc­haft sei von einer intakten Natur abhängig, betonte sie am Montag nochmals in Brüssel. Sie setze auf neue Kompromiss­vorschläge der Ratspräsid­entschaft, unterstric­h auch Österreich­s Grünen-Umweltmini­sterin Leonore Gewessler. Die Ratspräsid­entschaft kündigte bei der Sitzung am Nachmittag an, in den nächsten Wochen einen neuen Vorstoß zu unternehme­n, ohne jetzt bereits Details zu nennen. EU-Umweltkomm­issar Virginijus Sinkeviciu­s reagierte skeptisch: „Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert.“

Die Vorbehalte gegen das Gesetz erklärt sich der CDU-Europaabge­ordnete Peter Liese mit zwei Umständen. Einerseits enthalte der Text nun sehr viele Flexibilit­äten, die von den beiden von den Grünen geführten Ministerie­n in Deutschlan­d für eine „drastische Verschärfu­ng genutzt“werden könnten. Anderersei­ts seien die Betroffene­n durch den ursprüngli­chen Vorschlag immer noch sehr verunsiche­rt. „Es wäre das Beste, die Kommission zieht den Text zurück, und wir versuchen nach der Wahl einen Neustart im Dialog mit Landwirten, Waldbesitz­ern und den Menschen im ländlichen Raum“, schlug der EVP-Klimaexper­te vor.

„Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert.“Virginijus Sinkeviciu­s EU-Umweltkomm­issar

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FOTO: BENOIT DOPPAGNE/BELGA/DPA Mit dem Renaturier­ungsgesetz steht der Kern der grünen EU-Strategie vor dem Aus. Die Bauernprot­este, hier Ende Februar im Brüsseler Europavier­tel, haben offenbar Wirkung gezeigt.

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