EU-Klimapolitik gerät unter Räder der Traktoren
Eine Schneise der Verwüstung zog sich nach den heftigen Bauernprotesten durch das Brüsseler Europaviertel. Eine Schneise der Verwüstung droht sich nun in der Folge auch durch die EU-Klimapolitik zu ziehen.
Steffi Lemkes Miene am Montag im Brüsseler Ratsgebäude den Zustand der EU-Klimapolitik illustrierte, dann können vier Jahre engagierter Klimapolitik der Vonder-Leyen-Kommission getrost einpacken. „Mit Sorge erfüllt“, ein „sehr schlechtes Signal“sind zentrale Satzbestandteile, mit denen die deutsche Umweltministerin von den Grünen ihre Enttäuschung in Worte zu fassen versucht. Eigentlich hatte sie heute mit ihren 26 Kolleginnen und Kollegen die Hand heben und dem zwischen Rat und Parlament ausgehandelten Kompromiss zum Naturwiederherstellungsgesetz den formal letzten Haken geben wollen. Doch die belgische Ratspräsidentschaft hat die Abstimmung über das zentrale Projekt der EU-Klimaschutzpolitik in letzter Minute von der Tagesordnung genommen. Sie wäre sonst gescheitert. Wie zuvor so vieles andere aus dem „Green Deal“, dem ambitionierten klimagerechten Umbau der EU.
Dabei ist das, was von der Natur-Restaurierung nach den zähen Kompromissrunden übriggeblieben ist, nur noch ein Schatten der ursprünglich geplanten Vorgaben. Es bleibt zwar grundsätzlich dabei, dass bis 2030 bereits 30 Prozent der geschädigten Flächen in der EU repariert sein sollen, bis 2040 dann 60 und bis 2050 schließlich 90 Prozent. Auch die Wiederbewässerung von Moorlandschaften steht noch darin. Doch es sind zahlreiche Schlupflöcher und Möglichkeiten zu flexiblen nationalen Regelungen hineingekommen, die zusammen mit einer Art „Notbremse“die Erwartungen gesenkt haben, dass es mit der Belebung der Artenvielfalt so schnell vorangeht wie geplant.
Der damalige Vizepräsident der Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, hatte zahlreiche Klimaprojekte mit der Brechstange gegen die Interessen der Agrarlobby durchzusetzen versucht. Doch die mobilisierte immer heftiger, und nach dem Wechsel des Sozialdemokraten in die niederländische Politik wurde auf seinen Feldern in Brüssel regelrecht ausgekehrt. In den niederländischen Medien entstand ein drastischer Vergleich: Timmermans habe einen Piranha vorgeschlagen, aus dem nach den Verhandlungen ein Goldfisch geworden sei.
Bei den Verhandlungen mit dem Ministerrat lagen zwei rheinlandpfälzische Unterhändlerinnen intensiv im Wettbewerb. Für die Christdemokraten versuchte Christine Schneider die Möglichkeiten der Landwirte ins Gesetz zu schreiben,
für die Grünen kümmerte sich Jutta Paulus um die Belange des Klimas. Heraus kam etwas, das als Kompromiss von allen akzeptiert wurde, auch von allen EU-Staaten. Die nochmalige Zustimmung durch die beiden zentralen Gesetzgeber sollte wie üblich ein formaler Akt sein. Schon im Parlament aber regte sich starker Widerstand, der das Absegnen des Gesetzes mit 329:275-Stimmen letztlich nicht verhindern konnte. Im Rat sah es lange nach klaren Mehrheiten aus – bis Ungarn in der
letzten Woche von Ja auf Nein schaltete. Weil auch die Niederlande, Italien, Schweden und Polen ein Nein signalisierten, Österreich, Finnland und Belgien sich enthalten wollten, drohte ein Scheitern, zog die Ratspräsidentschaft die Abstimmung von der Zeche. Wenigstens konnte Lemke in Brüssel darauf verweisen, dass es aus Deutschland dieses Mal keine Enthaltung gegeben hätte. Also keine FDP-Blockade.
Zuvor war bereits die anspruchsvolle Pestizidverordnung der EU im
Parlament gescheitert, hatte von der Leyen sie auch formal zurückgezogen. Zuletzt legten ihre Kommissare als Reaktion auf die Bauernproteste ein weiteres Vorschlagspaket auf den Tisch, um die Landwirte von längst bestehenden Vorgaben zu entlasten. So sollen diverse Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand als Voraussetzung für die Zahlung von Agrarmitteln abgesenkt, die Kontrolldichte halbiert und für alle Betriebe bis zu zehn Hektar auf Null gebracht werden.
Die Vorgaben für brachliegende Flächen, für Fruchtfolgen und Bodenbedeckung sollen danach drastisch gelockert werden.
Und dann die Natur-Wiederherstellung. „Aufgeben ist keine Option“, lautet die Parole Lemkes. Der jüngste Klimakrisenbericht der EU habe deutlich gezeigt, wie sehr Menschenleben und Wohlstand bedroht seien, wenn nicht entschieden gehandelt werde. Gerade die Landwirtschaft sei von einer intakten Natur abhängig, betonte sie am Montag nochmals in Brüssel. Sie setze auf neue Kompromissvorschläge der Ratspräsidentschaft, unterstrich auch Österreichs Grünen-Umweltministerin Leonore Gewessler. Die Ratspräsidentschaft kündigte bei der Sitzung am Nachmittag an, in den nächsten Wochen einen neuen Vorstoß zu unternehmen, ohne jetzt bereits Details zu nennen. EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius reagierte skeptisch: „Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert.“
Die Vorbehalte gegen das Gesetz erklärt sich der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese mit zwei Umständen. Einerseits enthalte der Text nun sehr viele Flexibilitäten, die von den beiden von den Grünen geführten Ministerien in Deutschland für eine „drastische Verschärfung genutzt“werden könnten. Andererseits seien die Betroffenen durch den ursprünglichen Vorschlag immer noch sehr verunsichert. „Es wäre das Beste, die Kommission zieht den Text zurück, und wir versuchen nach der Wahl einen Neustart im Dialog mit Landwirten, Waldbesitzern und den Menschen im ländlichen Raum“, schlug der EVP-Klimaexperte vor.
„Wir haben uns in eine Sackgasse manövriert.“Virginijus Sinkevicius EU-Umweltkommissar