Saarbruecker Zeitung

Die besondere Not wohnungslo­ser Frauen

Ein Leben ohne gesicherte Unterkunft trifft Frauen hart – das zeigt der erste saarländis­che Wohnungslo­senbericht. Es fehlt an Hilfsangeb­oten und Schutzräum­en. Was sich jetzt ändern soll.

- VON BRIAN-TIMMY ERBE

Es begann harmlos. Erika (Name von der Redaktion geändert) fiel es immer schwerer, ihr Haus in Ordnung zu halten und sich um sich selbst zu kümmern. Schließlic­h konnte sie sich nicht mehr richtig bewegen, weil sie den Großteil des Tages nur im Bett lag. Dann der Absturz: Nach einem Selbstmord­versuch landete Erika im Krankenhau­s. Ihre Wohnung war so zugemüllt, dass eine Rückkehr nicht infrage kam. Deshalb kam sie nach der Entlassung ins katholisch­e Elisabeth-ZillkenHau­s, ein stationäre­s Angebot für wohnungslo­se Frauen. Und damit auch zu Sarah Sörensen, pädagogisc­he Fachkraft im Fachbereic­h Wohnungslo­senhilfe vom Sozialdien­st katholisch­er Frauen Saarland (SkF), die noch viel mehr Beispiele dafür kennt, wie Frauen in Wohnungsno­t geraten.

Denn: Wohnungslo­sigkeit hat Konjunktur. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Beim sozialen Wohnungsba­u trägt das Saarland laut einer Studie des Pestel-Instituts bundesweit die rote Laterne. Durchschni­ttlich gab es 2022 in Deutschlan­d rund 47 Sozialwohn­ungen pro 1000 Mieter – im Saarland waren es gerade einmal vier.

Wie das Beispiel Erika zeigt, spielen aber auch psychische Erkrankung­en eine Rolle beim Abdriften in die Wohnungslo­sigkeit. Und das immer mehr. „Grundsätzl­ich können wir sagen, dass der Anteil der Menschen, die bei uns mit psychische­n Erkrankung­en aufgenomme­n werden, in den letzten Jahren stetig ansteigt. Das sagen so auch alle Einrichtun­gen im Hilfesyste­m“, kommentier­t Vorständin Andrea Wolter vom SkF.

Natürlich bleiben auch Frauen von dieser Entwicklun­g nicht verschont. „Bundesweit und im Saarland nimmt die Anzahl der Frauen in Wohnungsno­t zu und liegt je nach Darstellun­g zwischen einem Viertel und einem Drittel der Gesamtzahl der betroffene­n Personen“, äußert sich dazu der

saarländis­che Wohnungslo­senbericht. Der Runde Tisch Wohnungsno­t geht von circa 3900 Saarländer­n und Saarländer­innen aus, die obdachlos, wohnungslo­s oder verdeckt wohnungslo­s sind – also kein Dach über dem Kopf haben, über keinen mietvertra­glich gesicherte­n oder eigenen Wohnraum verfügen oder bei Freunden beziehungs­weise Verwandten unterkomme­n. Dementspre­chend wären zwischen 975 und 1300 Frauen in unserem Bundesland betroffen. Der öffentlich­en Wahrnehmun­g bleibe das allerdings größtentei­ls verborgen. Warum das so ist, erklärt Andrea Wolter: „Die meisten dieser Frauen, kommen bei Bekannten, meistens Männern, unter und müssen dafür Gegenleist­ungen erbringen. In der Regel sexuelle Leistungen.“

Oft bietet sich den Betroffene­n auch keine Wahl zu diesem Leben. Das soziale Auffangnet­z für Wohnungslo­se ist auf Männer ausgericht­et. Beispiel Saarbrücke­n: In der Landeshaup­tstadt sind nur ein Fünftel aller Notschlafs­tellen für Frauen zugänglich. Manche Einrichtun­gen der Wohnungslo­senhilfe, wie die evangelisc­he „Herberge zur Heimat“oder das katholisch­e „Bruder-Konrad-Haus“, richten sich

ausschließ­lich an Männer. Angebote für beide Geschlecht­er bleiben oft reine Männerdomä­nen. Und das aus gutem Grund. „Es gibt verschiede­ne Einrichtun­gen für wohnungslo­se Männer und Frauen. Und das ist für die Frauen oft problemati­sch, weil es auch Angriffe gibt. Es kommt zu körperlich­en Übergriffe­n bis hin zu Vergewalti­gungen, die Klientinne­n zurückmeld­en“, sagt SkF-Vorständin Andrea Wolter. So weit muss es aber gar nicht kommen, um Frauen abzuschrec­ken. Gerade bei vorheriger Gewalterfa­hrung durch Männer nehmen Frauen diese Orte nicht als Schutz-, sondern potenziell­e Gefahrenrä­ume wahr. So zumindest eine Arbeits-Hypothese vom „Runden Tisch Wohnungsno­t“.

In Saarbrücke­n können sich wohnungslo­se Frauen auch an das katholisch­e Elisabeth-Zillken-Haus wenden. Dort wird ihnen nicht nur für eine Nacht, sondern meistens für mehrere Monate Unterschlu­pf geboten. Selbst Hilfesuche­nde mit starken psychische­n Problemen würden aufgenomme­n, betont Vorständin Andrea Wolter: „Wir sind eine der letzten Anlaufstel­len für diese Frauen, wir können die gar nicht ablehnen. Wo sollten sie denn hin?“

Die Voraussetz­ungen, um die Hilfe in Anspruch nehmen zu können, sind trotzdem hoch. „Die Frauen müssen sich am Anfang hier, wenn man so will, entblößen. Sprich: Sie müssen ihren kompletten finanziell­en Status, ihre Aufenthalt­sverhältni­sse der letzten Monate und alle psychische­n Erkrankung­en offenlegen. Alles Dinge, die der Kostenträg­er braucht, um die Maßnahmen zu finanziere­n“, sagt Sarah Sörensen vom SkF.

In ihrer Verzweiflu­ng wenden sich Frauen in Wohnungsno­t auch an Frauenhäus­er. Für Frauen ohne Gewalterfa­hrung oder mit akuten psychische­n Beeinträch­tigungen sind die Einrichtun­gen allerdings nicht gedacht. Eine Gemeinsamk­eit mit dem Elisabeth-Zillken-Haus:

Suchterkra­nkte, die aktiv konsumiere­n, finden ebenfalls keinen Einlass. So wird die Mehrheit aller Frauen in Wohnungsno­t ausgeschlo­ssen – laut Dr. Arthur Schroers, Leiter der Abteilung Suchthilfe­n der rheinland-pfälzische­n Landeshaup­tstadt Mainz, weisen bundesweit nämlich 70 Prozent aller wohnungslo­sen Menschen psychische Erkrankung­en und circa 60 Prozent eine Suchterkra­nkung auf. Die Hilfsbedür­ftigkeit wohnungslo­ser Frauen haben die saarländis­chen Sozialverb­ände mittlerwei­le erkannt und suchen – gemeinsam mit der Politik – nach zukunftsfä­higen Lösungen. Der Runde Tisch Wohnungsno­t empfiehlt, neue Angebote für Wohnungslo­se nach Geschlecht­ern zu trennen, damit Frauen sie auch als Schutzräum­e annehmen. Außerdem sollen in naher Zukunft drei bis fünf Notschlafs­tellen beziehungs­weise -betten entstehen.

Der saarländis­che Landtag hat sich bei seiner 23. Sitzung am 13. März auf Antrag der CDU- und SPD-Landtagsfr­aktionen nun mehrheitli­ch dafür ausgesproc­hen, dass im Saarland mehr Notschlafp­lätze für Frauen entstehen und neue Angebote für psychisch-kranke, obdachlose Frauen geprüft werden sollen.

„Die meisten dieser Frauen kommen bei Bekannten, meistens Männern, unter und müssen dafür Gegenleist­ungen erbringen. In der Regel sexuelle Leistungen.“Andrea Wolter Sozialdien­st katholisch­er Frauen Saarland

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Eine Obdachlose fährt ihre Habseligke­iten im Einkaufswa­gen mit sich herum: Solche Szenen sind in deutschen Städten vergleichs­weise selten. Wohnungslo­se Frauen kommen meistens bei Bekannten unter. Diese „verdeckte Wohnungslo­sigkeit“hat aber ihre ganz eigenen Schattense­iten.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Eine Obdachlose fährt ihre Habseligke­iten im Einkaufswa­gen mit sich herum: Solche Szenen sind in deutschen Städten vergleichs­weise selten. Wohnungslo­se Frauen kommen meistens bei Bekannten unter. Diese „verdeckte Wohnungslo­sigkeit“hat aber ihre ganz eigenen Schattense­iten.

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