„Die Frankreich-Strategie ist wichtiger denn je“
Der Chef der französischen Notenbank, François Villeroy de Galhau, sieht Frankreich und Deutschland weiter als die Motoren und Ideengeber in Europa an. Immer mal wieder auftretende Meinungsverschiedenheiten änderten daran nichts.
Er trägt ihn stolz und bringt ihn gleich zum Redaktionsgespräch in die Saarbrücker Zeitung mit: Unmittelbar zuvor hat in der Staatskanzlei Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) dem Chef der französischen Notenbank mit saarländischen Wurzeln, François Villeroy de Galhau, den saarländischen Verdienstorden verliehen. „Das war für mich ein wichtiges Ereignis und hat mich als SaarFranzose sehr berührt. Die Ministerpräsidentin hat gesagt: Sie sind einer von uns.“
Das passt, zumal Villeroy de Galhau zugleich auch der Prototyp des heute gelebten Europas ist: Franzose, Saarländer im Herzen, gebürtig in Straßburg, aus der lothringischsaarländischen Industriellenfamilie Villeroy de Galhau stammend, die Miteigner von Villeroy & Boch und seit 1791 im Saarland ansässig ist. Er selbst beschreibt sich so: „Ich bin zu 100 Prozent Franzose und zu 100 Prozent Saarländer. Ich denke als Franzose und zugleich als Europäer.“Das sei schon deshalb notwendig, weil man auch als Mitglied des Europäischen Zentralbank-Rates unabhängig von dem Land denken müsse, aus dem man stammt. Villeroy de Galhau gehört dem Gremium seit acht Jahren an. Die 26 Mitglieder sitzen um einen runden Tisch, davon sechs Mitglieder des Vorstandes und die mächtige Chefin der EZB, Christine Lagarde. Es werde größten Wert auf ausführliche Diskussionen und stets eine gemeinsam nach außen vertretene Position gelegt. „Christine Lagarde ist die Chefin des Euros. Das ist ein Teil Europas. Sie wurde von Politikern ernannt, spricht auch im Europäischen Parlament, aber sie entscheidet nicht alleine. Wenn sie einen Vorschlag macht, sprechen alle Ratsmitglieder darüber, bevor eine Entscheidung fällt. Auch im Rat der EZB gelten demokratische Prinzipien und die europäischen Gesetze.“
Villeroy de Galhau selbst steht seit 2015 an der Spitze der französischen Notenbank. Ein Mann mit großem Einfluss und Kontakten bis in den Élysée-Palast zum französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Über den Inhalt solcher Gespräche lässt sich der Bänker nichts entlocken, da beruft er sich auf seine Rolle der Unabhängigkeit der französischen Notenbank.
Kommt die Rede jedoch auf das Saarland, wird seine Begeisterung für dieses Bundesland schnell deutlich. Einmal im Monat kommt er noch her, ist gut informiert über die Ereignisse in der Region und verbringt auch seinen Urlaub im Saarland.
Villeroy de Galhau rät dringend dazu, die Frankreich-Strategie des Saarlandes weiter zu führen und zu vertiefen. Das bringe der Region, den Menschen und der Wirtschaft viel. „Sie ist eine echte Brücke zwischen unseren beiden Nationen und wichtiger denn je. Wirtschaftlich ist sie ein Eingangstor für französische Unternehmen, die auf den deutschen Markt wollen.“
Zugleich sieht er einmalige Voraussetzungen an der Saar. „Wir haben
Anschluss an den Hochgeschwindigkeitszug nach Paris und Frankfurt. Weiterhin haben wir an der Saar auch das Deutsch-Französische Gymnasium. Und gegen das Sprachproblem kann man auch mehr tun.“Hier solle man sich an Luxemburg mit seiner im Alltag gelebten Dreisprachigkeit orientieren. „Diese Vielsprachigkeit ist ein riesiger Vorteil für Luxemburg.“Auch im Saarland solle die Mehrsprachigkeit ganz selbstverständlich werden.
Nach den Beobachtungen des Nationalbankers bleiben Deutschland und Frankreich weiter die Lokomotiven und Ideengeber innerhalb von Europa. Derzeitige Meinungsverschiedenheiten in der strategischen
Reaktion auf den Russland-UkraineKrieg zwischen dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz dürfe man nicht überbewerten. „Die deutsch-französischen Beziehungen waren nie ganz leicht. Schon in den 50er Jahren, zu der Zeit, als sich die sogenannte Saarlandfrage stellte, konnten der damalige französische Außenminister Robert Schuman und Konrad Adenauer diese Frage auch nicht lösen. Später gab es weitere Herausforderungen, etwa heftige Diskussionen über die Währungsunion und die Einführung des Euro. Heute genießt der Euro eine sehr große Akzeptanz in Deutschland wie in Frankreich.“
Die ständige Suche nach Kompromissen bleibe wichtig zwischen beiden Ländern. Zudem seien Frankreich und Deutschland Garanten für den europäischen Stabilitätspakt. Auch in der Sicherheitspolitik habe man gemeinsame Interessen. „Wenn wir nicht gemeinsam entscheiden, werden wir scheitern. Wir haben keine Alternative“, mahnt Villeroy de Galhau. Zumal auch zu bedenken sei: „Wenn wir wollen, dass Europa künftig noch eine wichtige Rolle auf der Weltbühne spielt, dann müssen wir die europäische Verantwortung gemeinsam wahrnehmen.“
Wirtschaftlich sieht der Chef der französischen Notenbank Deutschland nicht als das Sorgenkind Europas an. Eine kurzfristige Schwäche sei durch die notwendig gewordene Organisation einer neuen Energiepolitik nach dem Beginn des RusslandUkraine-Krieges entstanden. Der besonders hohe Anteil an Industrie und der soziale Frieden in Deutschland sorgten jedoch dafür, dass das Land stark bleibt. Zumal man auch die Innovationen sehen müsse, etwa in der Autoindustrie. „Wir werden zum Beispiel in Deutschland und im Saarland Batteriewerke haben für den Elektroantrieb. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum Deutschland – oder Frankreich – die stattfindenden Veränderungen nicht erfolgreich bewältigt.“
Denn Kreativität und Produktivität blieben die Hauptvorteile von Deutschland und Frankreich im internationalen Wettbewerb. Die sinnvolle Nutzung künstlicher Intelligenz könne ebenfalls zu einem Standortvorteil werden. „Wir müssen uns weiter an die Spitze einer Innovationswelle in Europa stellen. Und am Ende wird immer auch entscheiden, wie gebildet unsere Leute sind. Die Schlüsselfrage für Europa wird nicht der Wettbewerb mit NiedrigkostenLändern sein“, argumentiert François Villeroy de Galhau.
Der Nationalbanker ist überzeugt, dass es in den kommenden Quartalen gelingt, die Inflation im Euroraum bis 2025 wieder auf zwei Prozent zu senken. „Das werden wir schaffen. Und das gilt auch für Deutschland und Frankreich. Wir sind uns darüber im Rat der Europäischen Zentralbank alle einig.“Derzeit liegt die Inflation noch bei 2,6 Prozent. Erste Anzeichen seien sinkende Energiepreise. Auch die Zinserhöhungen der Vergangenheit hätten auf dem Weg geholfen, die Inflation zu senken. Deshalb sei jetzt „aufgrund ermutigender Entwicklungen eine erste Reduzierung der Leitzinsen bis zum Sommer 2024 zu erwarten“. Sparer könnten in der Folge der mittlerweile gesunkenen Inflationsrate wieder mit besseren Bedingungen für ihre Geldanlagen rechnen.
Einmal im Monat kommt François Villeroy de Galhau ins Saarland. Er ist gut informiert über die Ereignisse in der Region.