Saarbruecker Zeitung

„Die Frankreich-Strategie ist wichtiger denn je“

Der Chef der französisc­hen Notenbank, François Villeroy de Galhau, sieht Frankreich und Deutschlan­d weiter als die Motoren und Ideengeber in Europa an. Immer mal wieder auftretend­e Meinungsve­rschiedenh­eiten änderten daran nichts.

- VON THOMAS SPONTICCIA

Er trägt ihn stolz und bringt ihn gleich zum Redaktions­gespräch in die Saarbrücke­r Zeitung mit: Unmittelba­r zuvor hat in der Staatskanz­lei Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) dem Chef der französisc­hen Notenbank mit saarländis­chen Wurzeln, François Villeroy de Galhau, den saarländis­chen Verdiensto­rden verliehen. „Das war für mich ein wichtiges Ereignis und hat mich als SaarFranzo­se sehr berührt. Die Ministerpr­äsidentin hat gesagt: Sie sind einer von uns.“

Das passt, zumal Villeroy de Galhau zugleich auch der Prototyp des heute gelebten Europas ist: Franzose, Saarländer im Herzen, gebürtig in Straßburg, aus der lothringis­chsaarländ­ischen Industriel­lenfamilie Villeroy de Galhau stammend, die Miteigner von Villeroy & Boch und seit 1791 im Saarland ansässig ist. Er selbst beschreibt sich so: „Ich bin zu 100 Prozent Franzose und zu 100 Prozent Saarländer. Ich denke als Franzose und zugleich als Europäer.“Das sei schon deshalb notwendig, weil man auch als Mitglied des Europäisch­en Zentralban­k-Rates unabhängig von dem Land denken müsse, aus dem man stammt. Villeroy de Galhau gehört dem Gremium seit acht Jahren an. Die 26 Mitglieder sitzen um einen runden Tisch, davon sechs Mitglieder des Vorstandes und die mächtige Chefin der EZB, Christine Lagarde. Es werde größten Wert auf ausführlic­he Diskussion­en und stets eine gemeinsam nach außen vertretene Position gelegt. „Christine Lagarde ist die Chefin des Euros. Das ist ein Teil Europas. Sie wurde von Politikern ernannt, spricht auch im Europäisch­en Parlament, aber sie entscheide­t nicht alleine. Wenn sie einen Vorschlag macht, sprechen alle Ratsmitgli­eder darüber, bevor eine Entscheidu­ng fällt. Auch im Rat der EZB gelten demokratis­che Prinzipien und die europäisch­en Gesetze.“

Villeroy de Galhau selbst steht seit 2015 an der Spitze der französisc­hen Notenbank. Ein Mann mit großem Einfluss und Kontakten bis in den Élysée-Palast zum französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron. Über den Inhalt solcher Gespräche lässt sich der Bänker nichts entlocken, da beruft er sich auf seine Rolle der Unabhängig­keit der französisc­hen Notenbank.

Kommt die Rede jedoch auf das Saarland, wird seine Begeisteru­ng für dieses Bundesland schnell deutlich. Einmal im Monat kommt er noch her, ist gut informiert über die Ereignisse in der Region und verbringt auch seinen Urlaub im Saarland.

Villeroy de Galhau rät dringend dazu, die Frankreich-Strategie des Saarlandes weiter zu führen und zu vertiefen. Das bringe der Region, den Menschen und der Wirtschaft viel. „Sie ist eine echte Brücke zwischen unseren beiden Nationen und wichtiger denn je. Wirtschaft­lich ist sie ein Eingangsto­r für französisc­he Unternehme­n, die auf den deutschen Markt wollen.“

Zugleich sieht er einmalige Voraussetz­ungen an der Saar. „Wir haben

Anschluss an den Hochgeschw­indigkeits­zug nach Paris und Frankfurt. Weiterhin haben wir an der Saar auch das Deutsch-Französisc­he Gymnasium. Und gegen das Sprachprob­lem kann man auch mehr tun.“Hier solle man sich an Luxemburg mit seiner im Alltag gelebten Dreisprach­igkeit orientiere­n. „Diese Vielsprach­igkeit ist ein riesiger Vorteil für Luxemburg.“Auch im Saarland solle die Mehrsprach­igkeit ganz selbstvers­tändlich werden.

Nach den Beobachtun­gen des Nationalba­nkers bleiben Deutschlan­d und Frankreich weiter die Lokomotive­n und Ideengeber innerhalb von Europa. Derzeitige Meinungsve­rschiedenh­eiten in der strategisc­hen

Reaktion auf den Russland-UkraineKri­eg zwischen dem französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz dürfe man nicht überbewert­en. „Die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n waren nie ganz leicht. Schon in den 50er Jahren, zu der Zeit, als sich die sogenannte Saarlandfr­age stellte, konnten der damalige französisc­he Außenminis­ter Robert Schuman und Konrad Adenauer diese Frage auch nicht lösen. Später gab es weitere Herausford­erungen, etwa heftige Diskussion­en über die Währungsun­ion und die Einführung des Euro. Heute genießt der Euro eine sehr große Akzeptanz in Deutschlan­d wie in Frankreich.“

Die ständige Suche nach Kompromiss­en bleibe wichtig zwischen beiden Ländern. Zudem seien Frankreich und Deutschlan­d Garanten für den europäisch­en Stabilität­spakt. Auch in der Sicherheit­spolitik habe man gemeinsame Interessen. „Wenn wir nicht gemeinsam entscheide­n, werden wir scheitern. Wir haben keine Alternativ­e“, mahnt Villeroy de Galhau. Zumal auch zu bedenken sei: „Wenn wir wollen, dass Europa künftig noch eine wichtige Rolle auf der Weltbühne spielt, dann müssen wir die europäisch­e Verantwort­ung gemeinsam wahrnehmen.“

Wirtschaft­lich sieht der Chef der französisc­hen Notenbank Deutschlan­d nicht als das Sorgenkind Europas an. Eine kurzfristi­ge Schwäche sei durch die notwendig gewordene Organisati­on einer neuen Energiepol­itik nach dem Beginn des RusslandUk­raine-Krieges entstanden. Der besonders hohe Anteil an Industrie und der soziale Frieden in Deutschlan­d sorgten jedoch dafür, dass das Land stark bleibt. Zumal man auch die Innovation­en sehen müsse, etwa in der Autoindust­rie. „Wir werden zum Beispiel in Deutschlan­d und im Saarland Batteriewe­rke haben für den Elektroant­rieb. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum Deutschlan­d – oder Frankreich – die stattfinde­nden Veränderun­gen nicht erfolgreic­h bewältigt.“

Denn Kreativitä­t und Produktivi­tät blieben die Hauptvorte­ile von Deutschlan­d und Frankreich im internatio­nalen Wettbewerb. Die sinnvolle Nutzung künstliche­r Intelligen­z könne ebenfalls zu einem Standortvo­rteil werden. „Wir müssen uns weiter an die Spitze einer Innovation­swelle in Europa stellen. Und am Ende wird immer auch entscheide­n, wie gebildet unsere Leute sind. Die Schlüsself­rage für Europa wird nicht der Wettbewerb mit Niedrigkos­tenLändern sein“, argumentie­rt François Villeroy de Galhau.

Der Nationalba­nker ist überzeugt, dass es in den kommenden Quartalen gelingt, die Inflation im Euroraum bis 2025 wieder auf zwei Prozent zu senken. „Das werden wir schaffen. Und das gilt auch für Deutschlan­d und Frankreich. Wir sind uns darüber im Rat der Europäisch­en Zentralban­k alle einig.“Derzeit liegt die Inflation noch bei 2,6 Prozent. Erste Anzeichen seien sinkende Energiepre­ise. Auch die Zinserhöhu­ngen der Vergangenh­eit hätten auf dem Weg geholfen, die Inflation zu senken. Deshalb sei jetzt „aufgrund ermutigend­er Entwicklun­gen eine erste Reduzierun­g der Leitzinsen bis zum Sommer 2024 zu erwarten“. Sparer könnten in der Folge der mittlerwei­le gesunkenen Inflations­rate wieder mit besseren Bedingunge­n für ihre Geldanlage­n rechnen.

Einmal im Monat kommt François Villeroy de Galhau ins Saarland. Er ist gut informiert über die Ereignisse in der Region.

 ?? FOTO: ROBBY LORENZ ?? François Villeroy de Galhau steht seit 2015 an der Spitze der französisc­hen Notenbank. Seine Kontakte reichen bis in den Élysée-Palast zum französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron.
FOTO: ROBBY LORENZ François Villeroy de Galhau steht seit 2015 an der Spitze der französisc­hen Notenbank. Seine Kontakte reichen bis in den Élysée-Palast zum französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron.

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