Was man im Hafen von Lubmin über Putin denkt
In Lubmin kam einst das russische Erdgas über die Nordstream-Pipeline an. Nach ihrer Zerstörung entstand schnell ein Terminal für Flüssiggas.
Es ist einer der bedeutendsten Energiestandorte Deutschlands, liegt aber in einer der strukturschwächsten Regionen – und ist immer wieder im Fokus weltweiter Öffentlichkeit. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass das Städtchen mit seinen 2100 Einwohnern wirtschaftlich besser aufgestellt ist als viele andere Gemeinden des Landkreises Vorpommern-Greifswald. Je weiter von der Küste entfernt, desto trostloser wirkt manche Ortschaft. Als „Endpunktnachteil“beschrieben Ökonomen der 90er Jahre den Grund für den Zustand der Region: Im Osten das angrenzende Polen, im Norden die Ostsee.
In Lubmin aber trotzt man dieser Lage. Dort ist sie gar ein Vorteil dank des Ostseehafens. Hier gibt es schicke Hotels und altmodische Einfamilienhäuser mit den für die Region typischen Reetdächern. Frisch errichtet oder aufwändig restauriert, während sie andernorts zu verfallen drohen. In den gepflegten Vorgärten sind, anders als in nahen Orten wie Rollwitz, Groß Luckow, keine „Die-Ampel-muss-weg“- oder AfD-Schilder zu sehen.
Der Industriehafen sorgt für Wohlstand in Lubmin, er hält den Ort am Leben – seit Jahrzehnten. Jener Lubminer Hafen, in dem seit 2009 via Nord-Stream-Pipeline zuverlässig mehr als 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus Russland ankamen. Wäre die bereits fertige Nord Stream-2-Pipeline in Betrieb gegangen, hätte sich die Menge noch deutlich erhöht.
Doch die noch immer ungeklärte Sprengung dreier der vier PipelineStränge bedeuteten das Ende russischer Gasimporte über Lubmin. Drei Monate später lief das Spezialschiff „Neptune“ein, um flüssiges Erdgas (LNG), das Tanker über den halben Globus transportieren, in die frühere Empfangsstation einzuspeisen.
Greenpeace und andere Umweltverbände gingen auf die Barrikaden. Sie sahen das Ökosystem des Greifswalder Boddens in Gefahr durch die gigantischen Schiffe; und kritisierten die Lieferung von Gas, das unter anderem in den USA durch umweltschädliches Fracking gewonnen wird. „Wer diese Infrastruktur ausbaut, will diese über Jahrzehnte nutzen. Das passt nicht mit dem Pariser Abkommen überein“, sagt Greenpeace-Sprecher Karsten Smid. Klimaschäden durch fossiles Gas würden massiv unterschätzt. „Die Gaslobby hat es damals geschafft, die Gefahr eines Blackouts in Deutschland herbeizureden, was nicht der Realität entspricht“, sagt Smid mit Blick auf den Beginn des Ukraine-Krieges. „Es wurde damals eine Chance vertan und Gelder für erneuerbare Energien verschleudert.“
Lubmins Bürgermeister Axel Vogt sieht das anders. Er hat ein geräumiges Büro im Hafen. Durch die Fenster sieht man die große „Neptune“sich über den Komplex erheben. In Deutschland habe man die Energiewende verschlafen, meint er und ist sicher: „Zum damaligen Zeitpunkt war der LNG-Ausbau alternativlos.“
Bereits in seiner „Zeitenwende“Rede vom 27. Februar 2022 setzte Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf den Ausbau der LNG-Technologie, um sich von Russland unabhängig zu machen. Derweil floss das Erdgas weiter nach Lubmin – mal mehr, mal weniger. Bis zum 26. September 2022, dem Tag des Anschlags auf die Pipeline. Der Grund dafür, dass das 280-Meter-Schiff aus Norwegen im Hafenbecken in Betrieb ging.
Es war nicht das erste Mal, dass Lubmin in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Nach der nuklearen Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 wurden das seit 30 Jahren im Abriss befindliche Kernkraftwerk Lubmin und das dortige Zwischenlager wieder interessant. Die gewaltigen Gebäudereste des AKW sowjetischer Bauart, die stets ihre Schatten auf den Hafen werfen, sind Zeugen einer deutsch-russischen Vergangenheit, an die sich noch viele Menschen in Lubmin erinnern können. „Viele Bewohner sind mit Russen auf eine Schule gegangen, haben noch freundschaftliche Kontakte nach Russland“, sagt Vogt.
Seit 2009 ist er parteiloser Bürgermeister der Kleinstadt. Er spricht viel mit den Leuten und weiß: „Die meisten hier sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland, die sich nur nachteilig auf die eigene Brieftasche auswirken.“Er blickt bei diesen Sätzen auf die „Neptune“draußen im Hafenbecken, die gerade neues Gas von einem Transportschiff erhält.
„Ich bin sicher, ohne die Sabotage würden wir auch heute noch russisches Gas via Lubmin beziehen“, sagt Vogt und erinnert daran, dass Russland trotz des seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieges noch immer andere EU-Länder mit Gas beliefere. Ein kurzes ironisches Lachen, dann wird Vogt ernst: „Die Pipeline wurde nicht von Russland zerstört. Nichts deutet darauf hin.“Und eines müsse klar sein: „Selbst, wenn es zu großen Verwerfungen innerhalb der sogenannten westlichen Welt führt – die Schuldigen müssen benannt werden. Auch, wenn Konsequenzen drohen“, findet Vogt. Und man schaut hier anders auf Russland als in anderen Regionen Deutschlands.