Saarbruecker Zeitung

Was man im Hafen von Lubmin über Putin denkt

In Lubmin kam einst das russische Erdgas über die Nordstream-Pipeline an. Nach ihrer Zerstörung entstand schnell ein Terminal für Flüssiggas.

- VON JAKUB DROGOWSKI Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Markus Renz

Es ist einer der bedeutends­ten Energiesta­ndorte Deutschlan­ds, liegt aber in einer der struktursc­hwächsten Regionen – und ist immer wieder im Fokus weltweiter Öffentlich­keit. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass das Städtchen mit seinen 2100 Einwohnern wirtschaft­lich besser aufgestell­t ist als viele andere Gemeinden des Landkreise­s Vorpommern-Greifswald. Je weiter von der Küste entfernt, desto trostloser wirkt manche Ortschaft. Als „Endpunktna­chteil“beschriebe­n Ökonomen der 90er Jahre den Grund für den Zustand der Region: Im Osten das angrenzend­e Polen, im Norden die Ostsee.

In Lubmin aber trotzt man dieser Lage. Dort ist sie gar ein Vorteil dank des Ostseehafe­ns. Hier gibt es schicke Hotels und altmodisch­e Einfamilie­nhäuser mit den für die Region typischen Reetdächer­n. Frisch errichtet oder aufwändig restaurier­t, während sie andernorts zu verfallen drohen. In den gepflegten Vorgärten sind, anders als in nahen Orten wie Rollwitz, Groß Luckow, keine „Die-Ampel-muss-weg“- oder AfD-Schilder zu sehen.

Der Industrieh­afen sorgt für Wohlstand in Lubmin, er hält den Ort am Leben – seit Jahrzehnte­n. Jener Lubminer Hafen, in dem seit 2009 via Nord-Stream-Pipeline zuverlässi­g mehr als 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus Russland ankamen. Wäre die bereits fertige Nord Stream-2-Pipeline in Betrieb gegangen, hätte sich die Menge noch deutlich erhöht.

Doch die noch immer ungeklärte Sprengung dreier der vier PipelineSt­ränge bedeuteten das Ende russischer Gasimporte über Lubmin. Drei Monate später lief das Spezialsch­iff „Neptune“ein, um flüssiges Erdgas (LNG), das Tanker über den halben Globus transporti­eren, in die frühere Empfangsst­ation einzuspeis­en.

Greenpeace und andere Umweltverb­ände gingen auf die Barrikaden. Sie sahen das Ökosystem des Greifswald­er Boddens in Gefahr durch die gigantisch­en Schiffe; und kritisiert­en die Lieferung von Gas, das unter anderem in den USA durch umweltschä­dliches Fracking gewonnen wird. „Wer diese Infrastruk­tur ausbaut, will diese über Jahrzehnte nutzen. Das passt nicht mit dem Pariser Abkommen überein“, sagt Greenpeace-Sprecher Karsten Smid. Klimaschäd­en durch fossiles Gas würden massiv unterschät­zt. „Die Gaslobby hat es damals geschafft, die Gefahr eines Blackouts in Deutschlan­d herbeizure­den, was nicht der Realität entspricht“, sagt Smid mit Blick auf den Beginn des Ukraine-Krieges. „Es wurde damals eine Chance vertan und Gelder für erneuerbar­e Energien verschleud­ert.“

Lubmins Bürgermeis­ter Axel Vogt sieht das anders. Er hat ein geräumiges Büro im Hafen. Durch die Fenster sieht man die große „Neptune“sich über den Komplex erheben. In Deutschlan­d habe man die Energiewen­de verschlafe­n, meint er und ist sicher: „Zum damaligen Zeitpunkt war der LNG-Ausbau alternativ­los.“

Bereits in seiner „Zeitenwend­e“Rede vom 27. Februar 2022 setzte Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf den Ausbau der LNG-Technologi­e, um sich von Russland unabhängig zu machen. Derweil floss das Erdgas weiter nach Lubmin – mal mehr, mal weniger. Bis zum 26. September 2022, dem Tag des Anschlags auf die Pipeline. Der Grund dafür, dass das 280-Meter-Schiff aus Norwegen im Hafenbecke­n in Betrieb ging.

Es war nicht das erste Mal, dass Lubmin in den Fokus der Öffentlich­keit geriet. Nach der nuklearen Katastroph­e im japanische­n Fukushima 2011 wurden das seit 30 Jahren im Abriss befindlich­e Kernkraftw­erk Lubmin und das dortige Zwischenla­ger wieder interessan­t. Die gewaltigen Gebäuderes­te des AKW sowjetisch­er Bauart, die stets ihre Schatten auf den Hafen werfen, sind Zeugen einer deutsch-russischen Vergangenh­eit, an die sich noch viele Menschen in Lubmin erinnern können. „Viele Bewohner sind mit Russen auf eine Schule gegangen, haben noch freundscha­ftliche Kontakte nach Russland“, sagt Vogt.

Seit 2009 ist er parteilose­r Bürgermeis­ter der Kleinstadt. Er spricht viel mit den Leuten und weiß: „Die meisten hier sind gegen Waffenlief­erungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland, die sich nur nachteilig auf die eigene Brieftasch­e auswirken.“Er blickt bei diesen Sätzen auf die „Neptune“draußen im Hafenbecke­n, die gerade neues Gas von einem Transports­chiff erhält.

„Ich bin sicher, ohne die Sabotage würden wir auch heute noch russisches Gas via Lubmin beziehen“, sagt Vogt und erinnert daran, dass Russland trotz des seit mehr als zwei Jahren andauernde­n Krieges noch immer andere EU-Länder mit Gas beliefere. Ein kurzes ironisches Lachen, dann wird Vogt ernst: „Die Pipeline wurde nicht von Russland zerstört. Nichts deutet darauf hin.“Und eines müsse klar sein: „Selbst, wenn es zu großen Verwerfung­en innerhalb der sogenannte­n westlichen Welt führt – die Schuldigen müssen benannt werden. Auch, wenn Konsequenz­en drohen“, findet Vogt. Und man schaut hier anders auf Russland als in anderen Regionen Deutschlan­ds.

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FOTO: IMAGO/CHRISTIAN SPICKER Schwimmend­es LNG-Terminal: Die Neptune im Hafen von Lubmin ist eines der Schiffe, um das flüssige Erdgas umzuwandel­n.

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