Vor 20 Jahren erlebt die Nato ihre größte Erweiterung
Im März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Der russische Angriffskrieg änderte das nicht.
(dpa) Als die Nato vor 20 Jahren mit einem Schlag um sieben Mitglieder größer wurde, stand die Welt noch unter dem Eindruck von 9/11 – den islamistischen Terroranschlägen in den USA. Deswegen lobte der damalige US-Präsident George W. Bush die Regierungschefs der Neuen – Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Slowakei und die drei Baltenstaaten – vor allem für deren Einsatz im Krieg gegen den Terror. Er tat dies am 29. März 2004 im Weißen Haus, nachdem die sieben Länder ihre Ratifizierungsurkunden für den Nato-Beitritt im US-Außenministerium hinterlegt hatten. Schon ein Jahr zuvor waren alle diese Länder der von Bush geschmiedeten „Koalition der Willigen“zur Unterstützung der umstrittenen Interventionen der USA in Afghanistan und im Irak beigetreten.
Es war die größte Erweiterungsrunde der Nato. Dass Moskau dies verstimmte, wurde sofort deutlich. Russland, dessen Präsident schon damals Wladimir Putin war, störte vor allem, dass die bis 1991 unfreiwillig der Sowjetunion angehörenden baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen dem westlichen Bündnis beitraten. Die übrigen neuen Mitglieder hatten, mit Ausnahme Sloweniens, zum sowjetisch geführten Warschauer Pakt gehört.
Am größten war die Begeisterung für die Nato in den Ländern, die Russland geografisch am nächsten liegen: in Rumänien und den Baltenstaaten, mit Zustimmungswerten von über 80 Prozent. Der Trend hat sich bis heute gehalten. In Rumänien hatte die antirussische Stimmung eine lange Tradition. Zudem war hier der Nato-Beitritt eine Frage des nationalen Prestiges: Endlich war man in der westlichen Welt angekommen. Höhepunkt war dabei bisher der Bau des Raketenschutzschild-Systems der USA im südrumänischen Deveselu 2016.
Nun bewirbt sich Rumäniens Staatschef Klaus Iohannis offen für das Amt des Nato-Generalsekretärs. Ob die Osteuropäer ihn dabei unterstützen, ist unklar. Jedenfalls ist der Niederländer Mark Rutte, der unter anderem von den USA und Deutschland favorisierte Bewerber für die Nato-Spitze, im Osten kein Wunschkandidat. Der Westen behandle die Länder Osteuropas mit Geringschätzung, beklagte jüngst etwa der frühere estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves auch mit Bezug auf den Kandidaten Rutte.
Für die Balten mit ihren insgesamt nur etwa sechs Millionen Einwohnern gilt die noch nie umstrittene Nato-Mitgliedschaft als wichtigste Sicherheitsgarantie vor ihrem Nachbarn Russland.
Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung gaben die Balten von den sieben Ländern nach Angaben der
Nato 2023 am meisten für die Verteidigung aus: Estland 2,89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Lettland 2,37 Prozent und Litauen 2,75 Prozent. Zum besseren Schutz soll an der Grenze zu Russland und dessen Verbündetem Belarus die sogenannte baltische Verteidigungslinie entstehen – unter anderem mit Panzergräben, Munitionsdepots und Minenlagern. Anders ist die Stimmung in Bulgarien, Slowenien und in der Slowakei. Zwar hatte Bulgariens damaliger Außenminister Solomon Passi Tränen in den Augen, als die Fahne seines Landes 2004 erstmals am Nato-Hauptquartier gehisst wurde. Nicht alle Bulgaren teilten diese Gefühle, tun es auch heute nicht. Die Hilfsbereitschaft für die Ukraine variierte in Sofia und Bratislava bisher auf rhetorischer Ebene je nachdem, wer politisch den Ton angab. Die prowestliche Regierung Bulgariens hat Kiew bisher auch militärisch unterstützt. Allerdings gilt Staatschef Rumen Radew als russlandfreundlich, ebenso wie der seit Oktober 2023 amtierende slowakische Regierungschef Robert Fico. Das kleine ex-jugoslawische Adria-Land Slowenien hatte mit Beginn seiner Unabhängigkeit 1991 den Nato-Beitritt als wichtiges Ziel definiert. Jedoch stimmten bei einem Referendum 2003 nur 66 Prozent der Slowenen dafür. Heute läge dieser Anteil laut Umfragen bei nur 52 Prozent. Die Verteidigungsausgaben liegen bei nur 1,33 Prozent des BIP – eines der Nato-Schlusslichter.