Saarbruecker Zeitung

Vor 20 Jahren erlebt die Nato ihre größte Erweiterun­g

Im März 2004 traten sieben osteuropäi­sche Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisteru­ng. Der russische Angriffskr­ieg änderte das nicht.

- VON ELENA LALOWA, ALEXANDER WELSCHER, CHRISTOPH THANEI UND KATHRIN LAUER

(dpa) Als die Nato vor 20 Jahren mit einem Schlag um sieben Mitglieder größer wurde, stand die Welt noch unter dem Eindruck von 9/11 – den islamistis­chen Terroransc­hlägen in den USA. Deswegen lobte der damalige US-Präsident George W. Bush die Regierungs­chefs der Neuen – Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Slowakei und die drei Baltenstaa­ten – vor allem für deren Einsatz im Krieg gegen den Terror. Er tat dies am 29. März 2004 im Weißen Haus, nachdem die sieben Länder ihre Ratifizier­ungsurkund­en für den Nato-Beitritt im US-Außenminis­terium hinterlegt hatten. Schon ein Jahr zuvor waren alle diese Länder der von Bush geschmiede­ten „Koalition der Willigen“zur Unterstütz­ung der umstritten­en Interventi­onen der USA in Afghanista­n und im Irak beigetrete­n.

Es war die größte Erweiterun­gsrunde der Nato. Dass Moskau dies verstimmte, wurde sofort deutlich. Russland, dessen Präsident schon damals Wladimir Putin war, störte vor allem, dass die bis 1991 unfreiwill­ig der Sowjetunio­n angehörend­en baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen dem westlichen Bündnis beitraten. Die übrigen neuen Mitglieder hatten, mit Ausnahme Sloweniens, zum sowjetisch geführten Warschauer Pakt gehört.

Am größten war die Begeisteru­ng für die Nato in den Ländern, die Russland geografisc­h am nächsten liegen: in Rumänien und den Baltenstaa­ten, mit Zustimmung­swerten von über 80 Prozent. Der Trend hat sich bis heute gehalten. In Rumänien hatte die antirussis­che Stimmung eine lange Tradition. Zudem war hier der Nato-Beitritt eine Frage des nationalen Prestiges: Endlich war man in der westlichen Welt angekommen. Höhepunkt war dabei bisher der Bau des Raketensch­utzschild-Systems der USA im südrumänis­chen Deveselu 2016.

Nun bewirbt sich Rumäniens Staatschef Klaus Iohannis offen für das Amt des Nato-Generalsek­retärs. Ob die Osteuropäe­r ihn dabei unterstütz­en, ist unklar. Jedenfalls ist der Niederländ­er Mark Rutte, der unter anderem von den USA und Deutschlan­d favorisier­te Bewerber für die Nato-Spitze, im Osten kein Wunschkand­idat. Der Westen behandle die Länder Osteuropas mit Geringschä­tzung, beklagte jüngst etwa der frühere estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves auch mit Bezug auf den Kandidaten Rutte.

Für die Balten mit ihren insgesamt nur etwa sechs Millionen Einwohnern gilt die noch nie umstritten­e Nato-Mitgliedsc­haft als wichtigste Sicherheit­sgarantie vor ihrem Nachbarn Russland.

Gemessen an ihrer Wirtschaft­sleistung gaben die Balten von den sieben Ländern nach Angaben der

Nato 2023 am meisten für die Verteidigu­ng aus: Estland 2,89 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP), Lettland 2,37 Prozent und Litauen 2,75 Prozent. Zum besseren Schutz soll an der Grenze zu Russland und dessen Verbündete­m Belarus die sogenannte baltische Verteidigu­ngslinie entstehen – unter anderem mit Panzergräb­en, Munitionsd­epots und Minenlager­n. Anders ist die Stimmung in Bulgarien, Slowenien und in der Slowakei. Zwar hatte Bulgariens damaliger Außenminis­ter Solomon Passi Tränen in den Augen, als die Fahne seines Landes 2004 erstmals am Nato-Hauptquart­ier gehisst wurde. Nicht alle Bulgaren teilten diese Gefühle, tun es auch heute nicht. Die Hilfsberei­tschaft für die Ukraine variierte in Sofia und Bratislava bisher auf rhetorisch­er Ebene je nachdem, wer politisch den Ton angab. Die prowestlic­he Regierung Bulgariens hat Kiew bisher auch militärisc­h unterstütz­t. Allerdings gilt Staatschef Rumen Radew als russlandfr­eundlich, ebenso wie der seit Oktober 2023 amtierende slowakisch­e Regierungs­chef Robert Fico. Das kleine ex-jugoslawis­che Adria-Land Slowenien hatte mit Beginn seiner Unabhängig­keit 1991 den Nato-Beitritt als wichtiges Ziel definiert. Jedoch stimmten bei einem Referendum 2003 nur 66 Prozent der Slowenen dafür. Heute läge dieser Anteil laut Umfragen bei nur 52 Prozent. Die Verteidigu­ngsausgabe­n liegen bei nur 1,33 Prozent des BIP – eines der Nato-Schlusslic­hter.

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