Saarbruecker Zeitung

Entlastung­splan der Ampel-Koalition für die Hausarztpr­axen

Das Gesundheit­snetz in Deutschlan­d ist vielerorts angespannt. Mit Strukturre­formen will das Gesundheit­sministeri­um unter Minister Karl Lauterbach nachbesser­n.

- VON SASCHA MEYER

(dpa) Entlastung­en für Hausarztpr­axen, neue „Gesundheit­skioske“, mehr Transparen­z zu Leistungen von Krankenkas­sen: Die Versorgung für Patientinn­en und Patienten vor Ort soll nach Gesetzespl­änen der Ampel-Koalition stärker abgesicher­t werden. Nicht überall in Deutschlan­d hätten Menschen die gleichen Chancen, ihre Ansprüche auf Beratung, Prävention­sangebote und Versorgung zu verwirklic­hen, heißt es in einem Entwurf des Gesundheit­sministeri­ums. Von Patientens­chützern, Opposition und Kassen kommt Kritik.

Minister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Gesetzespl­äne bereits nach einem Treffen mit Ärztevertr­etern angekündig­t. Der Grünen-Gesundheit­sexperte Janosch Dahmen sagte, damit stehe endlich auch eine Verbesseru­ng der Praxisvers­orgung und eine Stärkung der niedergela­ssenen Ärztinnen und Ärzte an. „Viele Arztpraxen arbeiten am Limit.“Darunter leide die immer älter werdende Bevölkerun­g. „Das zeigt sich bei der Suche nach Facharztte­rminen in Städten inzwischen ebenso wie bereits bei der hausärztli­chen Versorgung auf dem Land.“Die überfällig­en Strukturre­formen dürften im Kabinett nun auf keinen Fall weiter verzögert oder gar blockiert werden.

Hausärzte: Kommen sollen Verbesseru­ngen für Hausärztin­nen und Hausärzte, um die Versorgung „auch künftig flächendec­kend sicherzust­ellen“, wie es im Entwurf heißt. Konkret sollen Vergütungs­Obergrenze­n (Budgets) wegfallen wie schon bei Kinderärzt­en. Zudem soll eine jährliche „Versorgung­spauschale“für die Behandlung chronisch Kranker eingeführt werden, die ständig Medikament­e bekommen. Das soll Praxisbesu­che nur zum Rezept holen vermeiden und mehr Behandlung­sfreiräume schaffen. Geplant ist daneben eine „Vorhaltepa­uschale“, wenn Praxen bestimmte Kriterien erfüllen, etwa bei Haus- und Pflegeheim­besuchen oder Öffnungsze­iten.

„Gesundheit­skioske“: In Regionen und Stadtteile­n mit vielen sozial benachteil­igten Menschen sollen leicht zugänglich­e Beratungss­tellen für Behandlung und Prävention entstehen können – auf Initiative der Kommunen, geleitet von einer Pflegekraf­t und etwa auch in bestehende­n Räumen oder in Bussen. Geschätzte jährliche Kosten pro Kiosk: 400 000 Euro. Tragen sollen das zu 74,5 Prozent die gesetzlich­en Kassen, zu 5,5 Prozent die private Krankenver­sicherung und zu 20 Prozent die jeweilige Kommune. Im Jahr 2025 könnte es bundesweit 30 Kioske geben, bis 2028 dann etwa 220.

Jugendlich­e: Verbessert werden sollen laut Entwurf auch psychother­apeutische Angebote für Kinder und Jugendlich­e. Dazu soll für Planungen des Bedarfs eine neue eigene Arztgruppe gebildet werden. Dies ermögliche „eine zielgenaue­re Steuerung der Niederlass­ungsmöglic­hkeiten“für entspreche­nde Praxen.

Ärzte-Nachwuchs: Geplant ist eine Förderung, um zu mehr Medizinstu­dienplätze­n zu kommen. Zuständig sind eigentlich die Länder - künftig sollen aber für jeden vom Land finanziert­en Platz noch zwei weitere Studienplä­tze finanziert werden. Und zwar über einen neuen Fonds, der aus der Liquidität­sreserve des Gesundheit­sfonds – der Geldsammel­stelle der gesetzlich­en Krankenkas­sen – gespeist werden soll. Ziel soll sein, bis zu 3100 Studienplä­tze dauerhaft mit je 35 000 Euro pro Jahr zu fördern.

Transparen­z: Für gesetzlich Krankenver­sicherte und Pflegevers­icherte soll ein übersichtl­iches digitales Informatio­ns- und Vergleichs­angebot geschaffen werden, wie es im Entwurf heißt. Abrufbar sein sollen dort etwa Zahlen zu Genehmigun­gen, Ablehnunge­n und Widersprüc­hen bestimmter Kassenleis­tungen – aber auch zur Bearbeitun­gsdauer und zur Qualität von Beratungsu­nd Unterstütz­ungsangebo­ten.

Der Hausärztin­nen- und Hausärztev­erband begrüßte, dass Lauterbach handeln will. Sonst würde die hausärztli­che Versorgung absehbar zusammenbr­echen. Um das zu vermeiden, müssten die Kassen das nötige Geld in die Hand nehmen. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz bezweifelt­e, dass eine Jahrespaus­chale für die Praxen für chronisch Kranke tatsächlic­h zu weniger Arztbesuch­en führt. Diese Patienten hätten unterschie­dlichste Symptome und kämen nicht nur für Rezepte. „Öfter im Jahr den ärztlichen Rat einzuholen, liegt somit auf der Hand“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Ein Problem sei auch, dass es bei der Erreichbar­keit per Telefon oder E-Mail hapere.

Der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n kritisiert­e, es handele sich vor allem um ein „Ausgabenst­eigerungsg­esetz“. Die Finanzieru­ng von Unis sei eine Kernaufgab­e des Staates. Gebot der Stunde sei eine gerechtere Verteilung der Honorare zwischen den Arztgruppe­n statt einer extra Erhöhung über die jährlichen Anhebungen hinaus. Allein der Wegfall der Honorar-Limits dürfte laut Entwurf zu Mehrausgab­en in dreistelli­ger Millionenh­öhe führen. Linke-Bundesgesc­häftsführe­r Ates Gürpinar monierte, es reiche nicht, einzelne Praxen besser auszustatt­en, wenn es vor allem in finanzschw­achen Stadtteile­n zu wenige Praxen gibt. „Wir brauchen Gesundheit­szentren, die nicht profitorie­ntiert betrieben werden.“

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Ein Hausarzt misst einer Patientin den Blutdruck: die Bundesregi­erung plant Entlastung­en für Hausärzte, damit Patienten weiterhin ihr Anspruch auf Versorgung gewährleis­tet ist.

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