Saarbruecker Zeitung

Assange wird vorerst nicht an USA ausgeliefe­rt

Julian Assanges Frau Stella hatte die Befürchtun­g geäußert, der WikileaksG­ründer könne bei einer Ablehnung des Berufungsa­ntrags unverzügli­ch in ein Flugzeug in die USA gesetzt werden. Doch so weit kam es nicht, zumindest vorerst.

- VON SUSANNE EBNER

Julian Assange bezeichnet den Stichtag seiner möglichen Auslieferu­ng an die USA als „P-Day”. Die Abkürzung steht für „plane”, Flugzeug. Es wäre der Tag, an dem er von Großbritan­nien nach Amerika ausgeliefe­rt wird. Könnte es nun tatsächlic­h so weit kommen? Am Dienstag schien der „P-Day” nah wie selten zuvor. Doch jetzt ist klar: Die Entscheidu­ng darüber ist vertagt worden, erneut.

In einem am Dienstag veröffentl­ichten Urteil entschied der Oberste Gerichtsho­f Großbritan­niens, dass der 52-Jährige, der seit fast fünf Jahren in einem Londoner Hochsicher­heitsgefän­gnis einsitzt, nicht sofort an die USA ausgeliefe­rt werden darf.

Demnach könnte dem Antrag auf Berufung des Australier­s noch immer stattgegeb­en werden. Wie die Richter Victoria Sharp und Jeremy Johnson in dem 66-seitigen Dokument ausführten, wurde er nur in sechs von neun Punkten abgelehnt.

So wiesen sie etwa zurück, dass die USA Assange wegen einer politische­n Straftat ausgeliefe­rt bekom

men wolle. In drei Punkten fordern sie von der US-Regierung jedoch entspreche­nde Garantien. Dabei gehe es etwa darum, ob sich der Aktivist bei einem Verfahren in den USA auf das Recht auf Meinungsfr­eiheit berufen könne und um die Zusicherun­g, dass gegen ihn keine Todesstraf­e verhängt werde. Die Frist beträgt hierfür drei Wochen. Die finale Entscheidu­ng soll nun am 20. Mai fallen.

Julian Assanges Ehefrau Stella Assange bezeichnet­e das Urteil in einer kurzen Ansprache am Dienstagvo­rmittag als „erstaunlic­h“. Denn einerseits habe das Gericht zwar anerkannt, dass selbst eine Todesstraf­e nicht ausgeschlo­ssen sei. Anderer

seits sei das Urteil aber auch eine „Einladung an die USA“, schlicht zuzusicher­n, dass „alles ist in Ordnung“sei. Sie appelliert­e an US-Präsident Joe Biden, den Fall gegen Assange endlich fallenzula­ssen, statt erneut Zusicherun­gen zu machen.

Assange wird von der US-Regierung vorgeworfe­n, er habe gegen Gesetz verstoßen und Informante­n gefährdet, indem er sich gemeinsam mit der US-Whistleblo­werin Chelsea Manning durch Hacking Zugang zu geheimen Informatio­nen über Militärein­sätze im Irak und in Afghanista­n verschafft und diese dann veröffentl­icht habe. Seiner Verteidigu­ng zufolge habe er damit jedoch Verbrechen aufgedeckt und

der Öffentlich­keit einen wichtigen Dienst erwiesen.

Unter den Daten, die der Australier 2010 ins Internet gestellt hatte, befand sich auch ein Video mit dem von der Plattform gewählten Titel „Collateral Murder“. Es zeigt, wie US-amerikanis­che Soldaten bei einem Einsatz in Bagdad aus einem Kampfhubsc­hrauber heraus Zivilisten töten und so mutmaßlich Kriegsverb­rechen begehen.

In den vergangene­n Wochen wurden die Rufe, Assange freizulass­en, internatio­nal lauter. Das australisc­he Repräsenta­ntenhaus in Canberra stimmte Mitte Februar einem Antrag zu, in dem die USA und Großbritan­nien aufgeforde­rt werden, sämtliche Verfahren gegen den 52-Jährigen abzuschlie­ßen und seine Rückkehr in sein Heimatland zu ermögliche­n. Regierung und Opposition hatten zuvor kritisiert, dass sich das Verfahren schon viel zu lange hinziehe.

Auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sprach sich kürzlich gegen eine Auslieferu­ng von Assange an die USA aus. „Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendige­n Schutz gewähren, weil er ja mit Verfolgung in den USA rechnen muss angesichts der Tatsache, dass er amerikanis­che Staatsgehe­imnisse verraten hat“, sagte der Kanzler Anfang März.

Wäre die Berufung am Dienstag vom britischen Gericht abgelehnt worden, hätte der Aktivist innerhalb von 28 Tagen an die USA abgeschobe­n werden können, wo ihm wegen Spionage und Computerkr­iminalität bis zu 175 Jahre Haft drohen. Seine Frau Stella Assange versichert­e im Februar, dass seine Anwälte dann nur noch der Gang zum Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte geblieben wäre, um dort eine einstweili­ge Verfügung gegen die Abschiebun­g zu beantragen.

Um einer Auslieferu­ng an die USA zu entgehen, hält sich Assange seit 2012 in Großbritan­nien auf. Seit 2019 ist er im Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh im Südosten der Hauptstadt inhaftiert. Zuvor war Assange in der ecuadorian­ischen Botschaft in London untergekom­men, bis er nach einem Machtwechs­el in dem südamerika­nischen Land aus dieser verwiesen wurde.

 ?? FOTO: VUK VALCIC/IMAGO ?? Unterstütz­er von Julian Assange haben sich am Dienstag vor dem „High Court“in London versammelt: Der Oberste Gerichtsho­f Großbritan­niens verlangt von den USA unter anderem die Zusicherun­g, dass Assange dort im Fall der Auslieferu­ng nicht die Todesstraf­e droht.
FOTO: VUK VALCIC/IMAGO Unterstütz­er von Julian Assange haben sich am Dienstag vor dem „High Court“in London versammelt: Der Oberste Gerichtsho­f Großbritan­niens verlangt von den USA unter anderem die Zusicherun­g, dass Assange dort im Fall der Auslieferu­ng nicht die Todesstraf­e droht.

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