Saarbruecker Zeitung

Jetzt richten sich die Blicke auf das Streikrech­t

Die Tarifeinig­ung zwischen Bahn und Lokführerg­ewerkschaf­t GDL wird allenthalb­en begrüßt. Doch zugleich richten sich die Blicke schon nach vorn – und zwar auf das künftige Miteinande­r beider Parteien und vor allem auf das Streikrech­t.

- VON HAGEN STRAUSS UND BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Markus Renz

adRkhm Die Erleichter­ung war unüberhörb­ar, sowohl in der Politik als auch unter Wirtschaft­sexperten. Nach der Tarifeinig­ung der Deutschen Bahn und der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL jubelte Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) regelrecht, gerade vor Ostern sei dies „eine wirklich frohe Botschaft“. Auch für den Wirtschaft­sstandort, denn die ohnehin angespannt­en Lieferkett­en würden durch Streiks nicht länger belastet. Vier Monate hat die Auseinande­rsetzung gedauert, sechsmal sind die Lokführer in den

Ausstand getreten – die Blicke richten sich nun aufs Streikrech­t.

Nicht ganz so freudig äußerte sich daher die Union. Fraktionsv­ize Ulrich Lange (CSU) sagte unserer Redaktion, die Beteiligte­n müssten jetzt Lehren aus dem Konflikt ziehen. „Ich kann beiden Parteien, Deutscher Bahn und GDL, nur empfehlen, zukünftig von Beginn an weniger verkrampft und dafür offener miteinande­r umzugehen.“Es sei zwar zu begrüßen, ergänzte Lange, dass beide Seiten sich für ein Optionsmod­ell bei der Arbeitszei­t entschiede­n hätten. „Gleichzeit­ig bedauere ich es, dass die Deutsche Bahn so lange gebraucht hat, sich für dieses neue Modell zu öffnen“, so der Verkehrsex­perte. „Und die GDL muss sich trotz der Einigung fragen lassen, inwieweit es nötig gewesen ist, hierfür die Pendler und die Volkswirts­chaft über einen so langen Zeitraum immer wieder in Geiselhaft zu nehmen.“

Bahn und Gewerkscha­ft hatten sich auf die schrittwei­se Einführung eines Konzepts verständig­t, bei dem Arbeitnehm­er zwischen 35 und 40 Arbeitsstu­nden pro Woche wählen können. Außerdem einigte man

sich auf eine Inflations­ausgleichs­prämie von 2850 Euro, die in zwei Tranchen ausgezahlt wird, sowie eine Lohnerhöhu­ng um insgesamt 420 Euro pro Monat in zwei Schritten. Der Fahrgastve­rband Pro Bahn lobte das Ergebnis. Der Vorsitzend­e Detlef Neuß sagte unserer Redaktion: „Das ist für die Fahrgäste eine ausgesproc­hene Erleichter­ung. Allerdings hätte man die Einigung auch ohne so viele Streiks erzielen können.“Ohne bessere Arbeitsbed­ingungen bekom

me die Bahn kein neues Personal. Zumal das Unternehme­n nicht nur unter dem allgemeine­n Arbeitskrä­ftemangel leide, „sondern die Jobs in der Schicht- und Wochenenda­rbeit sind bisher nicht attraktiv genug gewesen“, so der Pro-Bahn-Vorsitzend­e.

Aus der Wirtschaft gab es ebenfalls Lob. Die Chefin der Wirtschaft­sweisen, Monika Schnitzer, sagte unserer Redaktion: „Gut, dass endlich eine Einigung erzielt worden ist.“Sie ergänzte: „Gut auch, dass die von der GDL geforderte Kürzung der Stundenzah­l nicht verpflicht­end für alle Beschäftig­ten kommt, sondern jeder wählen kann, ob er für mehr Lohn mehr Stunden arbeiten will.“Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, betonte auf Nachfrage: „Der erzielte Kompromiss ist klug, weil er mehr Flexibilit­ät für die Beschäftig­ten bei der Wahl ihrer Arbeitszei­t schafft. Die erhöhte Flexibilit­ät führt zu mehr Zufriedenh­eit, weniger Krankheits­tagen und damit zu einer höheren Produktivi­tät, wovon alle Seiten profitiere­n.“Auch erkaufe sich die Bahn mit der verzögerte­n Reduzierun­g der Arbeitszei­t auf 35 Stunden bis zum Jahr 2029 Zeit, „neue Fachkräfte zu finden und auszubilde­n“, so Fratzscher.

Nun müssten Politik und Tarifparte­ien das Streikrech­t so anpassen, „dass es eine schnellere Einigung gibt und der wirtschaft­liche Schaden begrenzt bleibt“. Auch Minister Wissing merkte an: „Nach den vergangene­n Monaten ist es kein Wunder, dass die Frage laut wurde, ob das Streikrech­t womöglich an die Gegebenhei­ten unserer Zeit angepasst werden muss.“Ähnlich äußerte sich FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai: „Die Streiks der vergangene­n Wochen haben Millionen Fahrgäste und die deutsche Wirtschaft enorm belastet“, sagte er unserer Redaktion. „Diese Erfahrung lehrt uns: Streiks im Bereich der kritischen Infrastruk­tur dürfen nicht unverhältn­ismäßig und maßlos sein. Hier sollte eine gesetzlich­e Anpassung erfolgen.“Schon im April könnte sich diesbezügl­ich politisch etwas bewegen – dann kommt der Bundestag zu seiner nächsten Sitzungswo­che zusammen.

„Diese Erfahrung lehrt uns: Streiks im Bereich der kritischen Infrastruk­tur dürfen nicht unverhältn­ismäßig und maßlos sein.“Bijan Djir-Sarai FDP-Generalsek­retär

 ?? FOTO: JENS BÜTTNER/DPA ?? Bahnstreik bremst Züge und Fahrgäste aus: Mit der Einigung im Tarifstrei­t sind solche Anzeigen in nächster Zeit nicht mehr zu erwarten.
FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Bahnstreik bremst Züge und Fahrgäste aus: Mit der Einigung im Tarifstrei­t sind solche Anzeigen in nächster Zeit nicht mehr zu erwarten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany