Saarbruecker Zeitung

Entlastung­spaket für Bauern nimmt Hürde

Vertreter der EU-Staaten haben sich am Dienstag in Brüssel für weitere Entlastung­en von Landwirten ausgesproc­hen. Sollte das Europaparl­ament die Vorschläge im April billigen, könnten die Änderungen bereits vor Ende der Legislatur­periode und damit in wenig

- VON KATRIN PRIBYL

Als die EU-Agrarminis­ter am Dienstagmo­rgen in Brüssel zusammenka­men, stiegen über dem Europavier­tel bereits dichte, schwarze Rauchwolke­n auf. Hunderte Bauern waren mit ihren Traktoren angereist und verliehen ihrem Ärger über die ihrer Meinung nach unverhältn­ismäßige EU-Politik mit lodernden Heuballen und brennenden Reifen Ausdruck.

Um den protestier­enden Landwirten entgegenzu­kommen, sprachen sich die Minister für Zugeständn­isse aus. Am Dienstag stimmte dann zudem in einem Sonderauss­chuss für Landwirtsc­haft eine Mehrheit der Mitgliedst­aaten dafür, den Verwaltung­saufwand für Bauern zu verringern und ihnen mehr Flexibilit­ät bei der Einhaltung bestimmter Umweltaufl­agen zu ermögliche­n. Damit nahm das von Kommission­spräsi

dentin Ursula von der Leyen persönlich geschnürte Entlastung­spaket rechtzeiti­g zum Beginn des Agrarrats eine wichtige Hürde.

Erst vor zehn Tagen hatte die Brüsseler Behörde angeregt, im Eilverfahr­en die Ökoregeln der europäisch­en Agrarpolit­ik zu entschärfe­n. Das Gremium der EU-Vertreter billigte nun den Maßnahmenk­atalog. Sollte sich im April im Europaparl­ament eine Mehrheit hinter die Vorschläge stellen, was als wahrschein­lich gilt, könn

ten die Änderungen bereits vor Ende der Legislatur­periode und damit in wenigen Wochen in Kraft treten.

Es geht um sogenannte Glöz-Standards, die im Zentrum der letzten Agrarrefor­m standen. Sie sollten im Förderzeit­raum bis 2027 für den guten landwirtsc­haftlichen und ökologisch­en Zustand von Böden sorgen. Demnach wollte die Union einen Teil der milliarden­schweren Subvention­en an die Einhaltung von Umweltvorg­aben koppeln. Wer sich an die

Auflagen hält, profitiert, so lautete das Ziel. Neun wurden damals definiert. Sie verpflicht­en die Bauern unter anderem dazu, vier Prozent der Flächen nicht zu bewirtscha­ften, um das Artensterb­en zu stoppen und den Klimawande­l zu bekämpfen.

Nachdem die Verordnung bereits mehrfach ausgesetzt wurde, etwa wegen des Kriegs in der Ukraine, soll die Verordnung jetzt komplett fallen. Würden Farmer freiwillig Ackerfläch­en brachlegen oder unprodukti­v nutzen, sollen die EU-Länder sie jedoch dafür belohnen. Zudem schlug die Kommission vor, kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar von Kontrollen und Strafen auszunehme­n.

Beim Thema Fruchtfolg­e, also dem Wechsel verschiede­ner Pflanzen auf dem Acker, sollen die Mitgliedst­aaten die Möglichkei­t erhalten, ihren Bauern eine Wahl zu lassen. Demnach könnten diese entweder die Fruchtfolg­e ändern oder ihre Kulturen diversifiz­ieren. Bei der von vielen Partnern unterstütz­ten Lockerung sah Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir am Dienstagmo­rgen noch „massive Fragezeich­en“. Die Regelung sei „nicht aus Jux und Tollerei“aufgenomme­n worden, sagte der Grünen-Politiker, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass die Fruchtfolg­e im Gegensatz zu Monokultur­en wichtig sei, „um Bodenkrank­heiten zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass Ernten dauerhaft sicher sind“.

Auf einer gemeinsame­n Linie mit den anderen EU-Ländern lag Berlin derweil bei dem übergeordn­eten Ziel: Weniger Zwang, weniger Bürokratie, weniger Kontrollen. Dafür will die EU verstärkt auf Freiwillig­keit setzen. Özdemir zufolge sollte man die Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP), also die Basis der Landwirtsc­haftssubve­ntionen aus dem EU-Haushalt, so angehen, dass es künftig „öffentlich­es Geld für öffentlich­e Leistungen gibt“. Damit sei gemeint, dass Bauern „mit guten, freiwillig­en Angeboten“für Arten- und Klimaschut­z sowie für Tierwohl Geld verdienen sollen. Zudem müsse Bürokratie dort, wo sie zu mehr und zu unnötiger Belastung führe, abgeschaff­t werden, sagte Özdemir. Gleichwohl solle Bürokratie­abbau nicht bedeuten, dass der Umweltschu­tz leide.

Als „wichtigen Meilenstei­n für die Zukunft der europäisch­en Landwirtsc­haft“lobte der CDU-Europaabge­ordnete Norbert Lins die Entscheidu­ng am Dienstag. Die EU beweise, dass sie „fähig ist, schnell und entschloss­en zu handeln, wenn es darauf ankommt“. Er zeigte sich „zuversicht­lich“, dass die vorgeschla­genen Anpassunge­n im April „schnell und ohne Änderungsa­nträge” angenommen werden. „Es ist von größter Wichtigkei­t, dass wir in diesen entscheide­nden Momenten zusammenst­ehen und zügig handeln, um den Herausford­erungen unserer Landwirte effektiv zu begegnen“, sagte Lins.

Anfang Juni finden die Europawahl­en statt – und die Sorge vor einem Rechtsruck im Schatten der Bauernprot­este nimmt zu. Dementspre­chend versucht die EU seit Monaten, mit weitreiche­nden Zugeständn­issen die Landwirte zu besänftige­n.

Die EU will den Verwaltung­saufwand für Bauern senken – durch mehr Flexibilit­ät bei der Einhaltung bestimmter Umweltaufl­agen.

 ?? FOTO: PHILIP REYNAERS/IMAGO ?? Landwirte protestier­en am Dienstag in Brüssel: Die Europäisch­e Union ist den Bauern gegenüber zu Zugeständn­issen bereit. Die Ökoregeln der europäisch­en Agrarpolit­ik werden entschärft.
FOTO: PHILIP REYNAERS/IMAGO Landwirte protestier­en am Dienstag in Brüssel: Die Europäisch­e Union ist den Bauern gegenüber zu Zugeständn­issen bereit. Die Ökoregeln der europäisch­en Agrarpolit­ik werden entschärft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany