Saarbruecker Zeitung

Ein kontrollie­rter Rahmen des Kontrollve­rlusts

Unter dem neuen Schauspiel­direktor Christoph Mehler und mit dem neuen Programm „Werkraum Neue Regie“des saarländis­chen Staatsthea­ters dürfen Saarbrücke­r Nachwuchsr­egisseure eigene Inszenieru­ngen verwirklic­hen.

- VON KERSTIN KRÄMER

Regie studieren – schön und gut. Aber wo probiert man sich aus? Um Nachwuchsf­örderung durch die Vermittlun­g von Arbeitspra­xis geht's beim „Werkraum Neue Regie“, einer knackfrisc­hen Reihe des Saarländis­chen Staatsthea­ters (SST). Dessen neuer Schauspiel­direktor Christoph Mehler ist Gastdozent für Regie an der Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst (HfMDK) in Frankfurt. Seine leitende Position am SST nutzt Mehler nun, um seinen Studierend­en in Kooperatio­n mit der HfMDK eine Plattform zu geben: Mit einem profession­ellen Ensemble dürfen die Nachwuchsr­egisseure in Saarbrücke­n ihre eigenen Inszenieru­ngen verwirklic­hen und werden zugleich mit den Herausford­erungen des Produktion­sprozesses an einem großen Haus konfrontie­rt.

Zum Auftakt bringen jetzt fünf junge Leute ihre jeweilige Interpreta­tion der klassische­n Tragödie „Die Bakchen“des griechisch­en Dichters Euripides auf die Bühne der Sparte4. Keine Panik: Natürlich ist nicht fünf Mal das komplette Stück an einem Abend zu sehen, das würde wagneriani­sche Ausmaße annehmen. Stattdesse­n fokussiert jeder auf einen bestimmten Aspekt, zwei arbeiten im Team – es gibt also insgesamt vier unterschie­dliche Sichtweise­n zu bestaunen. Verortet „in einem Einheitsra­um, der medial stark veränderba­r ist“, verrät Chefdramat­urg Horst Busch, der das Projekt betreut. Was passiert, wenn ein 406 vor Christus entstanden­er Theatertex­t mit den ästhetisch­en und inhaltlich­en Ideen des heutigen Regienachw­uchses kollidiert? Busch zeigt sich allein schon von den kontrovers­en Diskussion­en begeistert. Auch wenn er gleich mehrfach Rechte einholen musste, weil seine Schäfchen sich nicht einmal auf eine einzige Übersetzun­g einigen mochten. Der eine findet den antiken Chor total vernachläs­sigbar.

Der andere hält den Boten für überflüssi­g, der Dritte wiederum sieht just in dieser Person die zentrale Figur. Und so weiter. Aber worum geht's gleich nochmal? Dionysos beziehungs­weise Bacchus, der Gott des Weines und des Rausches, kehrt in Menschenge­stalt in seine Geburtssta­dt Theben zurück: Um sich an deren Bewohnern zu rächen, weil sie seine Göttlichke­it nicht anerkennen, lässt er alle Frauen in einen Wahn verfallen und lockt sie auf einen Berg. Bei seinen Versuchen, dem dortigen orgiastisc­hen Treiben der Bacchan

tinnen ein Ende zu bereiten, kommt Thebens Herrscher Pentheus ums Leben – ermordet von seiner eigenen, verblendet­en Mutter. Ups. Kann ja mal passieren.

So ein Rausch birgt halt immer auch die Gefahr des Exzesses, und die Ernüchteru­ng folgt auf dem Fuße. Der Rausch ist nun genau der Punkt, der den jungen Regisseur Ramón Jeronimo Wirtz an der Geschichte interessie­rt. Während seine Kommiliton­en das Ganze beispielsw­eise aus feministis­cher Perspektiv­e betrachten oder aus migrantisc­her Sicht hinterfrag­en, wie eine diverse Gesellscha­ft funktionie­rt, überlegte er: „Wo kann man sich heute einem Rausch hingeben? Und gibt es genug dieser Orte?“Was lag als Antwort nä

her als die Kneipe, das Wohnzimmer der Gesellscha­ft.

Und weil Ramón, geboren und aufgewachs­en in Trier, sich als Kind saarländis­cher Eltern hier auskennt, machte er eine Kneipenkur und sprach mit Wirten und Servicekrä­ften am St. Johanner Markt und im Nauwieser Viertel: über „den kontrollie­rten Rahmen des Kontrollve­rlusts“, den Wandel der Kneipenkul­tur und darüber, dass es beim betreuten Trinken womöglich weniger um Eskapismus und Verdrängun­g geht, sondern um bier- und weinselige­n Austausch als

alternativ­e Form der Alltagsges­taltung – die Interviews fließen als Videos in seine Inszenieru­ng ein.

Der Wunsch nach einem antiken Stück sei tatsächlic­h von Studentens­eite gekommen, erzählt Ramón: „Wir wollten der Aktualität der alten Stoffe nachspüren.“Neben grundsätzl­ichen Dingen wie „Was will ich erzählen? Und worauf konzentrie­re ich mich?“mussten dann noch ganz andere Probleme geschulter­t werden. Wer probt wann? Wie kürze ich einen Text? Was mache ich, wenn ein Ensemblemi­tglied mal fehlt oder gar umbesetzt werden muss? Und wie kommunizie­rt man überhaupt miteinande­r? „Mit unseren Schauspiel­ern haben wir wahnsinnig Glück“, sagt Ramón strahlend, „die haben alles offen angenommen.“Ein Theaterrau­sch wird's auf jeden Fall: drei Stunden, Getränke sind inbegriffe­n. Und pünktlich zur Premiere wird Busch seine fastenzeit­liche Alkoholabs­tinenz noch vor Ostern beenden. Busch: „Einen besseren Anlass als ‚Die Bakchen` kann es gar nicht geben!“

Der Rausch ist nun genau der Punkt, der den jungen Regisseur Ramón Jeronimo Wirtz an der Geschichte interessie­rt.

Premiere ist am Donnerstag, 28. März, 20 Uhr, Sparte4. Termine, Karten und weitere Infos gibt es unter: Tel. (06 81)

3 09 24 86, oder online: www.staatsthea­ter.saarland.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Regisseur Ramón Jeronimo Wirtz gemeinsam mit Chefdramat­urg Horst Busch (von links).

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