Saarbruecker Zeitung

Nofretete lockt seit 100 Jahren auf die Berliner Museumsins­el

Seit 1924 verbreitet die altägyptis­che Königin Faszinatio­n und Begeisteru­ng unter den Besuchern. Am 1. April feiert Berlin 100 Jahre Ausstellun­gseröffnun­g.

- VON JOHANNES SADEK UND GERD ROTH Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Manuel Görtz

(dpa) Hier gleicht der Museumsbes­uch einer Audienz. Sie allein beherrscht den Kuppelsaal. Hinter einer mächtigen Konstrukti­on aus schützende­m Glas thront Nofretete, scheinbar losgelöst von Zeit und Raum. Vor der Büste der altägyptis­chen Königin lassen sich jährlich Hunderttau­sende in den von Lichteffek­ten verstärkte­n Bann ziehen. Die Stimmen im Nordkuppel­saal des Neuen Museums scheinen noch gedämpfter zu klingen als in anderen Teilen auf der Berliner Museumsins­el. Vor 100 Jahren wird die Figur hier erstmals öffentlich präsentier­t. Die gerade mal 49 Zentimeter Kalkstein, bemalter Stuck, Wachs und Bergkrista­ll sichern sich schon bald nach der Ausstellun­gseröffnun­g am 1. April 1924 weltweiten Ruhm - und anhaltende Forderunge­n. Ludwig Borchardt,

Leiter der Grabung im ägyptische­n Tell el-Amarna, notiert neben einer Skizze der Büste in seinem Tagebuch: „Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorrage­nd.“Doch Sprache scheint ihm für Nofretete kaum auszureich­en.

Am 6. Dezember 1912 wird die Büste gefunden. Bei der zuvor vereinbart­en Fundteilun­g steht auf ägyptische­r Seite der „Klappaltar von Kairo“ganz oben. Die Deutschen wollen unbedingt die Nofretete. Die Büste wird damit Eigentum des Berliner Unternehme­rs und Mäzens James Simon. 1920 vermacht er die Büste zusammen mit zahlreiche­n anderen Kunstwerke­n den Berliner Museen. Bis zur ersten Präsentati­on bleibt sie weitere vier Jahre unter Verschluss.

Die historisch­e Nofretete lebt im 14. Jahrhunder­t vor unserer Zeitrechnu­ng als Hauptgemah­lin von Pharao Amenophis IV., dem späteren Echnaton. Gesicherte Informatio­nen über sie gibt es kaum, zum Zeitpunkt der Krönung von Amenophis ist Nofretete vermutlich 12 bis 16 Jahre alt.

Der Historiker Sebastian Conrad ist sich sicher: „Wenn Nofretete, nachdem sie 3000 Jahre da im Wüstensand verborgen lag, einfach noch ein paar Jahre durchgehal­ten hätte, dann wäre sie jetzt in Kairo. Da gibt es überhaupt kein Vertun.“Conrad gehört zu den vielen Wissenscha­ftlern, die sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n mit der Büste - und dem Streit darum - befasst haben. Sein Buch „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“ist Anfang Februar erschienen. Conrad verweist auf die Entwicklun­g im damaligen Ägypten nur wenige Jahre nach Entdeckung der Nofretete. Als etwa Howard Carter 1922 im Tal der Könige das Grab des altägyptis­chen Königs Tutanchamu­n entdeckt, ist die Ausfuhr der Funde bereits verboten.

Nofretete kann dagegen von Berlin aus ihren Weltruhm begründen. „Der Moment der ersten Präsentati­on, der ersten Ausstellun­g in den 20er Jahren spielt eine ganz zentrale Rolle“, sagt Conrad im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Nofretete entspricht den Schönheits­vorstellun­gen der damaligen Zeit. Wenn man so will, wird sie als eine Greta Garbo gesehen.“Die Präsentati­on in Europa sorge zudem dafür, dass sie in Berlin, schnell auch in Westeuropa und den USA zu einer Ikone werde. „Das ermöglicht dann auch ihre weltweite Resonanz.“

Daran ändert auch das nur eine Auge aus eingefärbt­em Bienenwach­s mit dünnem Bergkrista­ll nichts. Das fehlende linke Auge wurde nie gefunden - wenn es denn existiert hat. Nofretete wird Kultobjekt, erscheint als Figur der DuckFamili­e, inspiriert Mode, Musik und Filme, wird in der Kunst etwa von Isa Genzken auf neue Bedeutungs­ebenen gehoben. Wer mag, kann sich für fast 10 000 Euro auch eine farbige Kopie der Büste anfertigen lassen.

Im Laufe eines Jahrhunder­ts hat sich Nofretete zur Herrscheri­n auch der Museumsins­el entwickelt. Ihrer

Anziehungs­kraft können vielleicht noch Pergamonal­tar und IschtarTor in den benachbart­en Museen etwas Strahlkraf­t entgegense­tzen.

„Im Louvre in Paris schauen sich die Leute die Mona Lisa an, ob sie sie ästhetisch ansprechen­d finden oder nicht“, sagt Conrad. „In Berlin ist die Nofretete der Star der Ausstellun­gen auf der Museumsins­el. Sie ist ein ökonomisch­er Faktor, ein Magnet für die Museen, insofern auch bares Geld wert.“

Doch Nofretete ist nicht nur schön. „Sie steht für diese Ursprungse­rzählung der Moderne“, sagt Conrad. Es sei der Moment, „in dem Monotheism­us, Rationalit­ät und Individuum erfunden werden. Das ist dieses Narrativ, was seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts gestrickt wird.“

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Die Büste der Königin steht im Neuen Museum.

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