Der Stoff, aus dem Heldinnen gemacht sind
Nicht erst seit dem Tod Alexei Nawalnys wissen wir, welche Gefährlichkeit von einem Unbestatteten ausgehen kann. Und so beschäftigt sich das kleine Theater im Viertel (TiV) in seiner neuen Theaterproduktion „ Antigone alone“mit einer beinahe verhinderten
Die großen griechischen Tragödien, „in denen seit zweieinhalbtausend Jahren drinsteckt, was heute noch relevant ist“, sind das heimliche Steckenpferd der Regisseurin Katharina Molitor. Nach dem Kassandra-Mythos der vergangenen Spielzeit hat sich die künstlerische Leiterin des Theaters im Viertel ( TiV) nun im Rahmen des Spielzeit-Mottos „Vom VerWandeln“Sophokles` Tragödie „Antigone“vorgenommen, die personenstarke Stückvorlage für die Minibühne zum Monolog zusammengezurrt und das Ganze mit dem saloppen Titel „Antigone alone“aufgepeppt. Was steckt dahinter?
Wir erinnern uns: König Kreon verweigert seinem im Kampf um Theben gefallenen politischen Widersacher Polyneikes aus Gründen der Staatsraison eine ordnungsgemäße Bestattung. Seine Nichte Antigone widersetzt sich diesem Verbot, begräbt ihren Bruder heimlich, wird zum Tode verurteilt und begeht im
Kerker Selbstmord. So weit, so tragisch.
Betrachtet durch diese Folie der antiken Tragödie packt uns bis heute die trotzige Kompromisslosigkeit, mit der die Heldin in ihrem eigenmächtigen und einsamen Akt des zivilen Ungehorsams die bestehenden
asymmetrischen Machtverhältnisse außer Kraft setzt. Was wiegt mehr: das Recht der Macht oder das des Gewissens?
Die Frage nach der subjektiven Verantwortlichkeit setzt die Regisseurin Molitor ins Zentrum ihrer auf Antigones letzten Monolog reduzierten Fassung. „In einer Endlosschleife rekapituliert die zum Tode Verurteilte immer und immer wieder ihre Auseinandersetzung mit Kreon. Antigone will Märtyrerin sein! Sie will mit ihrem eigenmächtigen Gesetzesbruch einen Wandel im politischen Denken der Polis herbeiführen“, behauptet die Regisseurin. „Seht mich an!“Ihre letzten Worte sind Appell und Auftrag zugleich.
Gestandene Tragödinnen prägen seit jeher die Antigone auf den Schauspielbühnen. Das TiV aber baut auf Jugend. Tatsächlich nämlich war die historische Figur kaum älter als pubertäre 15 Jahre. Warum also nicht die gerade einmal 23-jährige Maren Röttig damit besetzen? Die Gesangsstudentin, die sich zur Zeit an der Hochschule für Musik Saar beim renommierten Staatstheater-Mezzo Judith Braun auf ihren Bachelor vorbereitet und von Kindesbeinen an auf der Bühne steht, ist noch ganz nah dran an diesem Gefühl: „Ohnmacht gegenüber allen, die das Sagen hatten. Trotz, Ungehorsam. Antigones unerbittliches Ganz-oder-gar-nicht-Denken: im Kleinen kenn ich das nur zu gut!“lacht sie. Und im Großen? Würde sie auch politisch ins Extrem gehen, Stichwort Klimakleber? „Da bin ich schon ein wenig ein Schisser“, gesteht die 23-Jährige, bekundet aber mutig ihre Sympathie für den Altruismus der klimapolitischen Aktivisten.
Katharina Molitor hat für ihre Protagonistin mit finanzieller Unterstützung der „Freunde der Antike im Saarland e.V.“auf Grundlage der Hölderlin-Übersetzung einen Text erstellt, der sich im Sprachduktus rhythmisch an der antiken Vorlage orientiert. Gerade ist er fertiggeworden. Und es bleiben nur noch drei
Wochen zum Büffeln... „Aber nein“, lacht Maren Röttig. Sie ist Schnelllernerin.
Keine Angst vor der Leere der Bühne? Ein Kopfschütteln: „Ich bin ja auch nicht ganz allein, sondern da gibt es noch Kaspar Gubala.“Den bewährten Percussionisten, der schon in einigen Molitor-Produktionen mit seinen Klanginstallationen inhaltliche und atmosphärische Akzente gesetzt hat.
Es könnte also ein spannender Abend werden, an dessen Ende die Zuschauer sich fragen: Wollten wir nicht alle immer schon ein bisschen Antigone sein? Heldenhaft im Widerstand und bewundert für unsere Prinzipientreue . . .
„Antigones unerbittliches Ganz-oder-garnicht-Denken: Im Kleinen kenne ich das nur zu gut!“Maren Röttig
„Antigone alone“, szenischer Monolog mit Klanginstallation nach Sophokles. Premiere am Freitag, 12. April, 19.30
Uhr, im Theater im Viertel am Landwehrplatz. Weitere Vorstellungen: 19., 28. (17 Uhr) April, sowie 11. Mai. Karten telefonisch unter (0681) 3 90 46 02 oder per E-Mail unter karten@dastiv. de beziehungsweise auf www.dastiv.de. Nach Absprache als Schulstück buchbar.