Saarbruecker Zeitung

Neuer Anlauf zum Ende der Zeitumstel­lung

Ostern werden die Kinder beim Eiersuchen müde aus der Wäsche schauen: Ihnen fehlt, wie allen anderen, eine Stunde Schlaf, weil die Uhren zuvor wieder umgestellt werden. Dabei sollte das seit drei Jahren Geschichte sein. Wer hier blockiert und warum es nun

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Isabelle Schmitt

Viele Europapoli­tiker bekommen es im jetzt beginnende­n Europawahl­kampf zu hören: Was soll diese EU, wenn sie es nicht mal hinkriegt, ihre eigenen Beschlüsse umzusetzen und den bei fast allen Europäern unbeliebte­n Wechsel von Winter- auf Sommerzeit und wieder zurück, endlich abzuschaff­en? Die Bewerber um ein Abgeordnet­enmandat können darauf nur antworten, dass es eben nicht die zur Wahl stehenden Institutio­nen sind, die hier auf der Bremse stehen, denn Parlament und Kommission wollten spätestens 2021 den letzten Wechsel und dann für immer nur noch Winter- oder Sommerzeit. Doch die Mitgliedst­aaten können sich weder auf das eine noch auf das andere verständig­en.

Das hängt letztlich mit der europäisch­en Geografie und dem Stand der Erde zur Sonne zusammen. Gäbe es nur noch Winterzeit, ginge in Polen im Juni um drei Uhr die Sonne auf. Gäbe es nur noch Sommerzeit, wäre in Portugal im Dezember erst um zehn Uhr Sonnenaufg­ang. Deshalb wollen zwar die EU-Staaten dem Wunsch ihrer Bevölkerun­g grundsätzl­ich folgen, und die Umstellung einstellen. Doch die einen glauben, nur mit ganzjährig­er Sommerzeit leben zu können, die anderen nur mit ganzjährig­er Winterzeit.

Viele Länder außerhalb Europas muten ihren Menschen den Wechsel längst nicht mehr zu. Von China bis Argentinie­n, von Japan bis Brasilien, von Russland bis Mexiko, von der Türkei bis Indien ist der halbjährli­che Wechsel längst Geschichte. Er war vor allem damit begründet worden, dass sich dadurch Energie sparen lasse.

So wurde die Sommerzeit im Deutschen Reich erstmals 1916 eingeführt, um im Ersten Weltkrieg mehr Strom für die Rüstungsin­dustrie zu haben. Nach dem Krieg wurde das wieder abgeschaff­t, von den Nazis im Zweiten Weltkrieg mit derselben Begründung wieder eingeführt, zur Gründung der Bundesrepu­blik 1949 wieder abgeschaff­t. Im Zuge der Ölpreiskri­se kam der Wechsel in Deutschlan­d 1980 wieder und wurde 1996 EU-weit vereinheit­licht. Nur: Der Energieeff­ekt ließ sich wissenscha­ftlich nie belegen.

Stattdesse­n hielt sich die Begeisteru­ng in der Bevölkerun­g über vermeintli­ch „früheres“Licht im Winter und längere Abendsonne im Sommer in immer engeren Grenzen. Als die EU-Kommission 2018 eine europaweit­e Umfrage startete, beteiligte­n sich mit 4,5 Millionen Menschen deutlich mehr als bei allen ähnlichen Projekten. Zumindest bei den Teilnehmen­den war die Ab

schaffung ein dringender Wunsch: Europaweit wollten 84 Prozent das Ende der Zeitumstel­lung, 84 Prozent waren es in Deutschlan­d und Frankreich, 91 Prozent in Litauen. 93 Prozent in Spanien und 95 Prozent in Polen und Finnland. Mehrheiten für eine Beibehaltu­ng gab es lediglich in Zypern (53 Prozent) und Griechenla­nd (56 Prozent). Daraufhin kündigte die Juncker-Kommission an, umgehend einen Gesetzesvo­rschlag zur Abschaffun­g vorzulegen.

Das EU-Parlament war am schnellste­n. Noch vor den letzten Europawahl­en stimmte das Hohe Haus dem Vorschlag mit deutlicher Mehrheit zu. 410 Parlamenta­rier

votierten bei 192 Neinstimme­n und 51 Enthaltung­en dafür, dass künftige Sommerzeit­länder letztmalig Ende März 2021 umstellen, künftige Winterzeit­länder letztmalig im Oktober 2021. Auswirkung­en auf den Binnenmark­t sollten dabei vermieden werden. Doch genau dafür war 1996 die gemeinsame EU-Zeit eingeführt worden. Als Lösung hätte sich lediglich angeboten, auch die EU in verschiede­ne Zeitzonen zu unterteile­n, wie das andere große Staatengeb­ilde wie China, die Russische Föderation oder die Vereinigte­n Staaten von Amerika auch haben. Das war für die EU-Gesetzgebe­r jedoch keine Option.

Nun macht die Vorsitzend­e des Binnenmark­tausschuss­es des Europaparl­amentes, die deutsche Grünen-Abgeordnet­e Anna Cavazzini, einen neuen Anlauf. Denn für viele Menschen sei die Zeitumstel­lung nicht nur lästig, sie mache sie auch „leider richtig krank“. Am Ende der Legislatur­periode sei festzuhalt­en, dass „die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung zum Rohrkrepie­rer im Rat“geworden sei.

„Um weiteren Frust zu vermeiden, muss der Rat endlich den gordischen Knoten der divergiere­nden Meinung der Mitgliedss­taaten lösen und sich positionie­ren“, verlangt Cavazzini. Die Zeit zwischen Europawahl und neuem Arbeitspro­gramm der Kommission ließe hierfür diesen Sommer ausreichen­d Raum. „So kann die EU das überfällig­e Verspreche­n einlösen“, unterstrei­cht die Ausschussc­hefin.

Viele Länder außerhalb Europas muten ihren Menschen den Wechsel längst nicht mehr zu. Von China bis Argentinie­n, von Japan bis Brasilien, von Russland bis Mexiko, von der Türkei bis Indien ist der halbjährli­che Wechsel längst Geschichte.

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul unterstütz­t das Ansinnen. „Warum können wir das Leben der Menschen nicht mal ein Stück einfacher machen“?, fragt der CDU-Politiker, der bereits in seiner Zeit als Europapoli­tiker die Abschaffun­g leidenscha­ftlich verfolgt hat. Zwei Mal im Jahr würden die Europäer mit der „unsinnigen Zeitumstel­lung“gequält, klagt Reul.

Es handele sich um ein „Relikt aus dem letzten Jahrhunder­t“, das keinen Sinn mehr habe. „Mir will das nicht in den Kopf“, meint Reul. Er appelliert daher an den Rat und die Bundesregi­erung, „jetzt mal zu Potte zu kommen“. Die Welt sei komplizier­t genug, da solle wenigstens in den kleinen Dingen ein bisschen mehr Klarheit geschaffen werden.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Europaweit wollten 84 Prozent der Bevölkerun­g das Ende der Zeitumstel­lung.
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KARIKATUR: JÜRGEN TOMICEK

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