Was wirtschaftspolitisch jetzt zu tun ist
Die Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigen in ihrem neuen Frühjahrsgutachten schmerzhafte Befunde über den Zustand der deutschen Wirtschaft: Sie leide nicht nur unter ungünstigen äußeren Bedingungen, etwa den Folgen der Kriege oder höheren Zinsen. Sie habe auch mit tiefer liegenden, strukturellen Problemen zu kämpfen, die sich kurzfristig nicht beheben lassen. Die Arbeitsproduktivität ist zu niedrig, das Wachstumspotenzial schwach.
Der Beschäftigungszuwachs seit der Corona-Pandemie um mehrere Hunderttausend Arbeitskräfte hat nur die insgesamt geringere Arbeitszeit kompensiert: Die ProKopf-Leistung ist also weiter gesunken. Ohne höhere Produktivität aber werden Investitionen unrentabel, der Wohlstand ist schwerer zu halten und die sozialen Verteilungskämpfe nehmen zu.
Was also tun? Die Nachteile ehrlich zu benennen, die Standortkritik aber auch nicht zu übertreiben, wäre der richtige Weg. Noch ist die Wirtschaft robust genug, um weiter an führender Stelle mitzumischen. Bei rückläufiger Inflation und sinkenden Zinsen werden die Investitionen auch hoffentlich wieder besser laufen. Zudem haben die Verbraucher 2024 real wieder mehr Geld in der Tasche, weil Löhne und Gehälter im Durchschnitt deutlich gestiegen sind. Die Konjunktur sollte daher noch im zweiten Quartal anspringen. Auf der Haben-Seite steht auch weiterhin der rund laufende Arbeitsmarkt. Die Beschäftigtenzahl soll sogar von ihrem Rekordstand aus nochmals zunehmen. Arbeitslosigkeit bleibt auch künftig ein zu vernachlässigendes Phänomen in Deutschland.
Doch zugleich darf sich die Politik den tiefer liegenden Themen nicht verschließen, nur weil die Konjunktur wieder besser laufen wird und Wahlen anstehen. Demografie, Dekarbonisierung, Digitalisierung – diese drei Schlagworte beschreiben, wo die Aufgaben liegen. Die demografische Entwicklung zwingt zu Reformen in der Renten-, Pflege- und Gesundheitspolitik, um Sozialabgaben im Zaum zu halten. Das Ziel der Klimaneutralität erfordert mehr Mut bei der CO2-Bepreisung. Der Rückstand bei der Digitalisierung zwingt zu schnelleren Planungsverfahren und mehr (steuerlichen) Anreizen für private Investitionen.
Wirtschafts- und Finanzminister akzeptieren, dass sie an die strukturellen Probleme herangehen müssen, beim Kanzler ist das Verständnis dafür noch weniger ausgeprägt. Immerhin beraten die Drei über eine bessere Wirtschaftspolitik, wie auch beim Spitzentreffen an diesem Mittwochabend im Kanzleramt. Politiker neigen dazu, lieber mehr Geld für neue Förderprogramme in die Hand zu nehmen, statt in harter Kärrnerarbeit an Strukturen heranzugehen, etwa mit dem Abbau überflüssiger Regeln oder mit Einschnitten ins Sozialsystem. Ein Wachstumspaket der Ampel sollte aber bei den strukturellen Veränderungen anfangen. Wenn dann im zweiten Schritt zur Abfederung von Reformen mehr Geld benötigt wird, weisen die Institute wie auch die Bundesbank den Weg für die behutsame Reform der Schuldenbremse: Nach einer Notlage, in der die Schuldenbremse für ein Jahr ausgesetzt wurde, sollte es eine dreijährige Übergangsphase geben, um den abrupten Abbau der Neuverschuldung von einem Jahr auf das andere zu vermeiden.