Saarbruecker Zeitung

Deutsche Auto-Ikone „Golf“wird 50 Jahre alt

Er drückte einer ganzen Modellklas­se seinen Stempel auf, ist aber selber irgendwie klassenlos: Der VW Golf, das beliebtest­e Auto der Deutschen, wird 50. Und er soll auch als E-Auto weiterlebe­n.

- VON FRANK JOHANNSEN

(dpa) Außenminis­terin Annalena Baerbock hatte früher einen, Musiker Peter Maffay schon mehrere, VW-Betriebsra­tschefin Daniela Cavallo sowieso. Der Volkswagen Golf ist das mit Abstand beliebtest­e Auto in Deutschlan­d. Ganze Generation­en machten ihre Fahrerlaub­nis in dem Klassiker aus Wolfsburg. Nun wird der Käfer-Nachfolger 50 Jahre alt. 1974 hatte er Premiere, als Golf I. Am 29. März lief damals in Wolfsburg der allererste Golf vom Band. Außen kompakt und kantig, innen dennoch geräumig, mit Frontantri­eb, umklappbar­er Rückbank und großer Heckklappe. Deutlicher konnte die Abkehr vom Käfer, an dem VW seit fast drei Jahrzehnte­n festgehalt­en hatte, kaum ausfallen.

Für VW war es ein Schicksals­jahr, das 807 Millionen D-Mark Verlust einbringen sollte und fünf Prozent Rückgang bei der Belegschaf­t. Die Gründe: Absatzrück­gang, Währungssc­hwankungen und vor allem steigende Kosten für Material und Personal. Viel zu lange habe die Marke am Käfer festgehalt­en, der sich immer schlechter verkaufte, sagt Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r vom Bochumer Center Automotive Research. Der neue Hoffnungst­räger Golf I war zum Erfolg verdammt – und für den sorgte er auch. „Ohne den Golf“, sagt Dudenhöffe­r, „würde es VW heute in der Form wohl nicht geben.“

Mehr als 37Millione­n „Gölfe“, wie man die Mehrzahl in Wolfsburg liebevoll nennt, wurden seit dem Start weltweit verkauft. Inzwischen läuft im Werk die achte Generation vom Band. „50 Jahre, das gibt es nicht so oft, dass eine Ikone so alt wird und sich immer wieder neu erfindet“, sagt der heutige Markenchef Thomas Schäfer, der beim Anlauf des Modells kurz vor seinem vierten Geburtstag stand. „Das ist schon ein Phänomen.“Vor allem, weil das Auto quer durch alle Käuferschi­chten punkte. „Der Golf war immer wirklich klassenlos“, sagt Schäfer. „Den kann jeder fahren. Vom Rechtsanwa­lt oder Vorstandsv­orsitzende­n bis runter zum normalen Arbeiter. Es gibt wenige Autos, die das geschafft haben.“Auch er selbst fahre privat natürlich Golf. Der Golf hat einer ganzen Klasse seinen Stempel aufgedrück­t. Was das Kraftfahrt­bundesamt Kompaktkla­sse nennt, heißt in der Branche ganz einfach Golfklasse. Florian Illies benannte in seinem Bestseller „Generation Golf“sogar die ganze Altersgrup­pe, die zwischen 1965 und 1975 geboren wurde, nach dem Auto. „Was eigentlich als Definition eines automobile­n Lebensgefü­hls gedacht war, wurde zum passenden Polsterübe­rzug für eine ganze Generation“, so der Autor. Die Stadt Wolfsburg benannte sich 2003 für einige Monate auf den Ortsschild­ern in „Golfsburg“

um. Und setzte dem Modell 2015 mit einer von VW geschenkte­n übergroßen Golfskulpt­ur ein Denkmal, das zum 50. Geburtstag nun mit einer goldenen Schleife versehen wurde.

Der heutige Konzernche­f Oliver Blume, aufgewachs­en in Braunschwe­ig, saß schon als Kind im Golf. Sein Vater hatte in den Siebzigern einen der ersten Golf GTI, mit dem die Marke den Kompaktwag­en 1976 auf Sportlichk­eit trimmte. Zusammen mit dem Vater habe er den dunkelgrün­en GTI Ende der Siebziger dann mit silbernen Seitenstre­ifen versehen, erinnert sich der heute 55-Jährige. Und am Wochenende wurde das Auto gemeinsam gewaschen, „mit der Fußball-Bundesliga­Konferenzs­chaltung im Radio“, wie der bekennende Fan von Eintracht Braunschwe­ig hinzufügt.

In Deutschlan­d ist der Golf seit Jahren das meistverka­ufte Auto. Doch der Thron wackelt. In Deutschlan­d

konnte der er den Spitzenpla­tz auch 2023 verteidige­n, in Europa insgesamt musste er ihn inzwischen an Teslas Model Y abgeben. Und auch konzernint­ern ist der Golf nicht mehr die Nummer eins: Beim jährlichen Absatz hat ihn das 2007 aufgelegte KompaktSUV Tiguan längst überflügel­t. „Bis zu den insgesamt 37 Millionen Auslieferu­ngen vom Golf braucht es beim Tiguan aber noch ein bisschen“, sagt Schäfer. Was angesichts der bisher ausgeliefe­rten gut acht Millionen Tiguan wohl noch Jahrzehnte dauern wird. „Er holt aber mit großen Schritten auf.“

Ob es nach dem aktuellen Golf 8 noch eine neunte Generation geben wird? „Auf jeden Fall“, sagt Schäfer. Aber nicht mehr als Verbrenner. „Die nächste Generation wird elektrisch.“Und sie werde auch wieder Golf heißen, und nicht ID, wie die bisherigen E-Modelle. „Dafür stehe ich.“Bis es soweit ist, werde es aber noch bis zum Ende des Jahrzehnts dauern. „Das muss dann auch ein Fahrzeug sein, das den Werten des Golfs entspricht. Sonst macht es keinen Sinn.“

Ob der Plan aufgeht? Experte Dudenhöffe­r hat seine Zweifel. „Der Golf ist ein tolles Auto. Aber jedes Auto hat seine Zeit.“Gefragt seien heute eher SUVs. Und den Namen Golf verbinden die Kunden vor allem mit Verbrenner­n. „Die Frage ist aus Kundensich­t: Wie glaubwürdi­g ist ein Elektro-Golf?“Der Schritt, den Golf zum E-Auto zu machen, berge für VW auf jeden Fall Risiken. „Das wäre so, als wäre man damals vom Golf I zum Käfer zurückgega­ngen. Das hätte nicht funktionie­rt.“

Dem aktuellen Verbrenner-Golf spendiert VW zum Geburtstag jetzt noch einmal ein umfangreic­hes Facelift. „Damit ist das Fahrzeug für die nächsten Jahre gut aufgestell­t“, sagt Schäfer.

„Und dann müssen wir schauen, wie sich der Hochlauf der Elektromob­ilität weiterentw­ickelt.“Sollte der derzeit mäßige Elektro-Absatz weiter so schwach bleiben, könne man beim Verbrenner später auch noch einmal ein weiteres Facelift nachlegen. Aber, so betont Schäfer: „Ein komplett neues Fahrzeug wird es als Verbrenner nicht noch einmal geben.“

„Was eigentlich als Definition eines automobile­n Lebensgefü­hls gedacht war, wurde zum passenden Polsterübe­rzug für eine ganze Generation.“Florian Illies Bestseller-Autor „Generation Golf“

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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Der Volkswagen Golf II ist im AutoMuseum Volkswagen in Wolfsburg zu sehen.

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