Wehrpflicht? Und wenn ja, wie?
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat eine Debatte über die Wehrpflicht angestoßen, die er in den nächsten Wochen auch in die Gesellschaft tragen möchte.
Boris Pistorius (SPD) sollte in der Sache inzwischen alles auf dem Schreibtisch haben, was er braucht. Seit Monaten stimmt der Verteidigungsminister die Öffentlichkeit darauf ein, dass das Land unter den Vorzeichen des Ukraine-Krieges endlich „kriegstüchtig“werden muss. Der SPDPolitiker weiß: Das Wort klingt martialisch. Aber er versteht die heikle Vokabel „Kriegstüchtigkeit“vielmehr als „Trigger“und „Wachrüttler“dafür, dass sich die Zeiten tatsächlich verändert haben. Zeitenwende eben. Pistorius verbindet damit auch die Frage, ob Deutschland wieder eine Wehrpflicht brauche und welches Modell dafür geeignet sei. Unlängst fragte er, darauf angesprochen, bei einem Termin in Dresden: Welches der möglichen Wehrpflicht-Modelle sei wirklich auf Deutschland übertragbar? Wofür wolle Deutschland wieder eine Wehrpflicht? Und wie schnell könne man welche Kapazitäten aufbauen?
Eine Arbeitsgruppe im Verteidigungsministerium hat nun eine Vorlage mit möglichen Modellen einer Wehrpflicht für Deutschland erarbeitet. Der Minister will in den nächsten Wochen damit an die Öffentlichkeit gehen und eine breite Debatte darüber mit Politik, Verbänden und Gesellschaft führen. Pistorius war gerade zehn Tage im Amt, da machte er in seinem ersten großen Interview deutlich, dass er sich eine Rückkehr zur Wehrpflicht wünscht. „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Pistorius ließ erkennen, dass er eine Wehrpflicht in Deutschland, die seit 2011 ja nur ausgesetzt, aber nicht abgeschafft ist, gerne wieder einführen möchte, aber nicht nach altem Modell.
Der SPD-Politiker hat eine Vorliebe für das schwedische Modell und war dazu Anfang März bei einer Reise durch Skandinavien auch in Stockholm, wo er sich im Musterungsund Testzentrum inklusive Fitnesslabor darüber informierte, wie der schwedische Staat sich von allen jungen Frauen und Männern eines Jahrgangs die Besten aussucht. In dem skandinavischen Land, das 2017 zur Wehrpflicht zurückgekehrt ist, werden alle jungen Frauen und Männer eines Jahrgangs gemustert. Die Streitkräfte wenden sich dann gezielt an jene Kandidatinnen und Kandidaten, die ihnen für einen Dienst in der Armee besonders geeignet erscheinen. Nein sagen ist dann nicht möglich: Denn es gilt die Wehrpflicht. Der Verteidigungsminister: „Dass ich ein gewisses Faible für das schwedische Modell habe, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.“Eine Richtungsentscheidung mit einer Rückkehr zu einem Wehrpflichtmodell schon 2025 habe er allerdings noch nicht getroffen. Aktuell würden mögliche Modelle überprüft. „Ob 2025 dabei herauskommt oder ein anderes Jahr, das wird sich zeigen“, hatte Pistori
„Dass ich ein gewisses Faible für das schwedische Modell habe, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.“Boris Pistorius (SPD) Verteidigungsminister
us da noch das Tempo bei der Suche nach einem Wehrpflichtmodell für Deutschland heruntergespielt.
Womöglich kommt er auch an einer Grundgesetzänderung nicht vorbei. Denn in Artikel 12a heißt es weiterhin: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“Allerdings ist es nach Meinung von Juristen heute höchstwahrscheinlich, dass auch Frauen herangezogen werden müssten. Zusätzlich zu einer Grundgesetzänderung müsste der
Verteidigungsminister ein weiteres Problem lösen, wollte er eine Wehrpflicht – unabhängig vom Modell – wieder aufleben lassen. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht löste das Land auch alle Strukturen für den damaligen Grundwehrdienst auf. Die für die Musterung von Kandidatinnen und Kandidaten zuständigen Kreiswehrersatzämter gibt es nicht mehr, ebenso fehlten Unterkünfte und Ausbilder, um Zehntausende Wehrpflichtige sinnvoll bei der Bundeswehr unterzubringen. GrünenVerteidigungsexpertin Sara Nanni sagte dazu unserer Redaktion: „Die Bundeswehr braucht neue Ansätze,
um ihre Personalprobleme zu lösen.“Zugleich warnt sie davor, die Zustimmung der Bevölkerung zur Zeitenwende zu riskieren. Nanni: „Wir müssen auf die Attraktivität des bestehenden freiwilligen Wehrdienstes schauen und darauf, warum so viele heute abbrechen und sich nur so wenig Frauen bewerben. Hier liegt offensichtlich einiges im Argen.“Einer Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder einer allgemeinen Dienstpflicht möchte Nanni aber nicht das Wort reden. Wie viele Grüne sind auch die meisten Liberalen skeptisch, wenn es um Pflicht statt Freiwilligkeit geht. Wieder ein Ampel-Problem.
Eine allgemeine Dienstpflicht hatte schon die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) immer wieder ins Spiel gebracht. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier regte eine allgemeine Pflichtzeit für alle an, weil dies den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken würde, wenn sich junge Menschen in Krankenhäusern, Kindergärten, im Umweltschutz engagieren würden – oder eben in der Bundeswehr. Nun will Pistorius die Debatte weiter ins Land tragen. Sie könnte Wellen schlagen. Aber damit kann Pistorius leben.