Parlament wirbt mit Enkel-Botschaften für EU
Plakate auf den Straßen und Slogans in den Medien machen klar, dass der Termin der Europawahl näher rückt. Auch das Parlament selbst wirbt für die Beteiligung. Und die deutschen Parteien treten langsam in die heiße Phase ein.
„Ich war zwölf, als die Soldaten kamen“, berichtet die Französin ihrer Enkelin. „Du musst immer dafür kämpfen“, empfiehlt der lettische Freiheitskämpfer seinem Enkel. Und die deutsche Großmutter bittet ihre Enkel: „Passt gut auf die Demokratie auf, wenn ich nicht mehr bin!“Es ist der emotionale Beitrag des Europaparlamentes zum gerade in Gang kommenden Europawahlkampf. Er ergreift auf bewegende Weise Partei. Nicht für eine Partei, sondern für die Demokratie – und bringt nicht ohne realen Hintergrund die Enkelgeneration mit jenen zusammen, die sich noch erinnern können, was alles fehlt, wenn es keine Demokratie gibt.
Die zentrale Botschaft der Parlamentskampagne lautet: „Nutze Deine Stimme, sonst entscheiden andere für Dich.“Sie wird sich auf Bussen, Straßenbahnen und Speisetabletts in Kantinen finden. Selten war die Bedeutung der Stimmabgabe so greifbar, wie bei der Wahl in gut fünf Wochen. Eine Zusammenfassung nationaler Stimmungstests lässt erwarten, dass sich Christdemokraten und Sozialdemokraten als stärkste Parteienfamilien halten können, dass aber Grüne, Liberale und Linke verlieren und die rechten, rechtspopulistischen und rechtsradikalen Strömungen zulegen.
Der nun auch in Deutschland in Gang gekommene Wahlkampf spiegelt diese Befürchtungen und Erwartungen wider. Die FDP empfiehlt sich als „doppelte Kampfansage“– sowohl an die Brüsseler Bürokratie als auch an die AfD. Beim Wahlkampfauftakt der SPD warnt Spitzenkandidatin Katarina Barley vor der AfD; diese sei „menschenverachtend und eklig“. Den wegen Russlandkontakten und chinesischer Spionage aus seinem Büro heraus in die Kritik geratene AfDSpitzenkandidat Maximilian Krah wird von Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke als „Propagandamaschine für Despoten“bezeichnet, und weil die AfD ihren Wahlkampfauftakt ohne Krah absolvierte, witzelte Unions-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen: „Erst vom Vorstand gedeckt, dann vom Vorstand versteckt.“
Aber auch die Präsenz von der Leyens regt andere Parteien zu bissigen Kommentaren an. Die FDP spießte das Fehlen der CDU-Spitzenkandidatin auf den ersten CDU-Wahlkampfplakaten auf. Der Grund sei, dass der „Bürokratiestress“in Deutschland einen Vornamen habe: „Ursula“, vermutete FDP-Parteichef Christian Lindner. Seine Partei inszeniert die eigene Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (plakativ: „Oma Courage“) geradezu als Anti-von-der-Leyen. Dafür prägte die bundesweit plakatierte
„Nutze Deine Stimme, sonst entscheiden andere für Dich.“Zentrale Botschaft der Wahlkampagne des EU-Parlaments
Düsseldorferin bereits den Slogan „Mehr von der Freiheit als von der Leyen.“Nun warf sie von der Leyen vor, auf allen drei Feldern versagt zu haben, die der CDU wichtig seien; als Verteidigungsministerin habe sie sich nicht um die europäische Sicherheit gekümmert, als Arbeitsministerin nicht um die Wirtschaft und als Christdemokratin habe sie für Ungarn unter fragwürdigen Umständen gesperrte Gelder freigegeben.
Als optische Doppelspitze treten für die SPD in Deutschland Spitzenkandidatin Barley und der Kanzler auf. Beim Wahlkampfauftakt in Altona zeichnete sich ab, dass Olaf
Scholz mit dem Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zu punkten versucht. Jeder könne sich darauf verlassen, dass er und die von ihm geführte Regierung den „Kurs der Besonnenheit nicht verlassen“würden. Allerdings treten sowohl die Grünen- als auch FDP-Koalitionspartner für die Taurus-Lieferung ein – und sehen darin keine Unbesonnenheit.
Durch eine Betonung deutscher Themen („Die Ampel muss weg“) zeichnete sich der Wahlkampfauftakt der CSU aus, die SPD verschreibt sich der „Verteidigung sozialer Werte“, die FDP will die Berichtspflichten für Unternehmen und weitere Bürokratie in Brüssel vermindern, die Grünen trommeln dafür, Wirtschaft und Klimaschutz nicht als Gegensatz, sondern als Chance für mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit Europas zu begreifen, die Linke setzt auf „Brotund Butter“– Themen, wie Miete, Energie und Lebensmittelpreise, und die AfD verkündet: „Wir wollen dieses Europa nicht mehr.“Die CDU hat vor, von der Leyen in einer späteren Phase herauszuheben. Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin reklamierte in der letzten Plenarwoche in Straßburg schon einmal für sich, dass die EU auf diversen Feldern „stärker als vor fünf
Jahren“sei.
Damit ist Stoff und Unterscheidungsmaterial für einen lebhaften Wahlkampf gegeben, der in Brüssel seinen Höhepunkt am 23. Mai erleben wird, wenn sich die Spitzenkandidaten auf europäischer Ebene einen live übertragenen Schlagabtausch liefern.
Am Europa-Tag, dem 9. Mai, werden zahlreiche Gebäude in europäischen Metropolen, wie das Kolosseum in Rom, mit Wahlaufrufen illuminiert. Zahlreiche Partner hat das EU-Parlament für EU-Slogans gewonnen; so beklebt auch die Lufthansa vier ihrer Jets mit auffälligen Europa-Botschaften.