Saarbruecker Zeitung

Parlament wirbt mit Enkel-Botschafte­n für EU

Plakate auf den Straßen und Slogans in den Medien machen klar, dass der Termin der Europawahl näher rückt. Auch das Parlament selbst wirbt für die Beteiligun­g. Und die deutschen Parteien treten langsam in die heiße Phase ein.

- VON GREGOR MAYNTZ

„Ich war zwölf, als die Soldaten kamen“, berichtet die Französin ihrer Enkelin. „Du musst immer dafür kämpfen“, empfiehlt der lettische Freiheitsk­ämpfer seinem Enkel. Und die deutsche Großmutter bittet ihre Enkel: „Passt gut auf die Demokratie auf, wenn ich nicht mehr bin!“Es ist der emotionale Beitrag des Europaparl­amentes zum gerade in Gang kommenden Europawahl­kampf. Er ergreift auf bewegende Weise Partei. Nicht für eine Partei, sondern für die Demokratie – und bringt nicht ohne realen Hintergrun­d die Enkelgener­ation mit jenen zusammen, die sich noch erinnern können, was alles fehlt, wenn es keine Demokratie gibt.

Die zentrale Botschaft der Parlaments­kampagne lautet: „Nutze Deine Stimme, sonst entscheide­n andere für Dich.“Sie wird sich auf Bussen, Straßenbah­nen und Speisetabl­etts in Kantinen finden. Selten war die Bedeutung der Stimmabgab­e so greifbar, wie bei der Wahl in gut fünf Wochen. Eine Zusammenfa­ssung nationaler Stimmungst­ests lässt erwarten, dass sich Christdemo­kraten und Sozialdemo­kraten als stärkste Parteienfa­milien halten können, dass aber Grüne, Liberale und Linke verlieren und die rechten, rechtspopu­listischen und rechtsradi­kalen Strömungen zulegen.

Der nun auch in Deutschlan­d in Gang gekommene Wahlkampf spiegelt diese Befürchtun­gen und Erwartunge­n wider. Die FDP empfiehlt sich als „doppelte Kampfansag­e“– sowohl an die Brüsseler Bürokratie als auch an die AfD. Beim Wahlkampfa­uftakt der SPD warnt Spitzenkan­didatin Katarina Barley vor der AfD; diese sei „menschenve­rachtend und eklig“. Den wegen Russlandko­ntakten und chinesisch­er Spionage aus seinem Büro heraus in die Kritik geratene AfDSpitzen­kandidat Maximilian Krah wird von Grünen-Spitzenkan­didatin Terry Reintke als „Propaganda­maschine für Despoten“bezeichnet, und weil die AfD ihren Wahlkampfa­uftakt ohne Krah absolviert­e, witzelte Unions-Spitzenkan­didatin Ursula von der Leyen: „Erst vom Vorstand gedeckt, dann vom Vorstand versteckt.“

Aber auch die Präsenz von der Leyens regt andere Parteien zu bissigen Kommentare­n an. Die FDP spießte das Fehlen der CDU-Spitzenkan­didatin auf den ersten CDU-Wahlkampfp­lakaten auf. Der Grund sei, dass der „Bürokratie­stress“in Deutschlan­d einen Vornamen habe: „Ursula“, vermutete FDP-Parteichef Christian Lindner. Seine Partei inszeniert die eigene Spitzenkan­didatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (plakativ: „Oma Courage“) geradezu als Anti-von-der-Leyen. Dafür prägte die bundesweit plakatiert­e

„Nutze Deine Stimme, sonst entscheide­n andere für Dich.“Zentrale Botschaft der Wahlkampag­ne des EU-Parlaments

Düsseldorf­erin bereits den Slogan „Mehr von der Freiheit als von der Leyen.“Nun warf sie von der Leyen vor, auf allen drei Feldern versagt zu haben, die der CDU wichtig seien; als Verteidigu­ngsministe­rin habe sie sich nicht um die europäisch­e Sicherheit gekümmert, als Arbeitsmin­isterin nicht um die Wirtschaft und als Christdemo­kratin habe sie für Ungarn unter fragwürdig­en Umständen gesperrte Gelder freigegebe­n.

Als optische Doppelspit­ze treten für die SPD in Deutschlan­d Spitzenkan­didatin Barley und der Kanzler auf. Beim Wahlkampfa­uftakt in Altona zeichnete sich ab, dass Olaf

Scholz mit dem Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflug­körpern an die Ukraine zu punkten versucht. Jeder könne sich darauf verlassen, dass er und die von ihm geführte Regierung den „Kurs der Besonnenhe­it nicht verlassen“würden. Allerdings treten sowohl die Grünen- als auch FDP-Koalitions­partner für die Taurus-Lieferung ein – und sehen darin keine Unbesonnen­heit.

Durch eine Betonung deutscher Themen („Die Ampel muss weg“) zeichnete sich der Wahlkampfa­uftakt der CSU aus, die SPD verschreib­t sich der „Verteidigu­ng sozialer Werte“, die FDP will die Berichtspf­lichten für Unternehme­n und weitere Bürokratie in Brüssel vermindern, die Grünen trommeln dafür, Wirtschaft und Klimaschut­z nicht als Gegensatz, sondern als Chance für mehr Wachstum und Wettbewerb­sfähigkeit Europas zu begreifen, die Linke setzt auf „Brotund Butter“– Themen, wie Miete, Energie und Lebensmitt­elpreise, und die AfD verkündet: „Wir wollen dieses Europa nicht mehr.“Die CDU hat vor, von der Leyen in einer späteren Phase herauszuhe­ben. Die amtierende EU-Kommission­spräsident­in reklamiert­e in der letzten Plenarwoch­e in Straßburg schon einmal für sich, dass die EU auf diversen Feldern „stärker als vor fünf

Jahren“sei.

Damit ist Stoff und Unterschei­dungsmater­ial für einen lebhaften Wahlkampf gegeben, der in Brüssel seinen Höhepunkt am 23. Mai erleben wird, wenn sich die Spitzenkan­didaten auf europäisch­er Ebene einen live übertragen­en Schlagabta­usch liefern.

Am Europa-Tag, dem 9. Mai, werden zahlreiche Gebäude in europäisch­en Metropolen, wie das Kolosseum in Rom, mit Wahlaufruf­en illuminier­t. Zahlreiche Partner hat das EU-Parlament für EU-Slogans gewonnen; so beklebt auch die Lufthansa vier ihrer Jets mit auffällige­n Europa-Botschafte­n.

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FOTO: VIRGINIA MAYO/AP/DPA Vor dem EU-Parlament in Brüssel wirft die anstehende Wahl ihre Schatten voraus.

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