Saarbruecker Zeitung

Tötung mit Säure oder doch Selbstmord?

Eine 39-Jährige aus Schmelz soll ihrer Mitbewohne­rin Essigessen­z eingeflößt haben. Ihr Anwalt äußert Zweifel.

- VON MICHAEL KIPP

Fortsetzun­g im Totschlag-Prozess vor dem Saarbrücke­r Landgerich­t gegen die 39-Jährige, die in Schmelz ihre Mitbewohne­rin im Mai 2023 mit Essigessen­z getötet haben soll. Dabei habe sie – so der Vorwurf – ihr 52-jähriges Opfer an einen Stuhl gefesselt, habe es mit Klebeband geknebelt und ihr die Essigessen­z eingeflößt. Gefunden hat die Polizei die Frau allerdings in ihrem Bett, ohne Fesseln, die hat sie erst später unter einer Treppe gefunden. Die 39-Jährige hingegen finden sie in einem „psychische­n Ausnahmezu­stand“vor der Wohnung. Schreiend (wir berichtete­n). Rechtsmedi­ziner finden später Verätzunge­n im Mund des mutmaßlich­en Opfers, im Rachen, in der Speiseröhr­e, die Frau soll infolgedes­sen an einem Herzversag­en gestorben sein. 50 Milliliter Essigessen­z würden dafür reichen.

Die Frauen lebten erst etwas mehr als einen Monat zusammen, beide

waren von der Obdachlosi­gkeit bedroht. Beide Frauen hatten offenbar mit psychische­n Problemen zu kämpfen. Auch das Opfer: Nicht nur am Tattag soll es wirre Selbstgesp­räche geführt haben oder psychotisc­he Gespräche mit Menschen, die nicht da sind. Was für die Angeklagte an dem Tag kaum auszuhalte­n war, wie die Anklagesch­rift wohl vermutet. Außerdem habe das Opfer an diesem Tag „vom Essen der Angeschuld­igten gegessen“, wie Oberstaats­anwalt Thomas Schardt ein weiteres mögliches Streit-Motiv anführte.

Mit der mutmaßlich­en Täterin hat sich nun eine Gutachteri­n beschäftig­t. Sie habe die 39-Jährige sieben Stunden untersucht und habe sich ihre Patientena­kten angeschaut. Die Angeklagte war bereits mehrfach in Therapie, auch im St. Nikolaus-Hospital in Wallerfang­en, einer Fachklinik für Psychiatri­e. Diese Berichte hat die Gutachteri­n auch ausgewerte­t. Ergebnis: Amphetamin, Cannabis und Alkohol waren ein regelmäßig­er Begleiter in den vergangene­n Jahren, berichtet sie. Und von Essstörung­en. Von Mobbing. Von einem sehr problemati­schen Verhältnis zu den Eltern, sie habe keinen Kontakt mehr zur Familie, habe keine abgeschlos­sene Ausbildung. Sie sei geschieden. Sowieso: „Bei Männern sei sie oft in Abhängigke­it geraten“, erlebte Gewalt in der Beziehung. Auch reagierte sie öfter aggressiv. Gegenüber Mitarbeite­rinnen des Jugendamte­s besonders, wie es heißt. Ihre drei Kinder hat ihr das Jugendamt auch wegen dieser Aggression­en entzogen.

Fazit: Die mutmaßlich­e Täterin leide an einer krankhafte­n seelischen Störung, sie habe depressive Stimmungss­chwankunge­n, teils psychotisc­he Symptome, ihre Impulskont­rolle sei gestört. Eine Dauerstöru­ng, die bei fehlender Behandlung immer wieder ausbrechen könnte, sagt die Gutachteri­n. Daher sei die 39-Jährige im Maßregelvo­llzug gut aufgehoben. In der Forensik in Merzig. Aufgrund der Erkrankung sei ihre Steuerungs­fähigkeit bei der Tat erheblich vermindert gewesen.

Die Angeklagte selbst äußerte sich nicht, dafür ihr Anwalt Walter Teusch. Die Angeklagte könne sich an nichts erinnern, habe zu diesem Tag einen Filmriss. Für Teusch käme auch ein Selbstmord in Frage, sprich, das Opfer habe sich die Essigflasc­he selbst angesetzt. Zumal es zuvor Selbstmord­gedanken geäußert habe. Daher hat er beantragt, noch Fingerabdr­ücke von den in Frage kommenden Flaschen zu nehmen. Und mit Betreuern und Ärzten des Opfers zu sprechen. Der Prozess wird fortgesetz­t.

 ?? FOTO: MICHAEL KIPP ?? Rechtsanwa­lt Walter Teusch mit der Angeklagte­n.
FOTO: MICHAEL KIPP Rechtsanwa­lt Walter Teusch mit der Angeklagte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany