Saarbruecker Zeitung

Burnout und Gewalt gehäuft an Schulen

Die Ergebnisse des jüngsten Schulbarom­eters, einer deutschlan­dweiten repräsenta­tiven Forsa-Befragung von knapp 2000 Lehrkräfte­n aller Schulforme­n im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, fallen zum Teil alarmieren­d aus. Entspreche­nd deutlich sind die Reaktio

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Fast jeder zweite Lehrer sieht in Deutschlan­d an der eigenen Schule ein Gewaltprob­lem, sei es physische oder psychische Gewalt. In sogenannte­n Brennpunkt­schulen berichten sieben von zehn Lehrkräfte­n von zunehmende­r Gewalt unter Schülern – dies sind zwei der bedenklich­sten Resultate des jüngsten deutschen Schulbarom­eters der Robert Bosch Stiftung. Dass dies ganz ähnlich auch für das Saarland gilt, spiegeln die von der SZ zu den Ergebnisse­n befragten Lehrerverb­ände.

„Die Ergebnisse kommen für uns nicht überrasche­nd“, meint etwa der Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), Max Hewer. Gewalt an Schulen habe im Saarland zugenommen, quittiert Hewer und befürworte­t einen „Masterplan, an dem alle am Schulleben Beteiligte­n mitarbeite­n sollten“– sprich die Schulaufsi­cht und die Personal-, Schüler- und Elternvert­retungen. Offenbar wächst nicht nur die Gewalt unter Schülern, auch Übergriffe auf Lehrkräfte nehmen zu. „Wir kennen Fälle, in welchen Lehrerinne­n und Lehrer geschlagen, getreten oder bespuckt werden“, warnte die Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­n- und Lehrerverb­andes (SLLV), Lisa Brausch, schon vor einigen Wochen. Was generell das Thema Gewalt an Schulen angeht, folgert Brausch, dass „immer mehr Kinder mit den Herausford­erungen in ihrer Familie und in der Gesellscha­ft überforder­t“seien und ihre Ohnmacht dann teilweise in aggressive­s Verhalten münde.

Das saarländis­che Bildungsmi­nisterium hatte zuletzt im März auf SZ-Anfrage von einer „steigenden Tendenz“gesprochen – sowohl, was körperlich­e Angriffe auf Pädagogen angeht als auch mit Blick auf die Be

drohung von Lehrern. Im Licht der jüngsten Ergebnisse des deutschlan­dweiten Schulbarom­eters gibt der Vorsitzend­e des Saarländis­chen Philologen­verbandes (SPhV), Marcus Hahn, zu bedenken, dass der Schülergew­alt oft ein „Missbrauch digitaler Medien“zugrunde liege: Tablets und Handys machten Jugendlich­e „zunehmend auch aggressiv“.

Dass sich dies gegen Pädagogen richtet, ist allerdings die Ausnahme. Neun von zehn Lehrern glauben denn auch, dass sich die Schüler eigentlich an ihrer Schule wohlfühlen. Aber was heißt das? Genießen sie eher die Gemeinscha­ft mit Gleichaltr­igen oder gründet ihr Wohlfühlen auch in der Akzeptanz der Sinnhaftig­keit von Schule?

Jedenfalls ist für ein Drittel aller befragten deutschen Lehrkräfte das Verhalten der Schüler die größte Herausford­erung – genannt werden insbesonde­re ihre fehlende Motivation und das Sozialverh­alten der Schüler sowie Konzentrat­ionsproble­me und psychische Auffälligk­eiten. Am stärksten gilt dies laut Schulbarom­eter für Berufsschu­len, wo nahezu die Hälfte der Schüler in der Lehrerwahr­nehmung verhaltens­auffällig ist (46 Prozent) – gegenüber dem Vorjahr ein bedenklich­er Anstieg um zehn Prozentpun­kte. Nur unwesentli­ch besser fällt die Einschätzu­ng für die Gesamtschu­len aus (42 Prozent).

An Berufschul­en ist, so die Lehrersich­t laut Schulbarom­eter, nicht

nur die Nullbock-Mentalität am ausgeprägt­esten (21 Prozent), auch psychische Probleme seien bei fast jedem achten Berufsschü­ler (zwölf Prozent) auszumache­n. Schaut man sich die Ergebnisse im Detail an, zeigt sich, dass quer über alle Schulforme­n hinweg das als zunehmende Herausford­erung empfundene Schülerver­halten „in sozial benachteil­igten Lagen“, so die Formulieru­ng der Bosch Stiftung in ihrer Bilanz, mit 42 Prozent deutlich massiver auftritt als in „sozial günstigen Lagen“(27 Prozent).

Aufschluss­reich sind auch manche signifikan­ten Unterschie­de zwischen den Schulforme­n: Während für Grundschul­lehrer die Heterogeni­tät der Klassen ein noch größeres Problem darstellt als das Sozialverh­alten ihrer Schüler, benennen Gymnasiall­ehrer die eigene Arbeitsbel­astung als größtes Problem. Der SPhV-Vorsitzend­e Marcus Hahn, Sprachrohr der Gymnasiall­ehrer, meint denn auch: „Es ist völlig unverständ­lich, warum es im Saarland auch im Jahr

2024 noch keine Schul- und Unterricht­sassistent­en an den Schulen gibt.“Ganz ähnlich GEW-Mann Max Hewer, der überdies mehr unbefriste­te Stellen für Sprachförd­erlehrer und mehr Schulsozia­larbeiter und -psychologe­n für erforderli­ch hält.

Wie ernst die Stimmungsl­age mittlerwei­le an vielen Schulen ist, offenbart einmal mehr auch ein weiterer Befund der Lehrerbefr­agung: Mehr als jede vierte Lehrkraft (27 Prozent) würde demnach ihren Job am liebsten hinwerfen, unter den befragten Schulleite­rn sind es immerhin 19 Prozent. Gut jede dritte Lehrkraft gibt ferner an, sich mehrmals pro Woche emotional erschöpft zu fühlen (zwölf Prozent sind es sogar tagtäglich).

Die SLLV-Vorsitzend­e spricht von einem Ergebnis, „das endlich wachrüttel­n sollte“. Die Gefahr, dass immer mehr Lehrer im Saarland den Beruf verlassen, sei „nicht von der Hand zu weisen“. Die Landesvors­itzende des Verbandes Reale Bildung ( VRB), Karen Claassen, mahnt: „Sonntagsre­den helfen nicht weiter“und folgert: „Unsere Schulen brauchen dringend nicht nur mehr Lehrkräfte, wir benötigen endlich das immer wieder angekündig­te, aber nur schleppend eingestell­te Unterstütz­ungsperson­al.“

Die GEW wiederum erinnert daran, dass viele Lehrer „zur Gesunderha­ltung in Teilzeit arbeiten wollen und damit lieber eine Gehaltsmin­derung hinnehmen als eine gesundheit­liche Schädigung“. Eine Anspielung auf die

Vorschläge der Ständigen Wissenscha­ftlichen Kommission der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK). Diese hatte im Vorjahr gefordert, aufgrund des Lehrermang­els Teilzeit an Schulen zu reglementi­eren.

Insbesonde­re an Grundschul­en geben viele der überwiegen­d weiblichen Lehrkräfte an, unter Burnout-Symptomen zu leiden. Generell berichten über alle Schulforme­n hinweg überwiegen­d jüngere Kollegen von Erschöpfun­gszustände­n, heißt es in der Auswertung des Schulbarom­eters.

Anderersei­ts legt ein anderer Befund der Erhebung nahe, dass die große Mehrheit der Lehrerinne­n und Lehrer – mit Abstrichen allerdings in den Grundschul­en – eine hohe Zufriedenh­eit mit ihrem Beruf empfindet. Dass viele ihn zugleich als anstrengen­d und belastend empfinden, ist da nicht unbedingt ein Widerspruc­h.

Insgesamt beschreibe­n gut 40 Prozent der 1906 republikwe­it Befragten „mehr Personal“als dringendst­e Notwendigk­eit zur Verbesseru­ng ihres Arbeitsumf­eldes – unter den befragten Grundschul­lehrerinne­n und Grundschul­lehrern ist dies sogar jede/r zweite. An zweiter Stelle folgt in der Rangliste der Notwendigk­eit aus Sicht der Mehrheit der Befragten der eklatante Sanierungs- und Investitio­nsbedarf an der eigenen Schule.

Ziemlich katastroph­al fällt die Bilanz der Lehrerbefr­agung im Hinblick auf Inklusions- und Fördermaßn­ahmen aus. Dreivierte­l der Lehrer sind der Meinung, dass eine inklusive Beschulung den Unterricht im Klassenver­band nicht verbessert. 77 Prozent glauben sogar, dass Schüler mit Förderbeda­rf durch Inklusion nicht die spezielle Unterstütz­ung erfahren, die sie benötigen würden. Die SLLV-Vorsitzend­e Lisa Brausch erklärt dies mit Personal- und Zeitmangel. „Es fehlt an wirklichen multiprofe­ssionellen Teams, die genau das unterstütz­en!“

Zugleich geben 85 Prozent der Schulbarom­eter-Befragten an, Leistungsu­nterscheid­e zu berücksich­tigen, sprich Binnendiff­erenzierun­gen im eigenen Unterricht vorzunehme­n. Allerdings schlussfol­gern die Autoren in der Ergebnisan­alyse auch: „Wir sehen aber auch, je besser Lehrkräfte für einen inklusiven Unterricht qualifizie­rt werden, desto positiver sind sie einer inklusiven Beschulung gegenüber eingestell­t.“Das Problem ist jedoch: Je mehr verhaltens­auffällige Schüler in einer Klasse sind, umso schwierige­r wird Inklusion, wenn man als Lehrkraft alleingest­ellt ist.

Gut 40 Prozent der 1906 republikwe­it befragten Lehrer sehen „mehr Personal“als dringendst­e Notwendigk­eit zur Verbesseru­ng ihres Arbeitsumf­eldes.

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? „Die Lehrkräfte stehen unter einem enormen Druck“, sagt Lisa Brausch, Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­nund Lehrerverb­andes (SLLV). Die Politik müsse nun endlich Verantwort­ung übernehmen, „statt immer wieder routiniert zu beschönige­n“, fordert die SLLV-Vorsitzend­e.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA „Die Lehrkräfte stehen unter einem enormen Druck“, sagt Lisa Brausch, Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­nund Lehrerverb­andes (SLLV). Die Politik müsse nun endlich Verantwort­ung übernehmen, „statt immer wieder routiniert zu beschönige­n“, fordert die SLLV-Vorsitzend­e.

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