Burnout und Gewalt gehäuft an Schulen
Die Ergebnisse des jüngsten Schulbarometers, einer deutschlandweiten repräsentativen Forsa-Befragung von knapp 2000 Lehrkräften aller Schulformen im Auftrag der Robert Bosch Stiftung, fallen zum Teil alarmierend aus. Entsprechend deutlich sind die Reaktio
Fast jeder zweite Lehrer sieht in Deutschland an der eigenen Schule ein Gewaltproblem, sei es physische oder psychische Gewalt. In sogenannten Brennpunktschulen berichten sieben von zehn Lehrkräften von zunehmender Gewalt unter Schülern – dies sind zwei der bedenklichsten Resultate des jüngsten deutschen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung. Dass dies ganz ähnlich auch für das Saarland gilt, spiegeln die von der SZ zu den Ergebnissen befragten Lehrerverbände.
„Die Ergebnisse kommen für uns nicht überraschend“, meint etwa der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Max Hewer. Gewalt an Schulen habe im Saarland zugenommen, quittiert Hewer und befürwortet einen „Masterplan, an dem alle am Schulleben Beteiligten mitarbeiten sollten“– sprich die Schulaufsicht und die Personal-, Schüler- und Elternvertretungen. Offenbar wächst nicht nur die Gewalt unter Schülern, auch Übergriffe auf Lehrkräfte nehmen zu. „Wir kennen Fälle, in welchen Lehrerinnen und Lehrer geschlagen, getreten oder bespuckt werden“, warnte die Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (SLLV), Lisa Brausch, schon vor einigen Wochen. Was generell das Thema Gewalt an Schulen angeht, folgert Brausch, dass „immer mehr Kinder mit den Herausforderungen in ihrer Familie und in der Gesellschaft überfordert“seien und ihre Ohnmacht dann teilweise in aggressives Verhalten münde.
Das saarländische Bildungsministerium hatte zuletzt im März auf SZ-Anfrage von einer „steigenden Tendenz“gesprochen – sowohl, was körperliche Angriffe auf Pädagogen angeht als auch mit Blick auf die Be
drohung von Lehrern. Im Licht der jüngsten Ergebnisse des deutschlandweiten Schulbarometers gibt der Vorsitzende des Saarländischen Philologenverbandes (SPhV), Marcus Hahn, zu bedenken, dass der Schülergewalt oft ein „Missbrauch digitaler Medien“zugrunde liege: Tablets und Handys machten Jugendliche „zunehmend auch aggressiv“.
Dass sich dies gegen Pädagogen richtet, ist allerdings die Ausnahme. Neun von zehn Lehrern glauben denn auch, dass sich die Schüler eigentlich an ihrer Schule wohlfühlen. Aber was heißt das? Genießen sie eher die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen oder gründet ihr Wohlfühlen auch in der Akzeptanz der Sinnhaftigkeit von Schule?
Jedenfalls ist für ein Drittel aller befragten deutschen Lehrkräfte das Verhalten der Schüler die größte Herausforderung – genannt werden insbesondere ihre fehlende Motivation und das Sozialverhalten der Schüler sowie Konzentrationsprobleme und psychische Auffälligkeiten. Am stärksten gilt dies laut Schulbarometer für Berufsschulen, wo nahezu die Hälfte der Schüler in der Lehrerwahrnehmung verhaltensauffällig ist (46 Prozent) – gegenüber dem Vorjahr ein bedenklicher Anstieg um zehn Prozentpunkte. Nur unwesentlich besser fällt die Einschätzung für die Gesamtschulen aus (42 Prozent).
An Berufschulen ist, so die Lehrersicht laut Schulbarometer, nicht
nur die Nullbock-Mentalität am ausgeprägtesten (21 Prozent), auch psychische Probleme seien bei fast jedem achten Berufsschüler (zwölf Prozent) auszumachen. Schaut man sich die Ergebnisse im Detail an, zeigt sich, dass quer über alle Schulformen hinweg das als zunehmende Herausforderung empfundene Schülerverhalten „in sozial benachteiligten Lagen“, so die Formulierung der Bosch Stiftung in ihrer Bilanz, mit 42 Prozent deutlich massiver auftritt als in „sozial günstigen Lagen“(27 Prozent).
Aufschlussreich sind auch manche signifikanten Unterschiede zwischen den Schulformen: Während für Grundschullehrer die Heterogenität der Klassen ein noch größeres Problem darstellt als das Sozialverhalten ihrer Schüler, benennen Gymnasiallehrer die eigene Arbeitsbelastung als größtes Problem. Der SPhV-Vorsitzende Marcus Hahn, Sprachrohr der Gymnasiallehrer, meint denn auch: „Es ist völlig unverständlich, warum es im Saarland auch im Jahr
2024 noch keine Schul- und Unterrichtsassistenten an den Schulen gibt.“Ganz ähnlich GEW-Mann Max Hewer, der überdies mehr unbefristete Stellen für Sprachförderlehrer und mehr Schulsozialarbeiter und -psychologen für erforderlich hält.
Wie ernst die Stimmungslage mittlerweile an vielen Schulen ist, offenbart einmal mehr auch ein weiterer Befund der Lehrerbefragung: Mehr als jede vierte Lehrkraft (27 Prozent) würde demnach ihren Job am liebsten hinwerfen, unter den befragten Schulleitern sind es immerhin 19 Prozent. Gut jede dritte Lehrkraft gibt ferner an, sich mehrmals pro Woche emotional erschöpft zu fühlen (zwölf Prozent sind es sogar tagtäglich).
Die SLLV-Vorsitzende spricht von einem Ergebnis, „das endlich wachrütteln sollte“. Die Gefahr, dass immer mehr Lehrer im Saarland den Beruf verlassen, sei „nicht von der Hand zu weisen“. Die Landesvorsitzende des Verbandes Reale Bildung ( VRB), Karen Claassen, mahnt: „Sonntagsreden helfen nicht weiter“und folgert: „Unsere Schulen brauchen dringend nicht nur mehr Lehrkräfte, wir benötigen endlich das immer wieder angekündigte, aber nur schleppend eingestellte Unterstützungspersonal.“
Die GEW wiederum erinnert daran, dass viele Lehrer „zur Gesunderhaltung in Teilzeit arbeiten wollen und damit lieber eine Gehaltsminderung hinnehmen als eine gesundheitliche Schädigung“. Eine Anspielung auf die
Vorschläge der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK). Diese hatte im Vorjahr gefordert, aufgrund des Lehrermangels Teilzeit an Schulen zu reglementieren.
Insbesondere an Grundschulen geben viele der überwiegend weiblichen Lehrkräfte an, unter Burnout-Symptomen zu leiden. Generell berichten über alle Schulformen hinweg überwiegend jüngere Kollegen von Erschöpfungszuständen, heißt es in der Auswertung des Schulbarometers.
Andererseits legt ein anderer Befund der Erhebung nahe, dass die große Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer – mit Abstrichen allerdings in den Grundschulen – eine hohe Zufriedenheit mit ihrem Beruf empfindet. Dass viele ihn zugleich als anstrengend und belastend empfinden, ist da nicht unbedingt ein Widerspruch.
Insgesamt beschreiben gut 40 Prozent der 1906 republikweit Befragten „mehr Personal“als dringendste Notwendigkeit zur Verbesserung ihres Arbeitsumfeldes – unter den befragten Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern ist dies sogar jede/r zweite. An zweiter Stelle folgt in der Rangliste der Notwendigkeit aus Sicht der Mehrheit der Befragten der eklatante Sanierungs- und Investitionsbedarf an der eigenen Schule.
Ziemlich katastrophal fällt die Bilanz der Lehrerbefragung im Hinblick auf Inklusions- und Fördermaßnahmen aus. Dreiviertel der Lehrer sind der Meinung, dass eine inklusive Beschulung den Unterricht im Klassenverband nicht verbessert. 77 Prozent glauben sogar, dass Schüler mit Förderbedarf durch Inklusion nicht die spezielle Unterstützung erfahren, die sie benötigen würden. Die SLLV-Vorsitzende Lisa Brausch erklärt dies mit Personal- und Zeitmangel. „Es fehlt an wirklichen multiprofessionellen Teams, die genau das unterstützen!“
Zugleich geben 85 Prozent der Schulbarometer-Befragten an, Leistungsunterscheide zu berücksichtigen, sprich Binnendifferenzierungen im eigenen Unterricht vorzunehmen. Allerdings schlussfolgern die Autoren in der Ergebnisanalyse auch: „Wir sehen aber auch, je besser Lehrkräfte für einen inklusiven Unterricht qualifiziert werden, desto positiver sind sie einer inklusiven Beschulung gegenüber eingestellt.“Das Problem ist jedoch: Je mehr verhaltensauffällige Schüler in einer Klasse sind, umso schwieriger wird Inklusion, wenn man als Lehrkraft alleingestellt ist.
Gut 40 Prozent der 1906 republikweit befragten Lehrer sehen „mehr Personal“als dringendste Notwendigkeit zur Verbesserung ihres Arbeitsumfeldes.