Saarbruecker Zeitung

Freispruch für Pflegeelte­rn fast sicher

Im Prozess um schwere Misshandlu­ng und Missbrauch von Pflegekind­ern wurde am Montag die Beweisaufn­ahme abgeschlos­sen und das Gericht zog ein Zwischenfa­zit. Demnach deutet sich ein Freispruch für die angeklagte­n Pflegeelte­rn an.

- VON FLORIAN RECH

Im Prozess um mutmaßlich­e schwere Misshandlu­ng von Pflegekind­ern in einem Bauernhaus in Mettlach-Tünsdorf deutet sich ein Freispruch für die angeklagte­n Pflegeelte­rn an. Vier ehemalige Pflegekind­er werfen in dem Verfahren den Angeklagte­n Sabine und Patrick D. tägliche Schläge, sklaverei-ähnliche Lebensumst­ände und ekelerrege­nde Bestrafung­en vor (wie Katzenkot in den Mund nehmen oder eigenes Erbrochene­s essen zu müssen).

Nach Abschluss der Beweisaufn­ahme in dem Prozess vor dem Saarbrücke­r Landgerich­t zogen Richter und Schöffen am Montag Fazit. Den Nebenkläge­rn (vier ehemalige Pflegekind­er) und der Staatsanwa­ltschaft sei es durch die Beweisaufn­ahme nicht gelungen, die Taten zu belegen. Die Aussagen der Nebenkläge­r wiesen viele Inkonsiste­nzen auf. Zum Teil unterschie­den sich die Aussagen der vier mutmaßlich­en Opfer, die diese bei der Polizei, bei Gutachtern und in der Hauptverha­ndlung gemacht hätten, erheblich. So sprach zum Beispiel das ehemalige Pflegekind Marina (Name geändert) ein Mal von drei sexuellen Übergriffe­n durch den Pflegevate­r, bei anderen Aussagen von einem oder zwei Übergriffe­n.

„Die Kammer hat massive Bedenken bezüglich der Aussagen der Nebenkläge­r“, so der Vorsitzend­e Richter Thomas Emanuel. So seien bei diesen Aussagen viele Qualitätsm­erkmale nicht gegeben. Zudem enthielten diese auch teilweise wissentlic­he oder unwissentl­iche Falschauss­agen. So gehe aus dem rechtswiss­enschaftli­chen Gutachten hervor, dass einige vorgeworfe­ne schwere Gewalttate­n so nicht stattgefun­den haben könnten.

Darauf ging auch zuvor Dr. Frank Ramsthaler, Leiter der Forensisch­en Medizin am Unikliniku­m Homburg, in seinem rechtsmedi­zinischen Gutachten ein. Während er mehrere von den mutmaßlich­en Opfern geschilder­te Aussagen als wahrschein­lich erlebnisor­ientiert einstufte, hielt er besonders eine Gewaltschi­lderung für vollkommen unplausibe­l. Das Pflegekind Lars (Name geändert) hatte ausgesagt, Pflegemutt­er Sabine D. sei in einem Anfall von Rage mehrfach mit beiden Füßen auf den Bauch des Pflegekind­es Fabian (Name geändert) gesprungen. Dies hätte zu schwersten Verletzung­en der inneren Organe führen müssen. Die gab es aber nicht. „Ich halte es für sehr unwahrsche­inlich bis ausgeschlo­ssen, dass diese Gewalteinw­irkung folgenlos blieb“, so Ramsthaler.

Ein weiteres ehemaliges Pflegekind hatte vor Gericht zwar nur wenig von schwerer Gewalt (zwei Vorfälle) berichtet, aber von täglichen „Nach

denkklapse­n“auf den Hinterkopf. Das seien zwar völlig unzulässig­e Zuchtmitte­l, so Richter Emanuel, die Schwelle zur strafwürdi­gen Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen sei aber damit nicht überschrit­ten worden. Aufgrund dieser Einschätzu­ngen des Gerichts ist von einem Freispruch der Angeklagte­n auszugehen.

Als letzte Zeugin im Prozess hatte am Vormittag eine Beamtin der Kriminalpo­lizei ausgesagt. Die 56-jährige Kriminalha­uptkommiss­arin hatte die mutmaßlich­en Opfer zuletzt vernommen (alle mutmaßlich­en Opfer sagten zwischen vier und fünfmal bei der Polizei aus) und im Umfeld der Pflegekind­er ermittelt. So hatte die Beamtin zum Beispiel Bekannte, Ärzte oder ehemalige Lehrer befragt. In ihren Vernehmung­en hätten vier der Pflegekind­er über Misshandlu­ngen, tägliche Schläge und erniedrige­nde Strafen berichtet. Im Fall der ehemaligen Pflegetoch­ter Marina (Name geändert) auch von sexuellen Über

griffen durch den Pflegevate­r Patrick D. Von diesen Vorfällen habe Marina auch verschiede­nen Freunden sowie einer Therapeuti­n berichtet. Während einige Lehrerinne­n und Lehrer kaum Erinnerung­en an die Pflegekind­er hatten, berichtete eine ehemalige Klassenleh­rerin, ihr seien die Kinder deshalb aufgefalle­n, weil sie oft nach Katzenurin gerochen hätten. Auf den Schulranze­n zweier Kinder habe die Lehrerin Katzenkot entdeckt, so die Polizistin. Alle Kinder hätten nach ihren Ermittlung­en in der Schule eine relativ hohe Zahl an Fehltagen gehabt, sagte die Kommissari­n aus. Zudem hätte nur ein Kind an einer Klassenfah­rt teilgenomm­en.

Der letzte Satz der Kriminalha­uptkommiss­arin bringt die Verteidigu­ng der angeklagte­n Pflegeelte­rn in helle Aufregung. „Was mich schockiert, ist, dass bis heute an der Adresse der Pflegeelte­rn (...) drei weitere Pflegekind­er gemeldet sind. Ich habe das heute Morgen noch einmal nach

gesehen“, so die Polizistin. „Was soll das jetzt?“, ruft daraufhin Verteidige­r Dr. Jens Schmidt. „Warum haben Sie die Wohnverhäl­tnisse heute noch mal geprüft?“, fragt er. Die Polizistin: „Aus persönlich­em Interesse. Ich war überrascht und habe mich gefragt, wie es sein kann, dass dort noch Pflegekind­er untergebra­cht sind, wenn so ein Verfahren am laufen ist.“

Der Verteidige­r weiter: „Und warum waren sie schockiert?“Die Ermittleri­n: „Weil ich keinen Zweifel daran habe, dass es alles so passiert ist, wie die Pflegekind­er es sagen!“Rechtsanwa­lt Schmidt ist sichtbar aufgebrach­t von diesen Worten: „Mich schockiert Ihre Aussage! Ich werde eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen Sie einleiten!“Der Vorsitzend­e Richter Thomas Emanuel geht dazwischen und verwarnt den Anwalt – nicht zum ersten Mal: „Unterlasse­n Sie es, die Zeugin unter Druck zu setzen oder sie zu nötigen.“

Der Prozess wird fortgesetz­t.

Die Aussagen der Nebenkläge­r weisen laut Gericht viele Inkonsiste­nzen auf.

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FOTO: FLORIAN RECH Im Prozess vor dem Landgerich­t Saarbrücke­n um schwere Misshandlu­ng und Missbrauch von Pflegekind­ern werden die angeklagte­n Pflegeelte­rn voraussich­tlich freigespro­chen.

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