Von gebeugten Werwölfen und anderem Grusel
Katharina Fiedler und Peter Tiefenbrunner luden im Theater im Viertel zum „Unheimlichen Gruselgraus“.
(sat) „Alle Uhren wurden angehalten. Nie mehr werde Tag, so die Parole, in dem Saal, der voller Spukgestalten.“Katharina Fiedlers märchenhafte Erzählstimme lässt gleich zu Beginn des Abends im Theater im Viertel auf große Geschichten hoffen. Das Gedicht, welches sie frei vorträgt, ist von Heinrich Lautensack, wie sie erklärt. Der sei allerdings schon im Alter von 39 Jahren verstorben. Das lag doch sicher an seinen Kriegsverletzungen, schaltet sich da der Schauspieler Peter Tiefenbrunner ein, der an diesem Abend zusammen mit Fiedler durch die unheimliche Welt der gruseligsten Literaturklassiker führt.
Die ehemalige SR-Journalistin Katharina Fiedler entführt mit ihren „Literaturstreifzügen“im Saarbrücker Theater im Viertel regelmäßig in die Welt der literarischen Klassiker. Diesmal hatte sie sich gemeinsam mit dem Kollegen Peter Tiefenbrunner des Themas „Unheimlicher Gruselgraus“angenommen.
Tiefenbrunner und Fiedler kennen sich schon lange, haben auf der Bühne ein Gespür füreinander entwickelt, sodass der ganze Abend einem gemütlichen Beisammensein unter Freunden gleicht, bei dem eigentlich nur noch ein knisterndes Feuer im Kamin fehlt. Einige Gäste haben an kleinen, runden Tischen Platz genommen, man fühlt sich ein bisschen wie in einem kleinen Literaturcafé aus den 60er-Jahren. Während Peter Tiefenbrunner an seinem eigenen kleinen Tisch sitzt und sich Wein einschenkt, klärt Fiedler auf: Heinrich Lautensack soll wahnsinnig geworden sein. Er soll auf der Beerdigung eines guten Freundes wie verrückt umher getanzt und gesprungen sein, kurz danach starb er.
„Verwunschene Schlösser, Friedhöfe, flackernde Lichter in der Nacht sind unabdingbar für Gruselgrausgeschichten“, erzählt Fiedler weiter, „es war also einmal ein prächtiges Schloss...“Mit gelungenen Übergängen wie diesem, der zu der Geschichte das „Bettelweib von Locarno“führt, wechselt sie sich fast dialogartig mit Tiefenbrunner ab. Gekonnt leitet sie von einer Geschichte zur nächsten, baut immer wieder Lyrik-Passagen ein oder erklärt unheimliche Zusammenhänge zwischen fiktionaler Geschichte und dem realen Leben der Autoren.
So liest Fiedler zum Beispiel ein Stück des amerikanischen Autors Ambrose Bierce, in dem er auf eingehende Weise schildert, wie er sich fragt, ob denn nicht ohnehin alles Irrsinn ist, was ihm sein eigener Kopf erzählt. In seiner Geschichte endet er mit einer Erkenntnis, die den Atem stocken lässt: Er selbst ist es, der bereits tot ist und ohne bemerkt zu werden, durch die Welt wandelt. Und es wird noch unheimlicher, denn wie Fiedler in fast flüsternder Ehrfurcht erzählt, ist Ambrose Bierce 1914 einfach verschwunden. Er sei nie wieder aufgetaucht, weder tot noch lebendig. Zwischen den einzelnen Lesepassagen lässt Fiedler immer wieder neue Bilder an die Wand projizieren, die entweder den Autor oder eine Szene aus der jeweiligen Geschichte zeigen. Ab und an kündigt ein märchenartiger Sound den Beginn einer neuen Geschichte an. Der Wechsel zwischen zauberhaften Grusel-Gedichten, selbst getexteten Erzählungen und den Werken der großen Autoren ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch lehrreich.
Am Ende warnt Peter Tiefenbrunner augenzwinkernd vorm Antritt des Heimwegs, denn wer weiß, was im Dunkeln lauern könnte: „Ein Werwolf eines Nachts entwich von Weib und Kind und sich begab an eines Dorfschullehrers Grab und bat ihn: Bitte, beuge mich! Der Dorfschulmeister stieg hinauf auf seines Blechschilds Messingknauf und sprach zum Wolf, der seine Pfoten geduldig kreuzte vor dem Toten: Der Werwolf – sprach der gute Mann, des Weswolfs, Genitiv sodann, dem Wemwolf, Dativ, wie man`s nennt, den Wenwolf, – damit hat`s ein End.“