50 Jahre Punktesammeln in Flensburg
Gedrängelt. Gerast. Getrunken und Auto gefahren. Wer dabei erwischt wird, kassiert oftmals Punkte in Flensburg. Gesammelt werden sie beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) - und das seit 50 Jahren.
(dpa) Statistisch gesehen hat fast jeder achte Mensch in Deutschland einen Punkt in Flensburg. Seit 50 Jahren, dem 1. Mai 1974, werden Verkehrssünder in Deutschland anhand eines Punktesystems sanktioniert. Bereits 16 Jahre zuvor, am 2. Januar 1958, nahm das Verkehrszentralregister in Flensburg seine Arbeit auf. Der Grund: Der Autoverkehr nahm im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik Deutschland rasant zu, die Zahl der schweren Unfälle auch. In der sogenannten Verkehrssünderkartei wurde zunächst allerdings nur registriert, wenn jemandem die Fahrerlaubnis versagt oder entzogen wurde.
Dass das Mehrfachtäterpunktsystem 1974 eingeführt wurde, hatte einen traurigen Anlass: Anfang der 1970er Jahre war nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der
Rekordwert von mehr als 21 000 Verkehrstoten in der Bundesrepublik zu beklagen, bei rund 20,8 Millionen Kraftfahrzeugen. Heute sind gut 60 Millionen Autos, Lastwagen und Motorräder auf Deutschlands Straßen unterwegs. Die Zahl der Verkehrstoten hat sich hingegen im Vergleich zu damals deutlich reduziert – auf rund 2830 im Jahr 2023.
Das erste Punktesystem war 40 Jahre gültig, bis es durch das am 1. Mai 2014 in Kraft getretene Fahreignungsbewertungssystem abgelöst wurde. Das Punktesystem wurde einfacher strukturiert, wie das KBA mitteilte. Nur noch die Entscheidungen über Verstöße werden „bepunktet“und eingetragen, die direkte Relevanz für die Sicherheit des Straßenverkehrs haben und die Verkehrssicherheit unmittelbar gefährden. Je nach Schwere der Verstöße werden diese nun mit 1 bis 3 Punkten bewertet. Punkte freiwillig abbauen können Menschen, die ein bis drei Punkte haben. Ab vier Punkten gibt es eine schriftliche Ermahnung, ab sechs Punkten eine schriftliche Verwarnung. Mit acht Punkten ist der Führerschein erst einmal weg – „wegen Ungeeignetheit zur Teilnahme am Straßenverkehr“. Gesammelt werden die Punkte noch immer in einem Zweckbau aus den 1960er Jahren in Flensburg. Jahrzehntelang füllten Hängeakten Hunderte Regalmeter in dem weithin sichtbaren Gebäude im Stadtteil
Mürwik. Doch auch im KraftfahrtBundesamt schreitet die Digitalisierung mit großen Schritten voran. Nur noch wenige Restbestände, die etwa ein Prozent aller Vorgänge ausmachen, existieren noch in analoger Form – „und täglich werden es weniger“, teilte das KBA mit. Ein großer Vorteil: Alle Daten stehen digital zu Auskunftszwecken bereit. Bürgerinnen und Bürger können ihren eigenen Punktestand unter bestimmten Voraussetzungen direkt online, kostenfrei und zeitsparend abrufen.
Und auch wenn die Zahl der tödlichen Unfälle viele Jahre zurückgegangen ist, „wäre es fatal, die Verkehrsüberwachung für überflüssig zu erachten“sagte der Leiter der juristischen Zentrale des ADAC, Markus Schäpe. „Im Gegenteil, das
Zusammenspiel aus Geldbußen, Punkten und Fahrverboten hat sich in all den Jahren bewährt.“
Die meisten Menschen realisieren demnach nach dem Bußgeldbescheid, dass sie zukünftig besser aufpassen müssen, und können dies auch umsetzen. Einige müssten bei steigenden Punktewerten ermahnt oder gar verwarnt werden; „und auch hier verstehen die meisten, dass sie sich anders im Straßenverkehr verhalten müssen, wenn sie nicht bei acht Punkten die Fahrerlaubnis verlieren wollen“.
Am 1. Januar 2024 waren im Fahreignungsregister rund 10,239 Millionen Menschen eingetragen. Die Zahl ist seit Jahren relativ konstant. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist nach KBA-Angaben der
Geschwindigkeitsverstoß die am häufigsten gemeldete Ordnungswidrigkeit. Rund 75 Prozent der eingetragenen Menschen sind Männer.
Den Führerschein wegen zu vieler Punkte abgeben müssen aber nur die wenigsten: Weniger als 5000 Menschen kommen im Jahr auf den Wert von acht Punkten und müssen ihre Fahrerlaubnis für mindestens sechs Monate abgeben.
„Angesichts der Vielzahl von Verkehrsteilnehmern und Verkehrsverstößen ist das eine sehr geringe Zahl“, findet Schäpe. „Oder anders gesagt: Es werden genau diejenigen vom Punktesystem herausgefiltert, die sich weder durch Bußgelder noch durch Fahrverbote beeindrucken lassen und durch ihr Verhalten andere in Gefahr bringen.“