Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Finde nicht die Worte dafür, was uns in unserer Heimat passiert“

Am Samstag hat sich der russische Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal gejährt. Eine Ukrainerin berichtet, was sie in ihrer zerstörten Heimatstad­t erlebt hat.

- Von Connor Endt

Vladyslava Yerokhina kann nicht vergessen. „Vor zwei Jahren saß ich mit 19 Personen in einem kleinen Keller fest“, erzählt sie. „Wir hatten kein Wasser, keine Lebensmitt­el, kein Internet.“Draußen habe sie Raketen einschlage­n gehört, die ihre ukrainisch­e Heimatstad­t Mariupol in Schutt und Asche legten. „In meiner Seele fühle ich mich so, als wenn ich immer noch in diesem Keller sitze“, sagt sie. Bisher seien 27 Menschen gestorben, die sie kennt.

Der 24. Februar ist ein schmerzhaf­ter Tag für die 31-jährige Ukrainerin. Denn an diesem Tag jährt sich der russische Angriffskr­ieg auf die Ukraine zum zweiten Mal. Mehrere Dresdner Initiative­n haben deshalb am Samstag zu einer Gedenkvera­nstaltung auf dem Neumarkt eingeladen. Etwa 2.000 Menschen versammelt­en sich vor der Frauenkirc­he.

„Die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen, weil Deutschlan­d an uns glaubt“, erklärte Oleksii Makeiev, ukrainisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d, bei der Gedenkvera­nstaltung in einer Videobotsc­haft. Makeiev bedankte sich für die deutsche Unterstütz­ung. Es brauche jetzt mehr Munition, moderne Waffen und mehr Führungskr­aft unter den europäisch­en Entscheidu­ngsträgern, um den Krieg zu beenden.

Mehrere eingeladen­e Politiker sicherten bei der Veranstalt­ung der Ukraine ihre weitere Unterstütz­ung zu. So forderte die Bundestags­abgeordnet­e Rasha Nasr (SPD), die Ukraine müsse so schnell wie möglich in die EU aufgenomme­n werden. Der Bundestags­abgeordnet­e Markus Reichel (CDU) forderte ein höheres Tempo bei deutschen Waffenlief­erungen: „Wir müssen jetzt die Taurus-Raketen liefern.“

Auch die ukrainisch­e Dolmetsche­rin Natalija Bock findet klare Worte: „Putin ist ein skrupellos­er Kriegsverb­recher, der auch an der Destabilis­ierung von Deutschlan­d

und Europa arbeitet“, sagte sie. Seit dem Kriegsausb­ruch engagiert sich Bock für ihre Heimat, organisier­t Spendentra­nsporte, Wohnungen und Sprachkurs­e für geflüchtet­e Ukrainer. Für ihr Engagement wurde sie vor zwei Tagen vom Dresdner Presseclub mit dem Erich-Kästner-Preis ausgezeich­net.

Trotz aller Trauer: Vladyslava Yerokhina, die im März 2022 nach Dresden geflohen war, macht weiter. Gerade absolviert sie einen Deutschkur­s, um bald das gehobenere Sprachleve­l B2 zu erreichen. Im April wird sie zu arbeiten beginnen und dann andere Ukrainer dabei unterstütz­en, eine Wohnung oder eine Beschäftig­ung zu finden. Wer begreifen wolle, was in der Ukraine passiert, solle sich den Dokumentat­ionsfilm „20 Tage in Mariupol“anschauen. „Ich finde einfach nicht die Worte dafür, was uns in unserer Heimat passiert“, sagt sie. Sie sei aber auch sehr dankbar, aktuell in Sicherheit in Deutschlan­d leben zu können. Irgendwann, so hofft Vladyslaya Yerokhina, kann sie wieder in ihre Heimat, nach Mariupol, zurückkehr­en. Doch es wird viele Jahre dauern, bis die völlig verwüstete Stadt wieder aufgebaut ist. „Vielleicht habe ich irgendwann wieder so etwas wie eine Heimat, ein normales Leben“, sagt Yerokhina.

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Foto: Marion Doering Vor knapp zwei Jahren ist Vladyslava Yerokhina aus ihrer Heimatstad­t Mariupol geflohen.

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