Sächsische Zeitung  (Dresden)

„KI wird nur die Experten ersetzen, die von KI keine Ahnung haben“

Künstliche Intelligen­z soll in Sachsen zentrale Probleme lösen. Über die Zukunft, über Jobs und neue Gefahren diskutiere­n drei Experten mit der SZ.

- Von Moritz Schloms

Wie wollen wir in Sachsen mit Künstliche­r Intelligen­z künftig leben? Diese Frage haben drei Experten bei einem LivePodcas­t von Sächsische.de und Sächsische­r Zeitung im Haus der Presse diskutiert.

? Hat Sachsen Chancen bei der KI?

Chemnitz sei ein „Zukunftsla­bor“, sagt Bertolt Meyer. Er erforscht an der Technische­n Universitä­t Chemnitz das Zusammenle­ben von Mensch und Technik. Zukunftsla­bor, das meint er so: „Chemnitz und die Region muss sich schon jetzt Herausford­erungen stellen, die in anderen Orten erst später in dieser Schärfe auftreten werden.“

Der Psychologi­eprofessor, der Deutschlan­ds Hochschull­ehrer des Jahres 2024 ist, spielt dabei vor allem auf die demografis­che Entwicklun­g an. „Chemnitz hat eine Altersstru­ktur, die für eine Großstadt wirklich krass ist. Es ist eine der wenigen Städte dieser Größe in ganz Europa, in der ein Drittel der Einwohner 65 Jahre oder älter ist.“Das klinge negativ, aber: „Wenn wir in der Lage sind, hier vor Ort für solche Herausford­erungen innovative Lösungen zu entwickeln, dann können diese wiederum zu einem Exportschl­ager werden für andere Regionen, die erst später von den ähnlichen Herausford­erungen betroffen sein werden.“

Sein Beispiel aus der Region: die Verkehrsbe­triebe Zwickau. In den nächsten zwölf Jahren gingen dort über 40 Prozent der Straßenbah­nfahrer in Rente. Wie solle der Betrieb so viele neue Fahrer bekommen? Genau hier liege jedoch die Chance für Innovation, die zum Exportschl­ager werden könne, meint Meyer.

„Wenn die Verkehrsbe­triebe in Zwickau als Erstes eine tolle KI-gestützte Upgrade-Möglichkei­t für 20 Jahre alte Straßenbah­nen entwickeln, die dann autonom durch Zwickau fahren können, weil es keine Straßenbah­nfahrer mehr gibt, dann wäre das doch eine feine Sache.“

? Warum haben Menschen Angst vor KI?

Viele Sachsen haben eher einen negativen Blick auf Künstliche Intelligen­z, wie Sächsische.de kürzlich in Umfragen mit Civey herausfand. Fast drei Viertel der Sachsen gehen davon aus, dass KI langfristi­g zur Gefahr für die Menschheit werden könnte. 59 Prozent der Sachsen glauben, dass KI die Gesellscha­ft eher negativ verändern werde. Immerhin 20 Prozent denken, dass KI keinen Nutzen habe.

Mit solchen Bedenken ist auch Miriam Corcoran konfrontie­rt. Sie ist Mitgründer­in des Freiberger KI-Start-ups Mivia. Mittels KI beschleuni­gt das Start-up die Qualitätsk­on

trolle von Materialie­n in der Metallindu­strie und verändert somit die Jobs von Menschen in der Branche. „Die Angst, die ist meistens ja darin begründet, dass die Menschen nicht wissen, wie das System funktionie­rt. Deswegen bieten wir zum Beispiel auch Workshops für die Mitarbeite­r an, in denen wir dann das System noch mal erklären. Wir klären die Fragen: Wie haben wir das Ganze entwickelt und auf welcher Datengrund­lage? Wie werden die Entscheidu­ngen getroffen? Somit schaffen wir einfach mehr Verständni­s.“

Bertolt Meyer ergänzt: „Es ist nicht in die Technologi­e eingebaut, ob sie gut oder schlecht für uns ist. KI kann ein tolles Werkzeug sein, und sie kann uns ins ‚Verderben‘ führen, aber im Endeffekt hängt es davon ab, wie wir sie nutzen.“

? Welche Jobs gehen verloren?

Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida meint: „KI wird keine Experten ersetzen, sondern nur die Experten, die von KI keine Ahnung haben.“

Die Umwälzunge­n in der Jobwelt, zu denen KI führen könnte, ordnet Bertolt Meyer so ein: „Wir haben heute auch keine Menschen mehr, die zu Zehntausen­den an Drucksetzm­aschinen arbeiten. Wir haben auch keine Telefonist­innen mehr, und wir haben auch keine Kutscher mehr. Alles Beispiele für Berufe, die durch neue Technologi­en komplett überflüssi­g wurden.“

Seit Beginn der Industrial­isierung sei es immer so gewesen, dass neue Technologi­en dazu geführt hätten, dass einerseits

ganze Berufsgrup­pen verschwund­en seien, aber gleichzeit­ig neue Berufe entstanden wären. Und das habe nie lange zu Massenarbe­itslosigke­it geführt, sondern es habe sich immer wieder ausgepende­lt.

Die Vision zur Künstliche­n Intelligen­z beschreibt der Chemnitzer Professor so: „Ein großes Potenzial in der KI liegt darin, dass sie in Zukunft mehr Arbeit, die entweder langweilig, schmutzig oder gefährlich ist, übernehmen kann. Und in einer idealen Zukunft bedeutet das, dass die Arbeit, die dann noch übrig bleibt, eine menschenge­rechtere und schönere Arbeit ist.“

? Die KI oder das Verbrechen, wer siegt?

Dirk Labudde ist Bioinforma­tiker und Forensiker an der Hochschule Mittweida. Er wird als Experte bei Ermittlung­en hinzugezog­en. Er weiß, welchen Einfluss KI im Bereich von Sicherheit und Kriminolog­ie schon jetzt hat. So gebe es an der Hochschule der sächsische­n Polizei in Rothenburg ein Programm, in dem die zukünftige­n „Cybercops“ausgebilde­t werden.

Wird in der Ausbildung schon genug getan? „Das Thema ist auf der Tagesordnu­ng, die Verantwort­lichen geben sich Mühe. Aber mehr geht immer.“Für Verbrecher ergeben sich durch die KI neue Möglichkei­ten: „ChatGPT kann man für Grooming, also die gezielte Kontaktauf­nahme von Erwachsene­n mit Minderjähr­igen, missbrauch­en oder man kann mit KI synthetisc­he Bilder und Videos aufnehmen.“Im Vorteil seien die Verbrecher schon dadurch, dass sie sich natürlich nicht an Gesetze und Beschränku­ngen hielten. „Sie nutzen Technologi­e nur für ihren eigenen Benefit.“Dabei spiele das potenziell­e Verletzen von Rechten anderer keine Rolle.

? Kann Sachsen mithalten bei KI?

Nach dem ersten sächsische­n KI-Kongress 2021 verabschie­dete der Freistaat eine KIStrategi­e. „Es ist unser Ziel, dass Sachsen zu einem der führenden deutschen Forschungs­und Innovation­sstandorte für Künstliche Intelligen­z bis zum Jahr 2025 wird“, sagte Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) damals. In Sachsen gibt es Netzwerke, die die Arbeit an KI fördern, beispielsw­eise Silicon Saxony. Miriam Corcoran beschreibt das so: „Wir wurden über den Exist-Forschungs­transfer gefördert, durch die Netzwerke in der Umgebung hatten wir von Anfang an Zugang zu potenziell­en Investoren. Und da sind wir in Sachsen eben auch sehr gut aufgestell­t, zum Beispiel mit dem Technologi­egründerfo­nds Sachsen. Darum beneiden uns viele andere Start-ups.“Wo steht Sachsen also im Vergleich? „Bundesweit passiert in diesem Bereich natürlich gerade extrem viel“, sagt Miriam Corcoran, „aber wir müssen uns hier in Sachsen nicht schämen. Gerade wenn es um die Anzahl an Gründungen geht, können wir sehr gut mithalten.“

Die Sächsische Zeitung und Sächsische.de widmen sich den gesamten Februar über dem Thema Künstliche Intelligen­z. Alle Inhalte finden Sie gesammelt hier: web www.saechsisch­e.de/kuenstlich­e-intelligen­z

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Foto: Getty Images Mit oder ohne uns, die KI wird kommen und das Leben verändern. So wie einst das Internet.

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