Zurück in die Zukunft der DDR
F„Dreaming Utopia: Alles wird gut“lautet ein Schwerpunkt des Filmfests Dresden. Im Programm sind auch Filme aus Sachsen und Science-Fiction-Werke der Defa sowie jede Menge Gerechtigkeit.
rüher oder später sollte der Sozialismus auch im Weltall reüssieren, das damals diesseits des Vorhangs alternativ zum Westen zumeist „Kosmos“hieß. Defa-Filme wie „Eolomea“, „Der schweigende Stern“oder „Signale“, die als „wissenschaftlich-fantastische“Filme über die Welt von morgen erzählten, sind längst Klassiker des Genres mit einer generationenübergreifenden Fanschar. Einer davon hat es nun auch ins Programm des Internationalen Filmfestivals Dresden geschafft, das am Dienstag vorgestellt wurde, zumindest als kleiner Auszug: der Trailer von „Im Staub der Sterne“, produziert von der „Künstlerischen Arbeitsgruppe futurum“der Defa unter der Regie von Gottfried Kolditz.
Doch da ein Trailer, so ansehnlich, imposant und amüsant er auch ist, allein noch kein Programm ausmacht, gesellte Kurator Sven Pötting noch Joachim Hellwigs Reflexion über die mutmaßliche Allmacht von Computern namens „Liebe 2002“hinzu sowie „Ikarus – She Kill The Laugh“. Der ist auch in regionaler Hinsicht ein besonderer Leckerbissen: Michael Knof und Thomas Plenert haben ihn 1989 gedreht für Wolfgang Engels legendäre „Faust“-Inszenierung am Dresdner Staatsschauspiel mit der Musik der hiesigen Lokalmatador-Combo Freunde der Italienischen Oper, die übrigens immer noch immer aktiv ist.
Kurzthriller nach dem Mauerfall
„Science-Fiction-Filme und fiktionale Dokumentationen sollten aufklärend, lehrreich und unterhaltend sein und als technische, vor allem gesellschaftliche Projektionen der Zukunft verstanden werden“, sagt Sven Pötting über die „Zukunftsfilme der Defa. Aber: „Alternative Lebensentwürfe zum real existierenden Sozialismus sollten diese ,kontrollierten Utopien‘ natürlich keinesfalls bieten.“Wo wäre man da auch hingekommen? Nicht mal in den Kosmos.
Als Clou kombiniert das Filmfest die Defa-Shorts mit zeitgenössischen West-Filmen über alternative Lebensentwürfe im Programm „Gammler, Träumende, Liebende“. Denn auch in der alten Bundesrepublik hatten es Fantasten nicht immer leicht im Ringen mit den starren gesellschaftlichen Konventionen, aus denen heraus sie gerne unter „Hippies“und „Hallodris“abgelehnt und abgelegt wurden.
Erneut übt neben dem Internationalen und dem Nationalen Wettbewerb des Festivals das Rahmenprogramm einen besonderen Reiz aus. Schon allein, weil es in unserer krisenreichen und einigermaßen hysterisierten Zeit voller Zukunftsängste bereits mit dem Titel seines Schwerpunktes aus
vier Sonderprogrammen einen geradezu provozierenden Kontrapunkt setzt: „Dreaming Utopia: Alles wird gut.“
Diese Hoffnung keimte während der letzten Monate der DDR in vielen Menschen. Die Filmer Bernd Kilian und Tilo Schiemenz haben aus regionalem Material von damals ein ganzes Programm gebastelt namens „Als wär’s gestern“. Unser ernüchtertes Wissen um das Danach lässt sich auch beim Betrachten von „Es gibt keine Angst“wohl kaum aus dem Kopf verbannen. Anna Zett hat dafür bewegte Bilder aus jener Zeit zu einer Art Kurzthriller collagiert. Der läuft im „Mitteldeutschen Wettbewerb“zusammen mit sechs weiteren Beiträgen über Ostsee-Reisen, jugendliche Selbstfindung, Rassismus und kleine Fluchten auf dem Skateboard. Dass nicht
alle Utopien von einst zerstoben sind, sondern in anderer, auch schrägerer Form weiterleben, zeigt das französisch-deutsche Künstlerkollektiv Neozoon. Als „pseudomarxistische“und „post-kolonialistische“Kunst-Tausendsassas stellte Kurator Sven Pötting die vielfach preisgekrönte Truppe vor. Was ja schon für sich genommen maximal neugierig macht.
„Alles wird gut“könnte als Motto auch über dem Filmfest Dresden selbst stehen. Nicht, dass ihm das Wasser bis zum Hals stehen würde wie einem seiner wichtigsten Partner, den Dresdner Filmnächten, denen seitens der Stadt der Entzug des Elbufers droht. Doch dem 1989 gegründeten Festival scheint zurzeit die Sonne ins Gesicht. Nach der Aufstockung der Fördermittel sowohl vom Bund (für 2024) als auch
von Stadt und Land sind Existenzsorgen weiter weg denn je.
Das dürfte der kontinuierlich zuverlässigen Qualitätsarbeit des Teams unter seinen Leiterinnen Sylke Gottlebe und Anne Gaschütz generell geschuldet sein, aber insgesamt auch deren erhöhte Mühen um gesellschaftliche Relevanz. Reine Unterhaltung war das Filmfest Dresden ohnehin nie, doch sein politischer Charakter prägt sich mehr und mehr aus. Der lässt sich strategisch vor allem dingfest machen am Engagement für mehr Gerechtigkeit.
Barrierefreiheit, soweit das in den Räumlichkeiten möglich ist, wird von Jahr zu Jahr mit immer größerem B geschrieben. Geschlechtergerechtigkeit ist ein intensives Anliegen (und hat längst einen eigenen Filmpreis), Antirassismus und Antisexismus sind es ebenfalls. Das Thema „Europa“ist seit Jahren ein fester Programmpunkt in Filmen und Diskussionen, und was das Miteinander anbelangt, das Funktionieren von Austausch und Kommunikation: Auch da wirkt das Festival regelmäßig, gerade in seinem geografischen Umfeld, wie eine gelebte Utopie und das Gegenteil eines schweigenden Sterns.
Zur Gerechtigkeit gehört freilich ebenso, dass das Festival auch für all jene mehr als genug im Angebot hat, die einfach nur gute Filme sehen wollen.