Weiße Fahne?
Und wieder hat er verbal zugeschlagen. Papst Franziskus erklärt, dass es für die Ukraine keine Schande sei, die weiße Fahne zu hissen. Sofort holte er sich Prügel von allen Seiten ab. Diplomatische Sensibilität wird man diesem Papst wohl eher nicht vorwerfen können.
Ihm widerstrebt, wie man schon oft genug feststellen konnte und musste, die feinziselierte Rede des Verschleierns von Gegensätzen und die Kunst gepflegter hohler Worte. Ich bekam vor ein paar Jahren durchaus Schnappatmung, als er erklärte, dass sich die Katholiken nicht unbedingt wie Karnickel vermehren sollten. Wir müssen ihn halt so nehmen, wie er ist.
Ein Blick in die Historie tut bei seiner neuerlichen Rakete gut. Die weiße Fahne ist in Kriegszeiten das Kennzeichen von Parlamentären, also der Aufruf, die Waffen ruhen zu lassen und zu verhandeln. Erst später ist in die weiße Fahne das Zeichen der Kapitulation hineininterpretiert worden. Ich musste, als ich die Bemerkung von der weißen Fahne las, an einen seiner Vorgänger denken. Papst Benedikt XV. begann sein Pontifikat im September 1914, einen Monat nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Sofort erließ er mit dem päpstlichen Schreiben „Ubi primum“in drastischen Worten den Aufruf, die Waffen ruhen zu lassen. Was war die Reaktion? Scharfe Zurückweisung durch Frankreich und Deutschland, die kriegsführenden Seiten. Kommt nicht infrage. Er möge sich gefälligst zurückhalten.
Das Ergebnis? Weitere 15 Millionen Tote und ein zerstörtes Europa. Als der Krieg vorbei und alles zu spät war, fand man Benedikts Friedensinitiative dann doch nicht mehr ganz so schlecht. Aber es war eben zu spät. Inzwischen ist er in die Geschichte als Friedenspapst eingegangen. Werfen wir einfach mal einen Blick in die Zukunft, in eine Zeit, in der der Ukraine-Krieg Geschichte sein wird. Wie wird man dann über diesen Krieg rückblickend reden? Und wie über uns? Wie wird man die Bemerkung des Papstes über die weiße Fahne werten? Wird er rückwirkend wie sein Amtsvorgänger zum Friedenspapst werden? Nur – rückwirkend könnte fatalerweise zu spät sein.