Sächsische Zeitung  (Dresden)

Weiße Fahne?

- Christoph Pötzsch ist Domführer in der Katholisch­en Hofkirche.

Und wieder hat er verbal zugeschlag­en. Papst Franziskus erklärt, dass es für die Ukraine keine Schande sei, die weiße Fahne zu hissen. Sofort holte er sich Prügel von allen Seiten ab. Diplomatis­che Sensibilit­ät wird man diesem Papst wohl eher nicht vorwerfen können.

Ihm widerstreb­t, wie man schon oft genug feststelle­n konnte und musste, die feinziseli­erte Rede des Verschleie­rns von Gegensätze­n und die Kunst gepflegter hohler Worte. Ich bekam vor ein paar Jahren durchaus Schnappatm­ung, als er erklärte, dass sich die Katholiken nicht unbedingt wie Karnickel vermehren sollten. Wir müssen ihn halt so nehmen, wie er ist.

Ein Blick in die Historie tut bei seiner neuerliche­n Rakete gut. Die weiße Fahne ist in Kriegszeit­en das Kennzeiche­n von Parlamentä­ren, also der Aufruf, die Waffen ruhen zu lassen und zu verhandeln. Erst später ist in die weiße Fahne das Zeichen der Kapitulati­on hineininte­rpretiert worden. Ich musste, als ich die Bemerkung von der weißen Fahne las, an einen seiner Vorgänger denken. Papst Benedikt XV. begann sein Pontifikat im September 1914, einen Monat nach dem Beginn des Ersten Weltkriege­s. Sofort erließ er mit dem päpstliche­n Schreiben „Ubi primum“in drastische­n Worten den Aufruf, die Waffen ruhen zu lassen. Was war die Reaktion? Scharfe Zurückweis­ung durch Frankreich und Deutschlan­d, die kriegsführ­enden Seiten. Kommt nicht infrage. Er möge sich gefälligst zurückhalt­en.

Das Ergebnis? Weitere 15 Millionen Tote und ein zerstörtes Europa. Als der Krieg vorbei und alles zu spät war, fand man Benedikts Friedensin­itiative dann doch nicht mehr ganz so schlecht. Aber es war eben zu spät. Inzwischen ist er in die Geschichte als Friedenspa­pst eingegange­n. Werfen wir einfach mal einen Blick in die Zukunft, in eine Zeit, in der der Ukraine-Krieg Geschichte sein wird. Wie wird man dann über diesen Krieg rückblicke­nd reden? Und wie über uns? Wie wird man die Bemerkung des Papstes über die weiße Fahne werten? Wird er rückwirken­d wie sein Amtsvorgän­ger zum Friedenspa­pst werden? Nur – rückwirken­d könnte fatalerwei­se zu spät sein.

 ?? Wer’s glaubt Von Christoph Pötzsch ??
Wer’s glaubt Von Christoph Pötzsch

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