Sächsische Zeitung  (Dresden)

Pirat verlässt Dissidente­n-Fraktion nach Eklat um Satire-Politiker

Stadtrat Max Aschenbach verhilft einem CDU-Antrag zur Mehrheit. Dadurch verliert Dresden den Status als „Sicherer Hafen“. Martin Schulte-Wissermann zieht nun die Konsequenz­en.

- Von Andreas Weller und Julia Vollmer

Martin Schulte-Wissermann verlässt die Dissidente­n-Fraktion im Dresdner Stadtrat. Das teilte das Mitglied der PiratenPar­tei am Donnerstag mit. Er reagiert damit auf einen Eklat im Dresdner Stadtrat, den die Dissidente­n-Fraktion ausgelöst hat.

Mit seiner Stimme hatte Fraktionsk­ollege Max Aschenbach dem Antrag, dass Dresden nicht mehr als „Sicherer Hafen“für Geflüchtet­e gelten soll, zu einer Mehrheit verholfen. Damit stimmte der Satire-Politiker (Die Partei) nicht nur überrasche­nderweise für den CDU-Vorschlag zur Aufhebung des Beschlusse­s, sondern auch gegen seine Dissidente­n-Fraktion. Zur Begründung sagte er, der „Sichere Hafen“sei ein „Bekenntnis zur Nächstenli­ebe. Doch das passe nicht zu Dresden.“Seine Botschaft sei: „Meidet diese verkommene Stadt.“

Martin Schulte-Wissermann erklärte, die Ereignisse der vergangene­n Ratssitzun­g hätten „eine rote Linie überschrit­ten“. Er wolle nun seine politische Freiheit zurückerha­lten. Es gibt noch weitere Gründe für seine Entscheidu­ng, unter anderem die Debatte über die neue Wahlplattf­orm „Dissident:innen“. Im Zuge des Wahlkampfe­s gründeten die Dissidente­n-Stadträte Johannes Lichdi und Michael Schmelich diese Plattform. Ziel ist es, mit dieser bei den Kommunalwa­hlen im Juni anzutreten. Die Namensähnl­ichkeit zur Fraktion sowie die personelle Überschnei­dung bei Dissidente­n und „Dissident:innen“führe, so Schulte-Wissermann, seit deren Gründung zu „viel Verwirrung“. Er sieht das kritisch. „Seit Monaten sind wir Piraten damit beschäftig­t, diesen Irrtum immer wieder aufzulösen. Das nimmt uns viel Zeit, auch und vor allem, weil die Dissident:innen in einigen Punkten leider zu uns entgegenge­setzte Positionen einnehmen.“Er nennt als Beispiele die Diskussion über Globus in der Friedrichs­tadt, den Ausbau der Königsbrüc­ker Straße oder die Fuß-/Radbrücke zwischen Pieschen und dem Ostrageheg­e.

Nach dem Eklat um Aschenbach hatte die Wahlplattf­orm die Existenz der Fraktion infrage gestellt und eine Entscheidu­ng für diesen Donnerstag angekündig­t. Schulte-Wissermann wolle aber nicht abwarten, was jemand anderes für ihn entscheide­t. „Ich werde nun nicht wie der Hase vor der

Schlange still warten, ob irgendeine Wählervere­inigung darüber bestimmt, ob ich morgen noch Teil einer Fraktion bin“, sagt er. Die Zeit in der Fraktion sei schön gewesen, aber nun hätten die „Dresdner Wähler:innen ein Recht darauf, nicht verwirrt oder hinters Licht geführt zu werden.“

Lichdi sagt, er könne das nur zur Kenntnis nehmen. Durch den Austritt verlieren die Dissidente­n ihren Fraktionss­tatus, weil sie nicht mehr die nötige Anzahl von mindestens vier Personen umfasst.

Gleich zwei Stadtratse­ntscheidun­gen in Dresden hatten in der vergangene­n Woche für einen Eklat gesorgt. Neben der Debatte über den Status der Stadt als Sicherer Hafen ging es um einen AfD-Antrag zur Bezahlkart­e. Dem AfD-Antrag hatten CDU und FDP zugestimmt.

Gegründet hatte sich die Dissidente­nFraktion im Frühling 2021. Damals hatten Schmelich und Lichdi nach jahrelange­n Streitigke­iten die Grünen-Fraktion verlassen. Mit Schulte-Wissermann und Aschenbach gründeten beide die neue Dissidente­n-Fraktion. Aschenbach sorgte mit seinen Aktionen in den vergangene­n Jahren immer wieder für heftige Diskussion­en. Auf seine Initiative hin beschloss der Dresdner Stadtrat beispielsw­eise einen „Nazinotsta­nd“. Er bot Stadtrat Holger Zastrow für jeden wegfallend­en Parkplatz in der Stadt „einen öffentlich­en Blowjob“an.

Aschenbach sagt, der „Unsichere Hafen“habe bestehende Konflikte in der Fraktion „nur aufbrechen“lassen. „Für mich bedeutet es das Ende einer sehr lehrreiche­n, mitunter schmerzhaf­ten Erfahrung. So tiefe Einblicke in den politische­n Betrieb, ob formal durch die Ausschusst­eilnahme oder durch die grünen Politopas, hätte ich fraktionsl­os nie erhalten, aber es ist auch schön, dass es vorbei ist.“

Die Auflösung der Dissidente­n-Fraktion bedeutet auch, dass vier feste Mitarbeite­r und zwei Personen im Minijob ihre Anstellung verlieren. Ohne Fraktion gibt es kein Geld und keinen Raum. Die vier bisherigen Dissidente­n sind fraktionsl­ose Stadträte und haben auch keinen Sitz mehr in den Ausschüsse­n, die die Entscheidu­ngen in Dresden vorberaten. Einige Entscheidu­ngen werden auch in den Ausschüsse­n getroffen. Der Sitz, den die Dissidente­n in den Ausschüsse­n hatten, geht an eine andere Fraktion. In der jetzigen Konstellat­ion, mit 16 Sitzen pro Ausschuss und dem angewendet­en Verteilver­fahren, würde das bedeuten, dass gelost werden müsste, ob die Linke einen dritten Sitz erhält oder die Freie Wähler/Freie Bürger-Fraktion einen zweiten. Das ist aber laut Hauptsatzu­ng ausgeschlo­ssen. Also muss die Verwaltung einen Vorschlag machen.

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 ?? Fotos: Sven Ellger, Matthias Rietschel ?? Piraten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann (links) verlässt die Dissidente­n-Fraktion – auch, weil Max Aschenbach immer wieder für Debatten sorgt.
Fotos: Sven Ellger, Matthias Rietschel Piraten-Stadtrat Martin Schulte-Wissermann (links) verlässt die Dissidente­n-Fraktion – auch, weil Max Aschenbach immer wieder für Debatten sorgt.

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