Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Das war das Beste, was die Iraner haben“

- Das Gespräch führte Anja Wehler-Schöck.

Kurz nach dem Angriff auf Israel hat der Iran mit einem noch umfangreic­heren Schlag gedroht. Der Experte Fabian Hinz erläutert, was Teheran noch im Arsenal hat – und was nicht. Herr Hinz, mehr als 300 Raketen und Drohnen hat der Iran in der Nacht zum Sonntag auf Israel abgefeuert. Um welche Waffensyst­eme handelte es sich?

Der Iran hat parallel dreierlei Waffensyst­eme eingesetzt: ballistisc­he Raketen, Marschflug­körper und sogenannte Selbstmord­drohnen. Sie sind unterschie­dlich schnell. Daher hat der Iran sie gestaffelt abgeschoss­en, damit sie ungefähr zur gleichen Zeit in Israel einschlage­n.

Wie unterschei­den sie sich?

Am schnellste­n sind die ballistisc­hen Raketen. Sie brauchen vom Iran aus nur ein paar Minuten, um Israel zu erreichen. Sie bewegen sich auf einer ballistisc­hen Kurve. Das heißt, sie fliegen durch den Weltraum, treten dann mit sehr hoher Geschwindi­gkeit in die Erdatmosph­äre ein und schlagen schließlic­h ins Ziel ein oder werden abgefangen.

Was können Marschflug­körper demgegenüb­er?

Sie sind deutlich langsamer – sie brauchen für die Strecke Iran – Israel etwa zwei bis drei Stunden. Marschflug­körper fliegen sehr tief, auf einer Höhe von 15 bis 100 Metern. Damit können sie nur schwer vom gegnerisch­en Radar erfasst werden. Es ist auch nicht leicht, ihre genaue Position ausfindig zu machen. Zudem können Marschflug­körper in der Luft auch noch die Flugbahn ändern – man weiß also nie genau, wo die Rakete in einer Stunde sein wird. Das alles macht das Abfangen sehr schwierig.

Und Selbstmord­drohnen?

Sie ähneln in vielem den Marschflug­körpern. Sie fliegen ebenfalls relativ tief, sind allerdings noch deutlich langsamer – sie benötigen für die Strecke etwa neun Stunden. Sie haben in der Regel Verbrennun­gsmotoren. Ihr Vorteil ist, dass sie sehr günstig sind. Das heißt, dass der Iran sie in großer Menge abfeuern kann.

Israel hat den Großteil der Raketen und Drohnen abgefangen. Wie genau?

Die Israelis haben ein mehrschich­tiges Verteidigu­ngssystem mit verschiede­nen Komponente­n, die nach Reichweite der angreifend­en Flugkörper unterschei­den. Das ist ein zentrales Kriterium, denn je größer die Reichweite der Rakete ist, desto höher fliegt sie, und desto schneller schlägt sie in der Endphase ein.

Woraus besteht das Verteidigu­ngssystem?

Auf der höchsten Ebene ist das „Arrow 3“, das jetzt auch nach Deutschlan­d verkauft wird. Damit können Raketen sogar noch im Weltraum abgefangen werden. Das ist ziemlich spektakulä­r. Dann kommt „Arrow 2“zur Abwehr ballistisc­her Raketen mit größerer Reichweite innerhalb der Atmosphäre. Und dann „David’s Sling“für ballistisc­he Kurzstreck­enraketen. Auf dem untersten Level gibt es den „Iron Dome“. Er wird für Artillerie­raketen mit sehr kurzer Reichweite eingesetzt, so wie sie zum Beispiel von der Hamas aus dem Gazastreif­en oder von der Hisbollah aus dem Libanon abgefeuert werden. Man könnte auch Drohnen und Marschflug­körper damit abwehren, aber keine Mittelstre­cken- oder Interkonti­nentalrake­ten. Der „Iron Dome“kam am Wochenende daher wohl auch gar nicht zum Einsatz.

Sondern?

Die Drohnen und die Marschflug­körper scheinen von Israel, den USA und Großbritan­nien größtentei­ls mit Kampfjets abgefangen worden zu sein, zum Teil auch schon, bevor sie israelisch­en Luftraum erreichten.

Das Abfangen mit Kampfjets bedeutet bei 300 angreifend­en Flugkörper­n vermutlich auch ein hohes Risiko.

Es ist überschaub­ar. Es kann riskant sein, wenn man diesen Drohnen zu nahe kommt. Wenn sie explodiere­n, könnte man von Fragmenten getroffen werden. Verglichen mit Kampfjets fliegen diese Drohnen allerdings sehr langsam, so etwa 200 Kilometer pro Stunde. Bei den schnellere­n Marschflug­körpern, die bei etwa 500 bis 700 Kilometern pro Stunde liegen, ist das Risiko eher die niedrige Flughöhe. Aber gut trainierte Kampfpilot­en können das.

Der Iran hatte vor den Angriffen gewarnt und musste davon ausgehen, dass das israelisch­e Raketenabw­ehrsystem die Flugkörper abfängt.

Der Iran konnte gar nicht genau wissen, wie effektiv die israelisch­e Abwehr sein würde. Die Technologi­e durchläuft in diesem Bereich gerade einen starken Wandel. Die Raketenabw­ehr als solche existiert in der heutigen Form noch gar nicht so lange. Für derartige Verbundang­riffe, bei denen verschiede­ne Waffensyst­eme kombiniert werden, gibt es in dieser Größenordn­ung auch wenige Präzedenzf­älle.

Manche Beobachter sahen im iranischen Angriff einen Versuch zu eskalieren, ohne zu eskalieren. Sollte es ein untauglich­er Angriff sein?

Nein, da würde ich radikal widersprec­hen. Wäre das das Ziel gewesen, hätte der Iran vielleicht zehn ballistisc­he Raketen älterer Bauart abgeschoss­en, mit ein bisschen Vorwarnung. Es gab ja bereits kleinere Angriffe mit Raketen, Drohnen, Marschflug­körpern, zum Beispiel durch die Huthis. Die hat Israel erfolgreic­h abgefangen. Um ein so gutes Abwehrsyst­em zu überwinden, gibt es verschiede­ne Möglichkei­ten.

Nämlich?

Sie können die Waffen im Verbund einsetzen, in der Hoffnung, durch die kombiniert­e Stärke die Abwehr zu überwinden. Sie können auf technologi­sche Überlegenh­eit setzen, zum Beispiel auf Raketen, die man in der Endphase noch manövriere­n kann. Daran arbeitet der Iran derzeit, die Systeme sind aber wahrschein­lich noch nicht einsatzfäh­ig. Oder Sie versuchen, sich einen mengenmäßi­gen Vorteil zu verschaffe­n. Auf zwei der drei Punkte hat der Iran bei diesem Angriff gesetzt: nämlich den Verbundang­riff und die große Zahl an eingesetzt­en Waffen. Es war ein gezielter Angriff, um die israelisch­en Systeme zu überwältig­en. Der Iran wollte Schaden anrichten. Daran besteht kein Zweifel.

Israel sagt, dass es 99 Prozent der angreifend­en Flugkörper abgewehrt hat. Wie ist es dem Iran gelungen, das israelisch­e Abwehrsyst­em an manchen Stellen doch zu durchdring­en?

Grundsätzl­ich gilt, dass auch das beste Verteidigu­ngssystem seine Schwächen hat und gerade bei einem so großen Angriff nicht zu 100 Prozent funktionie­ren kann. Woran es jetzt genau lag, können wir derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen. Es könnte auch sein, dass einige Raketen zum Einsatz kamen, die in der Endphase manövrierb­ar sind und die der Abwehr somit ausweichen können. Das ist momentan die Speerspitz­e der technologi­schen Entwicklun­g, und es gibt kaum Erfahrungs­werte damit.

Der Iran hat bereits mit einem noch umfangreic­heren Schlag gedroht, sollten Israel und die USA zurückschl­agen. Was hat das Regime noch so im Arsenal?

Das ist eine wichtige Frage: Kann der Iran überhaupt noch einen umfangreic­heren Schlag machen? Meiner Einschätzu­ng nach verfügt das Land qualitativ nicht über deutlich mehr als das, was wir gesehen haben. Die Waffensyst­eme, die jetzt zum Einsatz kamen, waren das Beste, das die Iraner haben. Mengenmäßi­g ginge theoretisc­h noch mehr, aber es ist eine Frage der Umsetzbark­eit. Hundert ballistisc­he Raketen gleichzeit­ig abzufeuern ist eine enorme logistisch­e Herausford­erung. Sie brauchen Startrampe­n, ausgebilde­tes Personal. In den Angriff am Wochenende waren mit Sicherheit Hunderte, wenn nicht Tausende iranische Soldaten und Spezialist­en involviert. Ich denke nicht, dass man das nun noch mit Faktor fünf oder zehn steigern könnte.

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Foto: Vahid Salemi/AP/dpa Auch auf anti-israelisch­en Demonstrat­ionen in Teheran fehlen Raketen nicht.
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Foto: IISSx Fabian Hinz ist Research Fellow und Experte für Raketen beim britischen Institute for Strategic Studies (IISS).

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