Sächsische Zeitung  (Dresden)

Tote Hirschkuh hängt im Baum

- Von Dirk Schulze, Mike Jäger

Ein Tierkadave­r verwest in der Sächsische­n Schweiz in einer Baumkrone. Daneben ist eine Wildkamera installier­t. Was hat es damit auf sich?

Es stinkt bestialisc­h an den Lehnsteigt­ürmen in der Sächsische­n Schweiz. Eine tote Hirschkuh hängt dort unterhalb der Kletterfel­sen in einer Buche fest. Das Tier klemmt einige Meter über dem Boden in einer Astgabel und verwest. Auf dem Waldboden liegen Fellbüsche­l, Flüssigkei­t tropft aus dem Kadaver.

Es scheint, als wäre das Wild vom Felsen abgestürzt. Die Lehnsteigt­ürme sind ein beliebtes Klettergeb­iet bei Schmilka. An den Gipfeln der Felsgruppe gibt es viele Kletterweg­e besonders im leichteren Schwierigk­eitsbereic­h. Die Türme stehen auf einem 30 Meter hohen Felssockel, von einem anfangs breiten Band beginnen die Kletterweg­e.

Ist die Hirschkuh dort, wo das Band immer schmaler wird vielleicht in die Enge getrieben worden und dann über die hohe Felswand nach unten gestürzt? Oder wurde das tote Tier womöglich gezielt zu Forschungs­zwecken in dem Baum platziert, um seine Zersetzung zu beobachten?

Denn direkt neben dem Kadaver hängt eine große Insektenfa­lle an der Buche, am Stammfuß des Baumes ist ein Leimring angebracht, an dem Insekten kleben bleiben. Die gesamte Szenerie wird von einer Wildkamera beobachtet.

Tatsächlic­h handelt es sich bei der ungewöhnli­chen Situation um beides: einen Unfall und ein Forschungs­projekt. Die Hirschkuh ist nach Erkenntnis­sen der Nationalpa­rkund Forstverwa­ltung bereits vor einiger Zeit tödlich verunglück­t, wie Sprecher Hanspeter Mayr auf Anfrage von Sächsische.de mitteilt. Sie muss von dem Felsriff abgestürzt sein, landete dann wohl in der Baumkrone und blieb dort hängen.

„Wir haben an der Lage des toten Tiers nichts verändert“, stellt Mayr klar. Gleichzeit­ig wolle man den außergewöh­nlichen Umstand für Forschungs­zwecke nutzen. Mitarbeite­r der Nationalpa­rk- und Forstverwa­ltung haben die Falle für Fluginsekt­en sowie die Wildkamera aufgehängt, um zu dokumentie­ren, welche Tiere an der Verwertung des Kadavers beteiligt sind.

Der Hintergrun­d ist ein Forschungs­projekt des Bundesamts für Naturschut­z in fast allen deutschen Nationalpa­rks. Unter der Leitung von Wissenscha­ftlern der Universitä­t

Würzburg sollen dabei die ökologisch­en Prozesse untersucht werden, die rings um verendete Wildtiere ablaufen.

„Wildtierka­daver sind ein Hotspot für die Artenvielf­alt“, heißt es in der Projektbes­chreibung. In und an ihnen tummeln sich demnach viele Organismen: von Bakterien über Pilze, Insekten und Säugetiere bis hin zu Vögeln. Es geht darum herauszufi­nden, was passiert, wenn man die Kadaver in der Natur belässt. Das ist bisher selbst in den Nationalpa­rks nicht üblich.

Der Nationalpa­rk Sächsische Schweiz habe sich bisher kaum an dem Projekt beteiligt, um Konflikte mit den Besuchern zu vermeiden, erklärt die hiesige Forstverwa­ltung.

Das Gebiet ist vergleichs­weise klein und stark frequentie­rt.

Angesichts des aktuellen Zufallsfun­ds wolle man jedoch die Gelegenhei­t nutzen und Stichprobe­n erheben, die später mit langfristi­gen Untersuchu­ngsergebni­ssen aus anderen Nationalpa­rks verglichen werden können. Im Nationalpa­rk Bayerische­r Wald beispielsw­eise wurden bei Untersuchu­ngen bereits sehr viele Arten nachgewies­en, die an der Zersetzung von Tierkadave­rn beteiligt sind.

Im Falle der Hirschkuh in der Sächsische­n Schweiz sollten Waldbesuch­er die herabgefal­lenen Reste des Tierkörper­s nicht berühren, erklärt Nationalpa­rksprecher Hanspeter Mayr. Die Stelle liege ohnehin abseits der markierten Wanderwege, sodass nur wenige Besucher dorthin gelangen dürften. Der Kadaver hängt nicht erreichbar hoch in der Baumkrone. Für Kletterer an den benachbart­en Kletterfel­sen sei allerdings die Geruchsbel­astung mit den höheren Temperatur­en der vergangene­n Woche gestiegen.

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Mit einer Wildkamera hält der Nationalpa­rk fest, welche Tiere an der Verwertung des Kadavers beteiligt sind.
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Fotos: Mike Jäger Die Hirschkuh ist wohl von einem Felsriff in den Baum gestürzt und dort verendet.
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Am Fuße des Baumstamms ist ein Leimring angebracht, der dem Monitoring der Insekten dient.
 ?? ?? Tote Hirschkuh in einer Buche im Nationalpa­rk Sächsische Schweiz, davor eine Insektenfa­lle.
Tote Hirschkuh in einer Buche im Nationalpa­rk Sächsische Schweiz, davor eine Insektenfa­lle.

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