Das haben wir nun vom Atomausstieg
Vor einem Jahr wurde in Deutschland der letzte Meiler abgestellt. Ein kritischer Blick auf die Lage am deutschen Strommarkt.
Seit einem Jahr wird in Deutschland kein Atomstrom mehr erzeugt. Der Ausstieg war umstritten. Auch jetzt fordern Politiker immer wieder, die Anlagen ans Netz zu nehmen. Leidet der Verbraucher?
?
Am 15. April 2023 sind die drei letzten deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vom Netz gegangen. Es war der letzte Akt des Ausstiegs, der 2000 mit dem Atomkonsens der damals rot-grünen Bundesregierung begonnen hatte. Im Jahr 2011 beschloss die schwarzgelbe Regierung das Aus bis Ende 2022. Die Ampel verlängerte die Laufzeit wegen Unsicherheit am Energiemarkt infolge des Ukraine-Kriegs bis Mitte April 2023.
? Was ist passiert und warum?
Wie sieht der deutsche Strommix aus? Erneuerbare Energieträger wie Wind und Sonne lieferten 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 56 Prozent des eingespeisten Stroms, darunter Windkraft allein 31 Prozent. Unter den konventionellen Energieträgern kam Kohle auf 21,3 Prozent. Aus Atomkraft stammten 1,5 Prozent. 2022 stammten 46,3 Prozent aus erneuerbaren Quellen, AKW lieferten 6,4 Prozent.
? Wie hat sich der Strompreis entwickelt?
Wie stark das Aus der Atomkraft den Strompreis beeinflusst hat, ist schwer zu sagen. Nach Zahlen des Energieverbands BDEW muss ein Haushalt, der rund 3.500 Kilowattstunden Strom im Jahr verbraucht, in diesem Frühjahr rund 18,69 Cent je Kilowattstunde zahlen. 2023 waren es 23,83 Cent, im Jahr 2022 gut 16,97 Cent. Hier machen sich die Folgen des UkraineKrieges bemerkbar. In den Jahren davor bewegte sich der Strompreis für Verbraucher zwischen sechs und acht Cent. Dazu kommen jeweils noch Netzentgelt, Umlagen, Steuern.
? Hat Deutschland genug eigenen Strom?
Deutschland ist eingebunden in das europäische Energienetz, das Schwankungen ausgleicht. So exportiert die Bundesrepublik manchmal Strom, manchmal importiert sie ihn. 2023 wurde mehr eingeführt als ausgeführt. Die Menge entsprach rund zwei Prozent des Bruttostromverbrauchs. Dieser Strom hätte nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums auch aus deutschen Kohle- oder Gaskraftwerken stammen können, die aber nicht hochgefahren wurden. Ein Grund: Strom aus dem Ausland, etwa Dänemark, war billiger.
? Kann es einen Blackout geben?
2022 – mit drei Atomkraftwerken – fiel der Strom nach Angaben aus dem Bundes
wirtschaftsministerium im Schnitt 12,2 Minuten aus, der zweitniedrigste Wert seit 2006. Damals waren noch 17 AKW am Netz. Daten für 2023 liegen noch nicht vor. Bisher gleichen Stromnetz und konventionelle Kraftwerke Schwankungen aus. Sollte länger Wind und Sonnenschein fehlen, wird es eng. Große Stromspeicher fehlen, das Netz muss ausgebaut werden.
? Was wird aus abgeschalteten Anlagen?
Sie werden abgerissen. Das dauert wegen des radioaktiven Materials 15 Jahre oder mehr. Zurück bleibt ein neues Gewerbegebiet oder Natur.
?
Technisch wäre es wahrscheinlich möglich. Weil die Betreiber EnBW, Eon und RWE sich auf den Ausstieg eingestellt hatten, wurde kein neues Personal ausgebildet. Auch fehlen Brennstäbe. Zudem müssten alle Anlagen eine aufwendige Sicherheitsprüfung durchlaufen, was Jahre dauert. Für die Betreiber ist das Thema abgeschlossen – zu risikoreich, zu viel strahlen
Können alte AKW hochgefahren werden?
der Abfall, zu teuer. Die US-Investmentbank Lazard bezifferte die Stromerzeugungskosten der Atomenergie 2021 auf rund 167 Dollar je Megawattstunde, für Wind und Solar lagen sie unter 50 Dollar. „Atomenergie“, sagt ein hochrangiger deutscher Manager im Hintergrund, „ist wirtschaftlich völlig uninteressant.“
? Wie sieht deutsche Stromstrategie aus?
Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Quellen am Strommix auf mindestens 80 Prozent steigen. Inzwischen werden auch neue Stromtrassen zwischen Nord- und Süddeutschland gebaut.
Die hatte vor allem Bayern jahrelang blockiert. Sie sind für die Wirtschaft wichtig, weil der meiste grüne Strom aus dem Norden stammt, im Süden dafür sehr viele Firmen sitzen, die die Energie brauchen. Das Problem wird verschärft, weil die Kohlekraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden sollen.
?
Wären neue AKW hierzulande möglich? Die komplizierte Planung nebst zahlreichen Klagen dürfte neue Atomkraftwerke in Deutschland auf Jahre verhindern. Die durchschnittliche Bauzeit liegt nach Angaben des World Nuclear Industry Status Report bei gut zehn Jahren. Die Kosten sind hoch. Frankreichs staatlicher Stromkonzern EdF ist beim Vorzeigereaktor in der Normandie zwölf Jahre in Verzug, er soll jetzt 13,2 statt 3,3 Milliarden Euro kosten.
? Was ist mit neuartigen kleineren AKW?
Viele existieren bisher nur auf dem Papier. Experten wie Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin erwarten marktreife Anlagen frühestens in vier Jahrzehnten. Und die meisten erzeugen ebenfalls Atommüll.
? Was wird aus dem Atommüll?
Die 27.000 Kubikmeter hochradioaktiven Atommülls aus deutschen AKW sollen in der Erde verstaut werden. Ein geeigneter Standort wird gesucht, er wird frühestens in 20 Jahren festliegen. Derzeit lagert der Atommüll an den Kraftwerken und in den Zwischenlagern Ahaus und Lubmin.