Sächsische Zeitung  (Dresden)

Künstliche Intelligen­z findet bei mehr Frauen Brustkrebs

Das Screening-Zentrum Chemnitz nutzt als Erstes in Sachsen KI bei der vorsorglic­hen Mammografi­e. Ein Weg, der die Sterblichk­eit senken kann.

- Von Stephanie Wesely

Frauen zwischen 50 und 69 Jahren haben alle zwei Jahre die Möglichkei­t, ihre Brust vorsorglic­h röntgen zu lassen, um Krebsherde frühzeitig zu entdecken. Durch den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z (KI) können dabei noch mehr frühe Brustkrebs­fälle als bisher entdeckt werden. Damit lässt sich die Sterblichk­eit weiter senken. Dennoch gehen kaum mehr als die Hälfte der Anspruchsb­erechtigte­n in Sachsen zu dieser Vorsorgeun­tersuchung.

? Wo wird KI in der Mammografi­e bereits eingesetzt?

Uni-Kliniken, zum Beispiel das Unikliniku­m Dresden, setzen seit November letzten Jahres KI-basierte Software in der Diagnostik von Brustkrebs­patientinn­en ein, wie Institutsl­eiter Professor Ralf-Thorsten Hoffmann sagt. Im Screening, also in der Früherkenn­ung, wendet in Sachsen bislang nur das Screening-Zentrum Chemnitz diese moderne Technik an. Das Zentrum versorgt Frauen in Chemnitz, Mittelsach­sen und im Erzgebirge.

? Wie funktionie­rt die Befundung durch Künstliche Intelligen­z?

Die Röntgenauf­nahmen der Brust werden von zwei Radiologen unabhängig voneinande­r „gelesen“, wie die Fachärzte die Suche nach Tumorherde­n und Auffälligk­eiten nennen. Durch die KI steht ein „zusätzlich­es Paar Augen“zur Verfügung. Die KI vergleicht die Daten der Bilder mit mehr als fünf Millionen gespeicher­ten Mammografi­en, die in den USA und Europa aufgenomme­n wurden. Im Ergebnis wird die Röntgenauf­nahme in eine von drei Kategorien eingeordne­t – L wie Low (geringes Risiko für einen Krebsbefal­l der Brust), I wie Intermedia­te (mittleres Risiko) und E wie Elevated (erhöhtes Risiko). „In 99 Prozent der Fälle finden sich Karzinome in der Kategorie I oder E“, sagt Dr. Klaus Hamm, Vorsitzend­er der Radiologen in Sachsen. Die entspreche­nden Stellen würden von der Software im Bild genau markiert.

? Wie unterschei­den sich die Ergebnisse mit und ohne KI?

Bei Unterstütz­ung durch KI wurde im Rahmen der Studie bei sechs von 1.000 Frauen ein Karzinom gefunden. Im Vieraugenp­rinzip waren es fünf von 1.000 Frauen. Klaus Hamm: „In unserer ScreeningE­inheit Chemnitz werden pro Jahr rund 30.000 Mammografi­en ausgewerte­t. Das heißt, es konnten 30 Brustkrebs­fälle deutlich früher entdeckt werden als ohne KI.“Diese Befunde hätte man sonst erst bei der nächsten Früherkenn­ungsunters­uchung oder im Zeitraum dazwischen gefunden, wenn die Tumore größer geworden wären. Eine tiefgründi­gere Recherche habe zudem gezeigt, dass weniger Frauen in der Niedrigris­iko-Kategorie zur Abklärungs­untersuchu­ng einbestell­t werden mussten, dafür aber mehr in der Mittel- und Hochrisiko-Gruppe. „Das ist unser Ziel. Wir wollen weniger falsch-positive Befunde haben, die die Frauen unnötig beunruhige­n“, so der Radiologe. Auch bei höherer Brustdicht­e sei die Lesegenaui­gkeit höher gewesen als mit bloßem Auge.

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Einer im Ärzteblatt veröffentl­ichten Studie zufolge sind weniger Frauen an Brustkrebs gestorben, die regelmäßig das Mammografi­e-Screening genutzt haben. Forscher der Uni Lübeck konnten einen Rückgang der fortgeschr­ittenen Erkrankung­en um 23 bis 28 Prozent feststelle­n. Verglichen wurden für die Studie Befunde der Jahre 2003/4 und 2015/16. Die Brustkrebs­sterblichk­eit ging demnach bei den 50- bis 59-Jährigen um 26 Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen um 21 Prozent zurück. Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab einen Rückgang um knapp 29 Prozent. Ausgewerte­t wurden dafür Krebsregis­terdaten von 320.000 Frauen, die 2003 bis 2014 in zehn ausgewählt­en Bundesländ­ern an Brustkrebs erkrankt waren. Zusätzlich wurden 280.000 Brustkrebs­sterbefäll­e der Jahre 1998 bis 2016 analysiert.

Kann die vorsorglic­he Mammografi­e die Brustkrebs­sterblichk­eit senken? ? Wie viele Frauen erkranken derzeit an Brustkrebs?

Mit rund 4.000 Neuerkrank­ungen pro Jahr in Sachsen und rund 70.000 in Deutschlan­d ist Brustkrebs die häufigste Krebserkra­nkung der Frau. Etwa jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens daran. Ihre Chancen, wieder gesund zu werden und den Brustkrebs zu überleben, steigen, je früher der Tumor entdeckt wird.

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Laut Krebsregis­ter erkrankten 2021 rund 380 von 100.000 Frauen im Alter von 65 bis 69 neu an Brustkrebs. Die zweitstärk­ste Altersgrup­pe sind mit 350 Erkrankten pro 100.000 Frauen die 50- bis 54-Jährigen, gefolgt von den 75- bis 79-Jährigen sowie den 80- bis 84-Jährigen. Auch bei Jüngeren gibt es laut Hamm eine Zunahme. So wurde bei rund 230 von 100.000 Frauen der Altersgrup­pe 45 bis 49 Brustkrebs gefunden.

Welche Altersgrup­pen in Sachsen sind am häufigsten betroffen? ? Wird der Kreis der Anspruchsb­erechtigte­n erweitert?

Ab 1. Juli haben Frauen bis zum 75. Lebensjahr alle zwei Jahre einen Anspruch auf eine Früherkenn­ungs-Mammografi­e. Sie erhalten aber noch keine Einladung, sondern müssen sich selbst ab August in den Zentralen Stellen für Mammografi­e einen Termin geben lassen. Auch für Frauen unter 50 Jahren soll die Vorsorge-Mammografi­e möglich sein, so Klaus Hamm, doch eine Entscheidu­ng stehe noch aus.

? Reichen die personelle­n Kapazitäte­n dafür?

Der Rückgang an Ärzten wird auch in der Radiologie spürbar. „Wenn der Kreis der Anspruchsb­erechtigte­n erweitert wird, werden wir Probleme haben, alle zu untersuche­n“, so der Chemnitzer Radiologe.

? Wird KI von den Kassen bezahlt?

Nein. Screening-Einheiten wie Chemnitz kauften die Software auf eigene Kosten, wie der Chef der Radiologen sagt. Doch an der KI werde kein Weg mehr vorbei führen. „Wir konnten in unserer Untersuchu­ng auch feststelle­n, dass es keinen qualitativ­en Unterschie­d in den Ergebnisse­n gab, wenn zusätzlich zur KI nur ein Arzt, statt bisher zwei, die Befunde der Niedrigris­iko-Kategorie beurteilte. Das könnte Kapazitäte­n freisetzen, die wir künftig dringend brauchen“, sagt er.

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Foto: transpera KI ordnet die Mammografi­e-Aufnahme einer Risikokate­gorie zu – in diesem Fall aus dem ScreeningZ­entrum Chemnitz der Hochrisiko­gruppe E. Die verdächtig­en Stellen wurden von der KI markiert.
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Foto: H. Hanschke/dpa Die vorsorglic­he Röntgenunt­ersuchung der Brust kann Krebstodes­fälle verhindern. KI macht die Software noch genauer.

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