Künstliche Intelligenz findet bei mehr Frauen Brustkrebs
Das Screening-Zentrum Chemnitz nutzt als Erstes in Sachsen KI bei der vorsorglichen Mammografie. Ein Weg, der die Sterblichkeit senken kann.
Frauen zwischen 50 und 69 Jahren haben alle zwei Jahre die Möglichkeit, ihre Brust vorsorglich röntgen zu lassen, um Krebsherde frühzeitig zu entdecken. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) können dabei noch mehr frühe Brustkrebsfälle als bisher entdeckt werden. Damit lässt sich die Sterblichkeit weiter senken. Dennoch gehen kaum mehr als die Hälfte der Anspruchsberechtigten in Sachsen zu dieser Vorsorgeuntersuchung.
? Wo wird KI in der Mammografie bereits eingesetzt?
Uni-Kliniken, zum Beispiel das Uniklinikum Dresden, setzen seit November letzten Jahres KI-basierte Software in der Diagnostik von Brustkrebspatientinnen ein, wie Institutsleiter Professor Ralf-Thorsten Hoffmann sagt. Im Screening, also in der Früherkennung, wendet in Sachsen bislang nur das Screening-Zentrum Chemnitz diese moderne Technik an. Das Zentrum versorgt Frauen in Chemnitz, Mittelsachsen und im Erzgebirge.
? Wie funktioniert die Befundung durch Künstliche Intelligenz?
Die Röntgenaufnahmen der Brust werden von zwei Radiologen unabhängig voneinander „gelesen“, wie die Fachärzte die Suche nach Tumorherden und Auffälligkeiten nennen. Durch die KI steht ein „zusätzliches Paar Augen“zur Verfügung. Die KI vergleicht die Daten der Bilder mit mehr als fünf Millionen gespeicherten Mammografien, die in den USA und Europa aufgenommen wurden. Im Ergebnis wird die Röntgenaufnahme in eine von drei Kategorien eingeordnet – L wie Low (geringes Risiko für einen Krebsbefall der Brust), I wie Intermediate (mittleres Risiko) und E wie Elevated (erhöhtes Risiko). „In 99 Prozent der Fälle finden sich Karzinome in der Kategorie I oder E“, sagt Dr. Klaus Hamm, Vorsitzender der Radiologen in Sachsen. Die entsprechenden Stellen würden von der Software im Bild genau markiert.
? Wie unterscheiden sich die Ergebnisse mit und ohne KI?
Bei Unterstützung durch KI wurde im Rahmen der Studie bei sechs von 1.000 Frauen ein Karzinom gefunden. Im Vieraugenprinzip waren es fünf von 1.000 Frauen. Klaus Hamm: „In unserer ScreeningEinheit Chemnitz werden pro Jahr rund 30.000 Mammografien ausgewertet. Das heißt, es konnten 30 Brustkrebsfälle deutlich früher entdeckt werden als ohne KI.“Diese Befunde hätte man sonst erst bei der nächsten Früherkennungsuntersuchung oder im Zeitraum dazwischen gefunden, wenn die Tumore größer geworden wären. Eine tiefgründigere Recherche habe zudem gezeigt, dass weniger Frauen in der Niedrigrisiko-Kategorie zur Abklärungsuntersuchung einbestellt werden mussten, dafür aber mehr in der Mittel- und Hochrisiko-Gruppe. „Das ist unser Ziel. Wir wollen weniger falsch-positive Befunde haben, die die Frauen unnötig beunruhigen“, so der Radiologe. Auch bei höherer Brustdichte sei die Lesegenauigkeit höher gewesen als mit bloßem Auge.
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Einer im Ärzteblatt veröffentlichten Studie zufolge sind weniger Frauen an Brustkrebs gestorben, die regelmäßig das Mammografie-Screening genutzt haben. Forscher der Uni Lübeck konnten einen Rückgang der fortgeschrittenen Erkrankungen um 23 bis 28 Prozent feststellen. Verglichen wurden für die Studie Befunde der Jahre 2003/4 und 2015/16. Die Brustkrebssterblichkeit ging demnach bei den 50- bis 59-Jährigen um 26 Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen um 21 Prozent zurück. Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab einen Rückgang um knapp 29 Prozent. Ausgewertet wurden dafür Krebsregisterdaten von 320.000 Frauen, die 2003 bis 2014 in zehn ausgewählten Bundesländern an Brustkrebs erkrankt waren. Zusätzlich wurden 280.000 Brustkrebssterbefälle der Jahre 1998 bis 2016 analysiert.
Kann die vorsorgliche Mammografie die Brustkrebssterblichkeit senken? ? Wie viele Frauen erkranken derzeit an Brustkrebs?
Mit rund 4.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Sachsen und rund 70.000 in Deutschland ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung der Frau. Etwa jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens daran. Ihre Chancen, wieder gesund zu werden und den Brustkrebs zu überleben, steigen, je früher der Tumor entdeckt wird.
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Laut Krebsregister erkrankten 2021 rund 380 von 100.000 Frauen im Alter von 65 bis 69 neu an Brustkrebs. Die zweitstärkste Altersgruppe sind mit 350 Erkrankten pro 100.000 Frauen die 50- bis 54-Jährigen, gefolgt von den 75- bis 79-Jährigen sowie den 80- bis 84-Jährigen. Auch bei Jüngeren gibt es laut Hamm eine Zunahme. So wurde bei rund 230 von 100.000 Frauen der Altersgruppe 45 bis 49 Brustkrebs gefunden.
Welche Altersgruppen in Sachsen sind am häufigsten betroffen? ? Wird der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert?
Ab 1. Juli haben Frauen bis zum 75. Lebensjahr alle zwei Jahre einen Anspruch auf eine Früherkennungs-Mammografie. Sie erhalten aber noch keine Einladung, sondern müssen sich selbst ab August in den Zentralen Stellen für Mammografie einen Termin geben lassen. Auch für Frauen unter 50 Jahren soll die Vorsorge-Mammografie möglich sein, so Klaus Hamm, doch eine Entscheidung stehe noch aus.
? Reichen die personellen Kapazitäten dafür?
Der Rückgang an Ärzten wird auch in der Radiologie spürbar. „Wenn der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert wird, werden wir Probleme haben, alle zu untersuchen“, so der Chemnitzer Radiologe.
? Wird KI von den Kassen bezahlt?
Nein. Screening-Einheiten wie Chemnitz kauften die Software auf eigene Kosten, wie der Chef der Radiologen sagt. Doch an der KI werde kein Weg mehr vorbei führen. „Wir konnten in unserer Untersuchung auch feststellen, dass es keinen qualitativen Unterschied in den Ergebnissen gab, wenn zusätzlich zur KI nur ein Arzt, statt bisher zwei, die Befunde der Niedrigrisiko-Kategorie beurteilte. Das könnte Kapazitäten freisetzen, die wir künftig dringend brauchen“, sagt er.